Buchbesprechung OAG Notizen, Nr. 11, 1999, S. 25-30


Wolfgang Michel: Von Leipzig nach Japan. Der Chirurg und Handelsmann Caspar Schamberger (1623 - 1706). München: iudicium 1999. Eