Wolfgang Michel: Reisen der Niederländischen Ostindischen Kompanie im japanischen Archipel . In: Lutz Walter (ed.): Japan - Mit den Augen des Westens gesehen. Prestel, 1993, S. 31 - 39 (Ausstellungskatalog,). In Hardcover-Buchform gedruckt als: Lutz Walter (ed.): Japan - Mit den Augen des Westens gesehen. Prestel-Verlag, München, New York 1994, S. 31 - 39.

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Wolfgang Michel

Reisen der Niederländischen Ostindischen Kompanie im japanischen Archipel


Die niederländische 'Verenigde Oostindische Compagnie' (VOC) agierte seit 1609 auf der japanischen Bühne, zunächst in Konkurrenz mit den in Japan als 'Südbarbaren' apostrophierten Iberern und für kurze Zeit auch mit einer englischen Faktorei. Dank einer zurückhaltenden, doch wendigen Politik und ihrer religiös-politisch begründeten Feindschaft mit Spanien und Portugal gelang es nur den Niederländern, nach dem Verbot des Christentums in Japan von der Vertreibung der Europäer ausgenommen zu werden. Zwar wurde 1641 die Niederlassung der 'Rothaarigen' zwangsweise von Hirado nach Nagasaki verlegt, zwar setzte man ihrem Handel und Wandel enge Schranken, doch blieben die Geschäfte lukrativ genug, um allerlei Unbill zu ertragen. Stand die Zeit zwischen 1549 und 1639 als 'christliches Jahrhundert' im Zeichen der iberischen Missionare und Kaufleute, so spielte danach diese kleine niederländische Faktorei Dejima bis ins letzte Jahrhundert eine Schlüsselrolle für die Formierung der europäische Sicht Japans bzw. des japanischen Europabildes.

fig. 21
Fig. 21 Arnoldus Montanus: The Dutch trading post on Hirado. Copperplate. Amsterdam,1669. (Cf. cat. no.102)

 

 

 Die nähere Umgebung der Faktoreien

Die Küstenlinie Nordwestkyûshûs ist tief zerklüftet. Allerorten verstellen vorgelagerte Inselchen den Blick, und zahllose Klippen und Untiefen werden unaufmerksamen Steuerleuten im Nu zum Verhängnis. Hier lag die erste Handelsniederlassung der Ostindischen Kompanie auf der Insel 'Firando' (Hirado), die deswegen in vielen Karten gekennzeichnet ist. Einer der ersten Europäer, welche sich um die Erfassung dieser Gegend verdient machten, war Frans Jacobszoon Visscher. Er kannte die Gewässer des Archipels nicht nur als Schiffspilot der VOC. Zwischen 1632 und 1634 hatte er eine Dschunke der berühmten japanischen Händlerfamilie Suminokura gesteuert, bevor ihn der batavische VOC-Gouverneur Hendrick Brouwer mit der Verbesserung der Karten beauftragte. Seine Arbeit wurde überaus geschätzt. Wie solche Handzeichnungen der Fahrwässer um Hirado und Gotô im siebzehnten Jahrhundert aussahen, zeigt ein von Siebold 1851 publiziertes Beispiel.[1] Derartige mit nautischen Daten versehene Unterlagen gab es sicher auf jedem Schiff der Kompanie, das Japan anlief.

fig. 22
Fig. 22 Dirck van Lier: Elevation of the Nagasaki coastline. Page from one of the daybooks. Dejima,1661.

Seit 1641 befand sich die Faktorei dann auf der kleinen, in der Bucht von Nagasaki aufgeschütteten Insel Dejima ('Disima', 'Cisma' u.ä.). Die Lektüre alter Tagebücher zeigt, das es den Schiffern gar nicht so leichtfiel, die Einfahrt zu finden. Wenn man sich nicht verrechnet hatte oder durch einen der Taifune abgetrieben war, visierte man die Inselgruppe Danjoshotô an. Die auffälligste der Inseln, Mejima, fehlt daher in fast keiner alten Karte, wo man ihren Namen lange Zeit in portugiesischer Manier als 'Meaxima' oder 'Meaxuma' wiedergab. Kaempfers kaum erklärbare Verballhornung als 'Matsima' brachte hier einen großen Rückschritt. Als nächster und entscheidender Augenmerk diente den Steuerleuten die Landspitze Nomozaki. In der Nähe lag die Felsengruppe Mitsuse, welche die Holländer ihres Aussehens wegen 'de hen met de kuikens' (die Henne mit den Küken) nannten. Nun mußten sie die Augen aufhalten, denn es folgten zahlreiche Inseln und Klippen, die sie im Norden umsegelten. Alsdann erblickte man an Backbord das steil ansteigende Inselchen Takabokojima, in vielen Reisebeschreibungen unter dem Namen 'Papenberg' (Pfaffenberg) erwähnt, weil hier zur Zeit der Christenverfolgungen angeblich katholische Missionare ins Meer gestürzt worden waren. Danach verengte sich die Bucht rasch. Schon lange zuvor hatten Beobachtungsposten die Annäherung des Schiffes gemeldet, und bald stiegen Beamte des lokalen Gouverneurs an Bord. Die Angst der Japaner vor religiˆser Infiltration war beträchtlich. Noch auf See ließen die Kapitäne daher alles, was christlicher Natur war oder christliche Symbole trug, einsammeln und verstauten es in Fässer und Kisten. Nicht einmal Münzen entgingen wegen des eingeprägten Kreuzes dieser Kontrolle. Wenn dann die Schiffe vor Anker lagen, schrieb der Winsheimer Apotheker Johann Jacob Mercklein über seine Erlebnisse im Jahre 1651, wurde 'alles Volk auf denselben genau gemustert, die Nahmen und das Alter eines jedlichen unter uns, sowol von den Japanern, als unserer Nation, [von] daselbst residirenden Officirern aufgezeichnet; die Wahren, Gewehr, und Ammunition, ja Ruder und Segel in gute Verwahrung genommen.'[2]

Die Schiffe der VOC liefen mit den Monsunwinden ab Juli ein. Während der Liegezeit blieben die Mannschaften die meiste Zeit an Bord. Jedes Übersetzen zur Faktorei mußte beim Gouverneur beantragt und begründet werden. Nur der Kapitän wurde lange nicht visitiert, was zeitweilig dazu führte, daß er einen besonders weiten Rock mit Konterbande für Privatgeschäfte vollstopfte und bei allen sich bietenden Gelegenheiten übersetzte. Ladearbeiten u.ä. waren einheimischen Tagelöhnern vorbehalten. Die Fracht stammte aus Südostasien, dem Nahen Osten und Europa: Seide, Brokat- und Wollstoffe, Farbhölzer, Büffelhäute, Hirschfelle, Pfeffer, Gewürznelken, Muskatnüsse, Zucker, Sandelholz, Quecksilber, Zinnober, Saffran, Zinn, Blei, Salpeter, Borax, Alaun, Moschus, Terra Japonica, Korallen, Bernstein, Kobalt, Spiegel, Brillen, Lupen, Uhren, gelegentlich 'exotische' Tiere und andere Raritäten. Die selteneren Gegenstände waren in der Regel den 'Großen' des Landes vorbehalten, teils als Geschenk, teils gegen Bezahlung. Alle anderen Waren verkaufte man auf Dejima zu festgesetzten Terminen und reglementierten Konditionen. Spätestens im November lichteten die Schiffe wieder die Anker, beladen vor allem mit Kupferstäben, Kampfer, ferner mit Porzellan, Papier, japanischen Schränkchen und anderen kunsthandwerklichen Erzeugnissen, aber auch Reis, Sake, Soja-Soße und Tee.

Detaillierte Ausschnittskarten der Umgebung von Hirado bzw. Nagasaki findet man bei van der Aa (Kat. Nr. __), Reland (Kat. Nr. __), Seutter (Kat. Nr. __) und natürlich Siebold.[3] Weiter fertigte Kaempfer anhand einer japanischen Holzschnittkarte von ca. 1680 einen Plan der Stadt und Umgebung an (Kat. Nr. __), den Scheuchzer 1727 in seine englische Ausgabe des Kaempferschen Werkes aufnahm. Bellin gab 1763 einen Nachdruck hiervon heraus (Kat. Nr. __). Dirck van Lier, Faktoreileiter von November 1661 bis November 1662, zeichnete während der Anfahrt nach Nagasaki mit viel Geschmack und Geschick sogar einige Küstenprofile in sein Tagebuch.[4] Außerdem zeigen Japanwerke von Montanus (1669) bis zu Siebolds 'Nippon' (1852) Pläne und Perspektivzeichnungen der Faktorei Dejima, wo man, nachdem die Geschäfte getätigt und die Schiffe verabschiedet waren, reichlich Zeit hatte.

 Hofreisen

Die Reise nach Edo geht auf den ersten Shôgun der Tokugawa-Dynastie, Ieyasu, zurück, der den Repräsentanten der VOC das Recht einer Audienz gewährte. Natürlich mußte man seine Referenz erweisen und die angemessene Demut bezeugen. Eigentlich aber genoß der Faktoreileiter, bei Licht besehen nur ein simpler Oberkaufmann, ein Privileg, von dem einheimische Kaufleute nicht einmal zu träumen gewagt hätten. Denn die standen am unteren Ende der japanischen Gesellschaftshierarchie - noch unter der Klasse der Bauern. Doch die unzulängliche Bewegungsfreiheit der Europäer in Japan, das stete Gejammer der Kaufleute über ihre hohen Unkosten und besonders die von Kaempfer beschriebenen Wünsche des Shôgun Tsunayoshi verfestigten in Europa nach und nach das Bild einer 'Tributreise', der sich die Holl‰nder um des lieben Profits willen unterwarfen. Dennoch war der direkte Kontakt mit Vertretern der Zentralregierung für die VOC wichtig. Hier wurden die Beziehungen bestätigt und anstehende Probleme bereinigt. Die Verweigerung der Audienz wie z.B. in den Jahren 1627 und 1648 war ein Alarmsignal, das man bestens verstand und mit verstärkten Anstrengungen um Ausgleich beantwortete. Und schließlich bot, von allen Fragen der Politik, der Etikette und des 'Gesichts' abgesehen, nach dem Abschluß Japans nur diese Reise den Europäern Gelegenheit, ihrem Gefängnis auf Dejima für einige Zeit zu entrinnen und Land und Leute kennenzulernen. Seit 1633 wurde sie alljährlich durchgeführt, ab 1790 begnügte man sich mit jedem fünften Jahr.

Ein Besuch am Herrscherhof gibt mit der Vorbereitung, Anreise, Ankunft und der Audienz dramaturgisch mehr her als das ziellose Herumziehen in fernen Weltgegenden. So sind denn auch im Falle Japans Beschreibungen von 'Hofreisen' gar nicht so selten. Schon lange vor Kaempfers 'History of Japan' griff man zur Feder. Die 'Japponische Reiß=Beschreibung' des Leipzigers Caspar Schamberger ging leider verloren.[6] Höchstwahrscheinlich aber kaufte er 1669 ein Exemplar der auf holländisch wie auch deutsch erschienen 'Denckwürdige[n] Gesandtschafften der Ost=Indischen Gesellschaft'.[7] Denn neben anderem wurde dort 'seine' Gesandtschaft von 1649/50 ebenso vorgestellt wie die zwei 'Hofreisen' (1657, 1659) des Faktoreileiters Zacharias Wagner, eines Landsmannes aus Dresden.[8] Die detaillierten Beschreibungen hatte der Autor, Arnoldus Montanus, aus iberischen Missionsquellen und Unterlagen der VOC extrahiert und mit allerlei historisch-kulturellen Exkursen geschmückt. Zwar sind die Abbildungen oft grotesk, doch wenn man vom Text das Beiwerk entfernt, bleiben im großen und ganzen zutreffende Schilderungen übrig. In Skandinavien finden wir die kraftvoll-lebendige Darstellung eines Japanaufenthaltes aus der Feder des Schweden Olof Ericksson Willmans, der 1651 nach Nagasaki kam.[9] Kaempfer, von 1690 bis 1692 als Arzt in der Faktorei Dejima, hatte natürlich Montanus studiert und so manche Anregung aufgegriffen. Mit seinem Werk[10] war dann ein nicht zu ignorierender Maßstab gesetzt. Vergleichbares brachten nach ihm nur der Schwede Thunberg[11] und im neunzehnten Jahrhundert der Würzburger von Siebold[12] zustande. Alle drei waren studierte Ärzte, die nichts mit dem Handel zu tun hatten und mehr Muße zur Beobachtung ihrer Umgebung fanden als das kaufmännische Faktoreipersonal. Überdies erhielten sie über dankbare japanische Patienten sowie die an der westlichen Medizin sehr interessierten Dolmetscher und einheimischen Ärzte eine Fülle von Informationen aus erster Hand.

Gelegentlich liest man scharfe Kritiken am landeskundlichen Desinteresse der niederländischen Kaufleute, und in der Tat übertraf die Wißbegierde der Japaner die der Europäer bei weitem. Doch mancher Faktoreivorsteher, hier mögen Namen wie Andreas Cleyer[13] oder Isaac Titsingh[14] genügen, galt durchaus als gebildet und engagiert. Ihre dienstlichen Tagebücher mußten sich allerdings - anders als private Forschungsjournale - auf die für die Handelsbeziehungen bedeutsamen Vorkommnisse konzentrieren. Dennoch flossen sogar hier immer wieder persönliche Anmerkungen ein, besonders bei ärgerlichen Anlässen. So ist denn die Lektüre dieser 'Dagregisters' nicht unergiebig, und in Verbindung mit der ebenfalls überlieferten Buchhaltung gewinnt man ein detailliertes Bild des Lebens in Fernost.

Vor Reiseantritt waren ausführliche Vorbesprechungen zum Ablauf nötig. Personal wurden geheuert, Geschirr, Kisten, Proviant und vieles andere mehr eingekauft. Nach allerlei Abschiedsprozeduren war man dann endlich unterwegs. In der Regel wurden täglich die Etappen notiert, die Orte, wo man Tee- und Mittagspausen einlegte, Flüsse überquerte oder mautpflichtige Brücken betrat, wo man vor Anker ging bzw. schließlich in eine Herberge einkehrte. In den Abrechnungen findet man die Heuer für die Tr‰ger, die Zahl der benötigten Pferde, alle Einkäufe, Geschenke und 'Trinkgelder'. Manchmal listete ein fleißiger Faktoreileiter sogar Entfernungsangaben auf. Wahrscheinlich stammten derartige Angaben aus einem der beliebten japanischen Reisehandbücher (dôchûki), welche die Herbergen, Preise für Träger und Mietpferde, Sehenswürdigkeiten und anderes eingehend beschrieben. Kaempfer brachte mehrere davon nach Europa.
Nach der erzwungenen Verlegung der VOC-Handelsniederlassung von Hirado auf die Insel Dejima im Jahre 1641 gewann die 'Hofreise' rasch eine feste Form. Knapp zwei Dekaden lang legte man die Strecke zwischen Nagasaki und Hyôgo per Schiff zurück. Von dort aus ging es nach Ôsaka und weiter auf dem Landweg über die berühmte 'Ostmeerstraße' (Tôkaidô) nach Edo, dem Sitz des Shôgun. Er war als faktischer Machthaber in den Augen der VOC der 'Kaiser' des Landes, während der in Miyako, dem heutigen Kyôto, residierende Tennô als religiöses Oberhaupt verstanden wurde. Zu Zeiten der Faktorei in Hirado reiste der Faktoreileiter nur in Begleitung eines Sekretärs, später auch eines Unterkaufmanns. Gelegentlich war ein Barbier mit von der Partie. Nachdem Schamberger 1649/50 im Gefolge einer besonderen Gesandtschaft großes Aufsehen mit seinen Salben und Pflastern erregt hatte, wurde der Chirurg regelmäßig mitgenommen. Dies gab der Ausbreitung westlicher Medizin in Japan einen starken Impuls.

Im November verließen die letzten niederländischen Schiffe Nagasaki in Richtung Batavia. Bis zum Juli, wenn mit dem günstigen Sommermonsun die ersten Segel am Horizont auftauchten, war wenig zu tun. Anfangs brach man mitten im Winter auf, umrundete Kyûshû im Norden, lief dann in die Inlandsee ein und segelte bis nach Hyôgo. Die Route kann man auf der Karte von Montanus (Kat. Nr. ___) und Jean-Baptiste Tavernier (Kat. Nr. __) verfolgen. Wegen der stürmischen Winde vom asiatischen Festland her war die Fahrt bis Shimonoseki ziemlich beschwerlich. Immer wieder gingen die wenig seetüchtigen 'Barken', so nannten die Niederländer diese Fahrzeuge, in geschützten Buchten vor Anker und warteten auf besseres Wetter. Gewöhnlich benötigte man sechs bis acht Tage. Nachdem die Gruppe Wagners im Februar 1659 geschlagene dreieinhalb Wochen kämpfen mußte und vor dem Fürstentum Chikuzen beinahe in Seenot geraten war, nahm man von der Rückreise in jenem Jahr an stets den Landweg durch Kyûshû. Auch der Termin pendelte sich ein. Seit 1661 fand der Aufbruch aus Nagasaki in der Regel am fünfzehnten Tag des ersten Mondes statt, der im westlichen Kalender auf den Februar oder frühen März fällt. Das große Gepäck ging über die See nach Shimonoseki voraus.

Der Aufwand an Begleitpersonal war beträchtlich. Da sah man als verantwortliche 'Reiseleiter' zwei Samurai des Gouverneurs von Nagasaki, dazu Vertreter der Stadtpolizei, Ober- und Unterdolmetscher und, in blauen Kitteln mit dem Wappen der VOC, zahlreiche Köche, Diener sowie Träger. Nur der Faktoreileiter durfte sich in einer Sänfte schaukeln lassen - eine ganz besondere Gunst, die ihm eigentlich nicht zustand. Seine Landsleute saßen zu Pferde. In späteren Zeiten stand auch für sie eine Sänfte bereit, wie man bei Thunberg lesen kann. Unterwegs wurden Pferde und Träger ausgetauscht, je nach Beschaffenheit der transportierten Güter und des Weges vermehrt. Als die Gesandtschaft von Frisius 1649 in Edo ankam, zählte man neben vierundzwanzig Europäern dreihundertzehn Japaner und einhundertachtundzwanzig Pferde. Kaempfers berühmter Zug von 1691 soll in Kyûshû rund hundert, auf der letzten Wegstrecke hundertfünfzig Begleiter stark gewesen sein. Als Thunberg 1776 mit seinem Vorgesetzten und dessen Sekretär aufbrach, waren sie von fast zweihundert Mann umgeben, und auch von Siebold sah sich 1826 in einer ähnlichen Obhut. Das alles waren dennoch kleine Gruppen im Vergleich zu dem Lindwurm, der sich durchs Land zog, wenn einheimische Fürsten auf Reisen gingen.

Auf See hing man vom Wetter und den Gezeiten ab. Zu Lande waren die Tagesstrecken und Herbergen festgelegt. In der Regel zogen die Köche und Gehilfen voraus, um bei der Ankunft der Gruppe mit fertigen Mahlzeiten zu dienen. Kontakte mit der Bevölkerung waren offiziell nicht vorgesehen, doch spontane Reaktionen ließen sich nie ganz unterdrücken. In den offiziellen und privaten Reisetagebüchern erhält das Bild einige Facetten. Da gab es Szenen wie die in Kurume, wo sich während des Durchzugs durch die Stadt keine Menschenseele auf der Hauptstraße blicken ließ, hingegen die Quergassen voller Einheimischer waren, tief gebeugt und schweigend. Ein ander Mal warnten japanische Beamte unterwegs entgegenkommende Reisende deutlich vernehmbar vor jeglicher Annäherung. Mancher Holländer jammerte über die Isolation in den Herbergen, gelegentlich sollen sogar Fenster vernagelt gewesen sein. Doch Thunberg wiederum empfand die hinteren Zimmer als den schönsten und vornehmsten Teil des Hauses, und Klagen über vorwitzige Buben und stundenlang nicht von der Seite weichende hartnäckig bettelnde 'Nonnen' waren durchaus nicht selten. Der glückliche Siebold gar lobte die Klugheit seiner Aufseher, die es vermieden, Augenzeugen von Handlungen zu werden, welche man den Niederländern nicht gestatten, aber auch nicht verbieten konnte. Und wie soll man in der Karte Taverniers den Hinweis auf 'die schönsten Frauen des Landes' im Städtchen Okasaki verstehen (Kat. Nr. __)? Der englische Druck von 1680 übrigens sparte solch frivole Bemerkungen aus.

Nach der Überquerung der Meeresenge zwischen Kyûshû und der Hauptinsel Honshû traf man in Shimonoseki einige Vorbereitungen für die zweite Etappe per Schiff bis nach Hyôgo, einem Hafen in der Nähe von Ôsaka. Die Route führte durch die vergleichsweise ruhige Inlandsee (Setonaikai), die mit ihren unzähligen Inselchen einen malerischen Anblick bot. Auch hier sind die Karten im Vergleich zum Hinterland deutlich detaillierter. Abends ließ man gewöhnlich in einer ruhigen Bucht die Anker fallen. Über Landgänge ist wenig zu lesen. In Muro zog man manchmal mit dem ganzen 'Train' ins Badehaus. Der Drang zum Wasser allerdings war bei den Europäern schwach ausgeprägt. Kaempfer stellte einst todernst den 'superstitieus reinlichen' Japanern die 'sinnlichen' Holländer gegenüber. Und ähnlich stumpf dürften westliche Nasen auch im folgenden Jahrhundert gewesen sein.

Von Hyôgo aus ging es zum Yodogawa und flußaufwärts nach Ôsaka - wegen der Untiefen mit kleineren Fahrzeugen, in die man das Gepäck umlud. Manche Gruppen nahmen aber auch den Landweg. Ein mächtiges Schloß zeugte für von der Bedeutung dieser Stadt, in der man den Stadtgouverneuren sowie dem Schloßbewahrer Höflichkeitsbesuche abstattete, Geschenke überreichte und ansonsten auf die schriftliche Erlaubnis zur Weiterreise nach Edo wartete. Die wurde vom Repräsentanten des Shôgun in Kyôto erteilt, den niederländische Quellen, weil er u.a. für Rechtsstreitigkeiten zuständig war, gewöhnlich als 'Großrichter' bezeichneten.

Der dritte und letzte Reiseabschnitt verlangte in Anbetracht des Gepäcks mehr Personal und Pferde. Von Ôsaka aus ging es nach Kyôto und dann weiter zum Biwa-See über die 488 Kilometer lange 'Tôkaidô' (Ostmeerstraße) in Richtung Edo. Ihre dreiundfünfzig Stationen, wo man die Reisenden versorgte und beherbergte, haben in der Literatur und Kunst viele Spuren hinterlassen. Im Westen wurde sie vor allem durch die farbenfreudigen Holzdrucke Hiroshiges bekannt. Noch heute kann man z.B. in der Gegend um Tehara bei Ôtsu diese mit etwa fünfeinhalb Metern nicht allzu breite, leicht geschwungene, beiderseits von hübschen Holzhäusern gerahmte Straße abschreiten und sich in alte Zeiten versetzen lassen. Jede Meile (3, 93 Kilometer) war durch einen kleinen 'Ein-Meilen-Hügel' markiert, an Kreuzungen sicherten Wegweiser die Orientierung. Da Schwergut mit Schiffen befördert wurde, gab es fast keinen Transport auf Rädern. Hier mischten sich Reisende aller Stände. Die einen waren Geschäfte halber unterwegs, andere auf Pilger- oder Vergnügungsfahrt, viele suchten alles zusammen. Dazwischen Läufer, welche ihre Briefe dank eines ausgeklügelten Botensystems in nur zwei bis drei Tagen von Edo nach Ôsaka beförderten. Ambulante Händler hielten Arzneien feil, Wandermönche boten Talismane, Wunderkuren, Geisterbeschwörungen an, gewisse 'Nonnen' auch sich selbst. Allerorten zogen Unterhaltungskünstler das Volk an. In den Geschäften hielt man lokale Produkte, Strohsandalen, Tabak, Tee und andere Erfrischungen bereit. Und wenn der Tag sich neigte, zogen und schupsten vor den Türen wartende Frauen den müden Wanderer in eine der Stationsherbergen.

Unterwegs trafen Niederländer und ihre Begleitung auf einige Barrieren. So gab es an manchen Flüsse keine Brücke. Dann setzte man entweder in Booten über, oder aber es wurden 'Flußüberquerer' angeheuert, welche die Reisenden und deren Baggage auf den Schultern bzw. auf speziellen Gestellen ans andere Ufer brachten. Bei Arai passierte man eine der wichtigsten unter den sechsundsiebzig Kontrollstationen des Reiches, mit denen der Regierungsapparat alle Reiseaktivitäten überwachte und verdächtige Bewegungen zu erkennen suchte. Von hier ging es in Barken über die flache Bucht nach Maisaka. Wenn die Gesandtschaft Pech hatte, begegnete ihr irgendwo auf dem Wege der Zug eines Landesfürsten. Dann hieß es bescheiden zur Seite treten und zu warten, was recht lange dauern konnte. Bisweilen wurden sie wegen eines hohen Herren in eine andere Herberge umgeleitet oder gar noch nach der Einquartierung unversehens in ein anderes Etablissement abgeschoben. Der in dieser Jahreszeit um den Gipfel schneebedeckte Berg Fuji dürfte alle beeindruckt haben. Dann kam die beschwerlichste Unternehmung, die Überquerung des Hakone-Gebirges, für die man ausgeruhte Pferde, Kraft und Konzentration brauchte. Die letzten drei Etappen vor Edo schließlich liegen heute alle innerhalb des Großraums Tôkyô und Welten von dem entfernt, was die Reisenden damals sahen. Seit dem Aufbruch von Nagasaki waren rund dreißig Tage verstrichen.

Edo war mit etwa einer Million Einwohnern schon Anfang des achtzehnten Jahrhunderts eine gewaltige Stadt. Die Niederländer logierten alljährlich im sogenannten 'Nagasaki-Haus', einer Herberge im Stadtteil Honkokuchô, die früher den Portugiesen als Unterkunft gedient hatte. 1642 gab der Faktoreileiter Jan van Elseracq eine kurze Beschreibung in seinem Tagebuch. Es sei ein Gebäude wie ein Gefängnis neben dem Haus des Wirts, erreichbar über einen etwa vier Fuß breiten und sechzig Fuß langen Weg. Wenn man die Treppe hochsteige, gelange man in einen Raum von acht 'Matten', also etwa dreizehn Quadratmetern, wo man gewöhnlich speise. Daneben das Schlafzimmer von gleicher Größe. Mit seinen Kleidertruhen und Betten sei es zu eng, um vier oder fünf Leute aufzunehmen. Der Assistent und der Barbier könnten in ihrem Zimmer unter der Treppe nicht aufrecht gehen, die anderen wären noch schlechter untergebracht. Im Zimmer zur Stadt hin logiere der hauptverantwortliche Wachbeamte mit vier Dienern, so daß niemand unbemerkt ein- oder ausgehen könne. Unter den Räumen der Niederländer hielten sich zwei Soldaten mit ihren Dienern auf. Ohne die Begleitung eines Soldaten gelange kein Besucher zu ihnen.

Die aus Holz errichteten Gebäude standen nicht ewig. Dafür sorgten der Zahn der Zeit, Erdbeben und vor allem häufige Brände, die fast jeder Faktoreileiter vom Fenster aus in der näheren oder weiteren Umgebung beobachten konnte. Aus der zweihundersiebzigjährigen Periode der Tokugawa-Herrschaft kennt man über achtzig große Feuersbrünste in Edo. Einer der gewaltigsten Katastrophen, welche 1657 weite Bereiche der Stadt einäscherte und um die hunderttausend Tote forderte, entging mit knapper Not die Gruppe Zacharias Wagners. Montanus präsentierte seine Schilderung dem schaudernden Publikum mit einem dramatischen Kupferstich. Auch für das 'Nagasaki-Haus' sind sieben Brände belegbar. Trotz des häufigen Um- und Neubaus blieb die Grundstruktur der über elf Generationen von derselben Familie (Nagasakiya Gen'emon) geführten Herberge weitgehend unverändert. Den schmalen, langen Gang ins Hinterhaus und die Unterkünfte im zweiten Stock erkennt man in Kaempfers ebenso wie in Thunbergs Beschreibung mühelos wieder. Beide bemühten sich zwar um Sachlichkeit, hätten aber zweifelsohne eine bessere Unterbringung erwartet. Der weniger duldsame Siebold nannte seine Unterkunft 1826 schlichtweg eine 'elende Gesandtschaftswohnung'.

In der mitunter recht langen Wartezeit bis zum Audienztag eilten die Dolmetscher und Beamten hin und her. Man klärte anstehende Fragen ab und legte fest, welche Geschenke an den 'Kaiser', den 'Kronprinzen', die 'Reichsräte', die Nagasaki-Gouverneure und andere wichtige Persönlichkeiten gingen. Unter den Papieren der VOC findet man noch heute genaue Aufzeichnungen der Gegenstände, Mengen, Preise und Empfänger. Zugleich nahm man Bestellungen bestimmter Raritäten, darunter Karten und Globen, entgegen, die im nächsten oder übernächsten Jahr ausgeliefert und irgendwann einmal bezahlt wurden. Auch diese kann man in den Schiffsladelisten und Fakturen identifizieren.
Zwar war der Bevölkerung der Zutritt verboten, doch nahezu täglich standen Besucher ins Haus. Neben denen, die ihres Amtes wegen Zutritt hatten, fanden sich oft die Söhne und andere Verwandte von 'Reichsräten', 'Gouverneuren' u.ä. ein, um die Geschenke und die Fremden zu beäugen. In der Regel 'traktierte' man sie nach bestem Vermögen mit holländischen Leckereien und dem allseits beliebten Rotwein. Das ging zwar ins Geld, aber man hörte einiges. Besonders gefragt war der Faktoreiarzt, den so mancher, an Verletzungen oder Krankheiten laborierender hoher Herr zu sich rufen ließ. Auch die japanischen Hofärzte suchten ihn gerne heim, um an Informationen und Heilmittel zu gelangen. Zutritt hatten schließlich noch bestimmte Handwerker und Händler, welche die Präsentation der Geschenke vorbereiteten.

Wenn die strittigen Probleme geklärt und die angemessene Zeit verstrichen war, brach dann der Tag der Audienz an. Das zwischen 1603 und 1651 errichtete Schloß zu Edo zählte mit einem Außenwall von sechzehn und einem Innenwall von rund sechseinhalb Kilometern zu den international gewaltigsten Befestigungsanlagen jener Zeit. Angesichts des bisherigen Aufwandes wirkt die Zeremonie selbst geradezu antiklimaktisch. Zunächst warteten sie für eine Weile in einem gesonderten Raum. Dann führte man den Faktoreileiter in den Audienzsaal. Manchmal durften seine Landsleute vom Hintergrund her die Szene beobachten, andernfalls mußten sie mit ihrem Antichambre vorlieb nehmen. Auf ein Zeichen und den Ruf 'Oranda Kapitan' (Holland-Kapitän) hin erwies er auf den Knien mit tief gebeugtem Oberkörper und gesenktem Kopf seine Referenz. Vielleicht erlaubte er sich einen verstohlenen Blick. Doch Ihre Majestät saßen hinter einer Art Binsenjalousie, so daß man kaum mehr als einen Schattenumriß wahrnahm. Und damit war alles schon zu Ende. Nach einem weiteren Zeichen - einige Tagebücher erwähnen ein diskretes Zupfen an seinem Mantel - kroch der Faktoreileiter devot zurück in Richtung Flur und nahm dann die Glückwünsche der Japaner für den erfolgreichen Ablauf entgegen. Anschließend ging es weiter zum Palais des 'Kronprinzen' in einem anderen Bezirk des weiträumigen Schloßareals, wo sich Ähnliches wiederholte. Oft noch am selben Tag machte man reihum in den Residenzen der 'Reichsräte' seine Aufwartung, um den gebührenden Dank abzustatten. Die standesbewußten Herrschaften pflegten hierbei außer Haus zu sein. Ähnliche Aufmerksamkeit wurde in der folgenden Zeit noch anderen Honoratioren zuteil.

Engelbert Kaempfer erlebte nach der ersten Hauptaudienz einen zweiten informellen Akt in einem anderen Saal, wo die Niederländer allerlei Fragen des wiederum hinter einer Jalousie verborgenen Shôgun beantworteten. Schließlich ging das Ganze in einen 'Pickelheringsreigen'[15] über. Der Pickel- oder Pökelhering war eine aus England eingeführte Narrengestalt, deren Name später durch den Harlekin oder Hanswurst verdrängt wurde. Kaempfers Bild kam den Ereignissen durchaus nahe. Man dürfte singen, tanzen, zeichnen und schauspielern. Dergleichen geschah eigentlich nur zwischen 1680 und 1709, d.h. während der Herrschaft des Shôgun Tsunayoshi, eines überaus wißbegierigen, möglicherweise ein wenig verschrobenen Herrschers. Kaempfers Beschreibung und die Illustration brannte sich jedoch ins europäische Bewußtsein ein, und noch über einhundertdreißig Jahre später empfand es Siebold als Glück, daß diese 'Privatvorstellung der Niederländer' 'inzwischen abgeschafft worden' war. An manchen Höfen im Nahen und Fernen Osten allerdings widerfuhren zu Kaempfers Zeiten den Repräsentanten der VOC weitaus härtere Dinge. Und europäische Würdenträger konnten bei entsprechender Laune durchaus mithalten.

In den folgenden Tagen trafen die Gegengeschenke ein. Die des 'Kaisers' und des 'Kronprinzen', meist kostbare Seidenkimonos, empfing man in einer besonderen Abschiedsaudienz. Sie waren ob ihrer Farbenpracht und Bequemlichkeit im Abendland geschätzt und zeitweilig derart beliebt, daß die VOC Imitate herstellen ließ, um die Nachfrage zu decken. Mit der Erlaubnis zum Aufbruch ergingen Ermahnungen, keine Portugiesen ins Land zu bringen, keine chinesischen Dschunken zu kapern und über alles Bedeutsame in der Welt zu berichten.

Man nahm dieselbe Route wie auf dem Hinweg, doch nun ohne den Termindruck und in spürbar besserer Atmosphäre. Unterwegs besichtigte man Tempel, und auch das Schloß von Ôsaka zählte zu den festen Programmpunkten. Natürlich jammerte der Faktoreileiter über die viel zu große Zahl der angeheuerten Träger und Pferde, die nur benötigt würden, weil die japanische Begleitung Berge an persönlichen Einkäufen getätigt habe. Man kann sich indes kaum vorstellen, daß die geschäftstüchtigen Europäer ohne jedes Mitbringsel aufgebrochen wären. Verst‰nderlicherweise zeigten die Träger auf dem Rückweg deutlich weniger Eile.

Ihren direkten Niederschlag fand die 'Hofreisen' 1669 in der Karte von Montanus ( Kat. Nr. __). 1679 bzw. 1726 folgten Tavernier (Kat. Nr. __) und Valentyn (Kat. Nr. __). Die Einflüsse von Montanus auf Tavernier sind sehr deutlich. Beide zeigen die damals bereits aufgegebene Seeroute um Kyûshû, und die Ortsnamen stimmen im großen und ganzen überein. Valentyn hingegen schöpfte auch aus anderen (VOC-)Quellen. Er bildete zum ersten Mal den Landweg zwischen Nagasaki und Kokura ab. Dessen ungeachtet vollbrachte Kaempfer die größte kartographische Leistung jener Zeit, als er mit einem versteckten Kompaß heimlich die gesamte Route aufnahm. (s. Walter, S.____in diesem Katalog). In der von Scheuchzer herausgegebenen Kaempferschen Gesamtkarte Japans (Kat. Nr. __) finden wir zwar alle Ortsnamen der 'Hofreise' eingetragen, doch fehlt jegliche verbindende Linie, so daß man hinsichtlich des genauen Reiseablaufs auf die Routenkarten zurückgreifen muß. Erst die Japankarte der niederländischen Ausgabe von Kaempfers Japanwerk (Kat. Nr.__) sowie die Adaptationen Tirions von 1728 bzw. um 1735 (Kat. Nr. ______) zeigen, daß Kaempfer auf der Insel Kyûshû zwischen Nagasaki und Yamaie zwei verschiedene Wege kennengelernt hatte.



 Erkundungen im Norden

Ursprünglich wurden die geographischen Informationen über Ostindien vorwiegend in Holland zusammengestellt und verarbeitet. Seit dem Dienstantritt des Generalgouverneurs Hendrick Brouwer im Jahre 1632 aber entwickelte sich Batavia als zweites kartographisches Zentrum der VOC. Brouwer hatte sich als Entdecker der südlichen Anreiseroute vom Kap der Guten Hoffnung nach Batavia einen Namen gemacht, durch welche die durchschnittliche Fahrt nach Ostindien auf sechs Monate schrumpfte. Über die Suche nach schnellen und sicheren Verkehrswegen hinaus unternahm die VOC auch Entdeckungsreisen - nicht nur, um neue Handelspartner zu finden. In Ermangelung geeigneter europäischer Güter, die man in Fernost verkaufen konnte, mußten die Gewürze, Porzellane und edlen Hölzer nämlich mit Gold und Silber bezahlt werden. Angesichts des unerwünschten Abflusses von Edelmetall aus den Niederlanden und der langen, riskanten Transportwege richtete sich der begehrliche Blick auf iberische Minen und Schiffe im mittel- und südamerikanischen Bereich. Auch suchte man, mit mäßigem Erfolg, in Formosa, Südafrika und Sumatra. Überdies hatten niederländische Kaufleute aus Mexiko Gerüchte über ein spanisches Schiff mitgebracht, das durch einen Sturm vom Kurs abgekommen und irgendwo östlich von Japan auf den legendären Gold- und Silberinseln gelandet w‰re. Schritt für Schritt wurden die von den Iberern übernommenen Karten verbessert. Die chinesischen Küstengewässer erkundete Matthys Hendrickszoon Quast während seiner Jagd auf portugiesische Silberschiffe aus Japan. Der eingangs erwähnte Visscher befaßte sich nicht nur mit dem japanischen Archipel. Seine Kenntnisse flossen auch in die Kartographie des Raumes um Tonkin und Hainan ein. Der berühmte Abel Janszoon Tasman sollte jene zwei Expeditionen gen Süden führen, auf denen man die Gestalt und Natur dieses neuen Kontinentes (Terra Australis) aufklärte.[16]

Brouwer hatte seinen Nachfolger Antonio van Diemen in Batavia ständig um sich. Als er 1636 aus dem Amt schied, brachte er zudem auf dessen Bitten eine Reihe von Empfehlungen hinsichtlich der Erkundungen und der Navigation zu Papier. Einen Schwerpunkt van Diemens bildete die Suche nach jenen Gold- und Silberinseln, die man 400 Meilen östlich von Japan auf der Höhe von 37 Grad 30 Minuten vermutete. Eigentlich wollte man von Japan aus aufbrechen, aber das gab man 1637 auf. Aus Holland kam dann die Anweisung, daß zugleich die Küste der Tartarei erkundet werden solle, wo man die großen Städte Cambalu und Brema aus Marco Polos Bericht vermutete. 1639 stachen dann zwei Schiffe von Batavia aus in See. Das Oberkommando führte Quast mit Maerten Geritszoon de Vries als zweitem Mann. Kapitän auf dem anderen Schiff war Tasman. Leider brachte diese Fahrt in die rauhen Gewässer östlich von Japan wenig außer der Entdeckung diverser Inseln, ziemlich beschädigten Schiffen und hohen Ausfällen durch Wassersucht und Skorbut. Ihr Expeditionsjournal kann man bei Teleki durchgehen.[17] Die 'Quastschen Inseln' zeigt eine Karte bei Siebold.[18]

In den vierziger Jahren läßt sich erstmals eindeutig die Beschäftigung von Kartenzeichnern in Batavia nachweisen. Einer davon war interessanterweise jener Zacharias Wagner, der 1656/57 sowie 1658/59 die Faktorei in Japan leitete. Er hatte seine Kunstfertigkeit 1632 bei dem Verleger Willem Janszoon Blaeu in Amsterdam verfeinert und zunächst für die Westindische Kompanie in Brasilien gearbeitet. Als er dann 1642 für die Ostindischen Kompanie im Range eines 'adelborst', einer Art Seekadett, nach Batavia zog, stieg er unverzüglich zum Assistenten und Kartenkopierer auf.

1642 fiel die Entscheidung für eine weitere Erkundungsfahrt, dieses Mal direkt zur Tartarei.[19] Da Japan möglicherweise im Norden mit dem Festland verbunden war, wählte man eine Route östlich des Inselarchipels. Zwei Schiffe wurden Anfang 1643 dem Oberkommando von Vries anvertraut: die Fleute[20] Castricum mit de Vries und dem Kapitän Pieter Willemszoon Knechtjes sowie die Jacht Breskens unter Hendrick Corneliszoon Schaep. Doch am zwanzigsten Mai trennte gewaltiger Sturm die Schiffe südöstlich von Japan in der Nähe der Insel Hachijôshima. Hierauf segelte die Castricum die japanische Küste entlang und erreichte am siebten Juni Ezo, das heutige Hokkaidô. De Vries hielt sich von der Küste entfernt und geriet im Nebel, ohne zu bemerken, daß Ezo bereits hinter ihm lag, bis in die Kurilen (Kat. Nr. ___ ). Dort fand er zwischen Etorofu (Iturup) und (Urup) die 'Straet de Vries' (auf russischen Karten noch heute 'Proliv Friza'). Die Gegend südlich davon nannte er 'Staten Landt', die nördlichen, scheinbar menschenleeren Regionen, die seiner Ansicht nach zu Nordamerika gehörten, usurpierte er feierlich als 'Companies Landt'. Im Zuge der weiteren Kartographierung der nordwestlichen Küste entdeckte er dann wieder eine Durchfahrt und zeichnete das 'Staten Landt' nun als Insel ('Staten Eylandt'). Die Ostküste Sachalins interpretierte man als Ostküste von Ezo. Dann übersah man im Nebel die Straße zwischen Sachalin und Ezo, die erst 1787 von La Pérouse erfaßt und nach ihm benannt wurde. Widrige Winde und dicker Nebel führten Ende Juli zum Abbruch dieser Erkundung. Die anschließende Suche nach den Gold- und Silberinseln blieb fruchtlos, so daß man sich auf den Heimweg machte. Südöstlich von Japan traf man auf die Breskens, die ebenfalls die südlichen Kurilen erkundet hatte, aber nicht weiter als bis Sachalin vorgedrungen war. Im November erreichten beide Schiffe Formosa. Zwar hatte man allerlei geographische Materialien zusammengetragen, doch nichts, was einen guten Kaufmann erfreuen könnte. Von weiteren Unternehmungen dieser Art sah man in der Folge ab.

Dies ist allerdings noch nicht die ganze Geschichte. Die Breskens nämlich war auf der Rückreise dem japanischen Reich zu nahe gekommen. Nach einem Sturm trieb sie der Mangel an Trinkwasser, Brennholz und frischem Proviant gegen Ende Juli bei Yamada in Nanbu an Land. Prompt wurden der Schiffer Schaep mit neun Mann seiner Besatzung, der jüngste gerade vierzehn Jahre alt, gefangengenommen und nach Edo gebracht. Die japanischen Behörden fürchteten seinerzeit nichts mehr als heimlich einreisende Missionare, und in der Tat wirkten die Umstände sehr verdächtig. Was suchte das Schiff so weitab von der üblichen Route in diesen nördlichen Gewässern? Und warum war es nach der Festnahme des Schiffsführers in die offene See entwichen? Hatte man wirklich nichts zu verbergen? Es kostete erhebliche Anstrengungen, ihre niederländische Herkunft nachzuweisen und glaubhaft zu machen, daß sie mit keinerlei schlechter Absicht unterwegs waren. Montanus schilderte in seiner zweiten 'Abteilung' ihre Ängste und Verhöre, zu denen eigens aus Nagasaki Dolmetscher herbeigeordert wurden.[21] An übel zugerichteten Jesuiten demonstrierte man, was ihnen bei Falschaussagen blühen könnte. Immer wieder wurden sie vernommen, wobei man ihre Antworten mit den vorherigen Einlassungen verglich.

Auch Fragen der Kartographie kamen wiederholt zur Sprache. So zog Ende September Christovão Ferreira, ein ehemaliger Missionar, nunmehr als Sawano Chûan naturalisiert und in Diensten des Reichsinspekteurs Inoue Masashige, eine Landkarte auf japanischem Papier hervor. Es sei ein 'platter Globus' gewesen, schrieben Schaep und der Unterkaufmann Willem Bylvelt. Der Aufzählung zufolge umfaßte er Ost- und Südostasien und deckte sich hinsichtlich Tartariens und Ezos zur Verwunderung der Niederländer nicht mit ihren Vorstellungen. Ferreira suchte nun nachzuweisen, daß sie die Unwahrheit sagten. Denn auf die von ihnen angegebene Weise hätten sie, wie diese Karte zeigte, ihr Ziel nimmermehr erreichen können. Natürlich stellten die beiden das entschieden in Abrede.[22] Den Diskurs griff wenig später der 'Reichsrat' Makino Chikanari auf, der wissen wollte, wie die Niederländer die Tartarei wohl ohne Karten finden wollten. Worauf Schaep seine nautischen Instruktionen anführte und die allgemeinen Informationen, die man aus Büchern über die Tartarei habe. Karten wollten sie selbst erst entwerfen. Wie es dann aber möglich sei, daß es zwar Weltkarten gebe, aber keine Karte der Tartarei? Schaep erwiderte, [exakte] Karten existierten nur von befahrenen Regionen. Als der hartnäckige Makino erwägt, einschlägige Unterlagen aus Nagasaki holen zu lassen , erklärt man ihm, daß dies dann Landkarten, keine Seekarten (mit exakten Küstenlinien) wären. Letztere könne es nach Treu und Glauben von der Tartarei nicht geben, da noch nie ein europäisches Schiff dort gewesen sei, sie würden sich andernfalls jeder ihnen auferlegten Strafe unterwerfen.[23]

Erst nach langem Bangen und mit Unterstützung des Faktoreileiters überstellte man die Gefangenen schließlich der VOC und versäumte nicht, auf die besondere Gnade hinzuweisen, die ihnen hier trotz ihrer schwerwiegenden Verfehlung gewährt wurde. Daß damit eine besondere Dankesbezeugung der Niederländer anstand, lag auf der Hand.

Eine Beschreibung von Ezo und den Einwohnern auf der Grundlage der Materialien der Castricum erschien schon 1646.[24] Die Erlebnisse während der Gefangenschaft einschließlich der Vernehmungen verzeichnet ein Journal von Schaep und Bylvelt sowie in Teilen das Tagebuch der Faktorei Dejima. Beide Quellen hat Montanus studiert und zusammengefaßt.[25] Auch Kaempfer fertigte auf Dejima einen Auszug aus den Schaepschen Aufzeichnungen an.[26] Die Vriesschen Erkundungen schloß der Amsterdamer Bürgermeister und Gelehrte Nicolaas Witsen in sein 1692 gedrucktes Werk 'Noord en Oost Tartaryen' ein. [27] Das Logbuch der Castricum wurde 1858 durch Leupe publiziert.[28] Weiter kennt man mehrere Manuskriptkarten, die auf dem Original von de Vries beruhen (s. Boscaro, S. _ in diesem Katalog).

Auf der Weltkarte von Joan Blaeu (1645/46) wurden die Entdeckungen der Vriesschen Expedition erstmals in gedruckter Form verbreitet. Zweifellos war mit dem hier dargestellten Ezo eine groteske Form in die Kartographierung des japanischen Archipels geraten. Doch wenn man sich den Ablauf der Reise und die Bedingungen klarmacht, unter welchen die Daten gesammelt wurden, dann fällt es schwer, de Vries und seinen Mannen einen Vorwurf zu machen. Die Einflüsse seiner Interpretation der Küstenlinie Ezos setzten sich bis zum neunzehnten Jahrhundert fort. Interessanterweise finden wir auch in Karten, auf denen Ezo angemessenere Konturen zeigt oder ganz fehlt, im nordöstlichen Bereich Honshûs entlang der einstigen Expeditionsroute eine Reihe niederländischer Bezeichnungen wie 'Ronde Holm', 'Princen Eylandt', 'Witte Hoek', 'Walvis Bocht', 'Schilpats Eylandt', 'Hoge Tafel berg', 'Croon berg' usw. Manchmal sind es nur wenige Namen, so auf der unscheinbaren Karte von Bucelinius die 'Walvisbocht'. In anderen Fällen erkennt man die gesamte Liste, die einen auffälligen Kontrast zu den japanischen Termini bildet: Martini, Cronelli, Valentyn , Chatelain , Brion de la Tour, Sayer, Cassini.

 

Anmerkungen

  • 1 Nippon I, Tab. VII
  • 2 Christoph Arnold 1672 , 1049
  • 3 Nippon I, Tab. IV, VII
  • 4 Algemeen Rijksarchief, den Haag (nachfolgend ARA), Factorij Japan Nr. 75 (Dagregister 1661/62), 19. und 24. Juli 1661
  • 5 Die allgemeinen Informationen zu diesem Kapitel fußen auf dem 'Lexikon der Edo-Kunde' (Nishiyama et al.), dem 'Lexikon der Geschichte der Weststudien' (Numata et al.) sowie den handschriftlichen Tagebüchern der Faktorei Japan aus dem Algemeen Rijksarchief in den Haag, besonders Factorij Japan Nr. 56, 58, 63, 64, 75, 96, 99, 104, 105. Für die Zeit von 1700 bis 1740 liefern van der Velde und Bachofers editierte Marginalia der Tagebücher einen guten Überblick.
  • 6 zu Schamberger s. Michel 1992
  • 7 siehe Montanus 1669
  • 8 zu Wagner Leben siehe Zandvliet 1987; zur deutschen Autobiographie Wagners im Dresdener Kupferstichkabinett siehe Michel 1987
  • 9 Willman 1667
  • 10 Kaempfer 1727
  • 11 Thunberg 1794
  • 12 Siebold 1832 - 1858
  • 13 zu Cleyer siehe Kraft 1985
  • 14 zu Titsingh siehe Lequin 1990
  • 15 British Library, London (nachfolgend BL), Sloane Collection Nr. 3060, fol. 356v.
  • 16 Zandvliet 1988, 73f.
  • 17 Teleki 1909, 46 - 95
  • 18 Nippon I, Tab. V
  • 19 Zandvliet 1988, 77; Schilder 1990, 269ff.
  • 20 Fleute, mittelgroßer Dreimaster mit niedriger Takelung, vorne und hinten breit gebaut. Zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert vorwiegend zum Transport von Schwergut und zum Walfang gebaut.
  • 21 Montanus 1669, 280ff.
  • 22 ARA, VOC Nr. 1148, fol. 369 (28.9.1643)
  • 23 ARA, VOC Nr. 1148, fol. 372/372 (6. 10.1643); vergleiche hierzu auch die Aussagen auf fol. 370 (1. 10. 1643), fol. 374 (10.10. 1643)
  • 24 Journal ende Historis verhael; Auszug bei Kapitza 1990, I, 527ff.
  • 25 ARA, Factorij Japan Nr. 58 (Dagregister 1643/44), ab 10.9. 1643; vergleiche hierzu Valentyn V, II, Buch 9, 101 - 103; desgleichen die Generale Missive bei Coolhaas, Teil II, 212f.
  • 26 BL, Sloane Collection Nr. 3061, fol. 115 - 118
  • 27 Witsen 1692; Auszug bei Kapitza 1990, I, 933f.
  • 28 Leupe 1858; Auszug bei bei Kapitza 1990, I, 531f.

 Personendaten

  • Brouwer, Hendrick (VOC-Gouverneur von 1632 bis 1636)
  • Cleyer, Andreas (1634 - 197/98); Apotheker, Kaufmann, Gelehrter; Faktoreileiter in Dejima 1682 - 83 sowie 1685 - 86)
  • Ferreira, Christovão alias Sawano Chûan (1580-1650), Missionar, seit 1610/11 in Japan, Abkehr vom Christentum, Verfasser bzw. Übersetzer von Schriften zur Astronomie und Medizin
  • Kaempfer, Engelbert (1651 - 1716; Arzt, Naturforscher, Faktoreiarzt auf Dejima 1690 - 91)
  • Mercklein, Johann Jacob (Apotheker, Schiffsbarbier der VOC von 1644 bis 1653)
  • Montanus, Arnoldus bzw. Arnold van [den] Bergen (~1625 - 1683; Prädikant, Rektor einer Lateinschule, Autor von Geschichtswerken und Reisebeschreibungen)
  • Schamberger (in niederl. Quellen Schambergen), Caspar (1623 - 1706, Barbierchirurg, Handelsmann, Faktoreibarbier auf Dejima 1649 - 51, Stammvater der japanischen Caspar-Chirurgie)
  • Tasman, Abel Janszoon (1603 - 1659, Seefahrer, Entdecker von Tasmanien, Erforscher Australiens usw.)
  • Thunberg, Carl Peter (1743 - 1828; Mediziner, Botaniker, Faktoreiarzt auf Dejima 1775 - 76)
  • Titsingh, Isaac (1744 - 1812; Kaufmann, Gesandter der VOC, Japanforscher, Faktoreileiter in Dejima 1779 - 80, 1781 - 83)
  • Tokugawa Ieyasu (1542 - 1616; 1. Shôgun der Tokugawa-Dynastie, regierte von 1603 bis 1605)
  • Tokugawa Tsunayoshi (1646 - 1709; 5. Shôgun der Tokugawa-Dynastie, regierte von 1680 bis 1709)
  • van Diemen, Antonio (VOC-Gouverneur von 1636 -1640)
  • Visscher, Frans Jacobszoon (+1645, Seefahrer, Kartograph)
  • [de] Vries, Maerten Gerritszoon (+1647, Seefahrer, Kartograph)
  • von Siebold, Philipp Franz (1796 - 1866; Arzt, Naturforscher, Faktoreiarzt auf Dejima von 1823 - 1829, zweiter Aufenthalt in Japan 1859 - 1862)
  • Wagner (in niederl. Quellen Wagenaer), Zacharias (1614 -1668; Zeichner, Kaufmann, Faktoreileiter in Dejima 1656 - 57 sowie 1658 - 59)
  • Willman, Olof[f] Ericksson (1624? - 1673?; Soldat, als 'Hofmeister' in Japan 1651 - 1652)

 

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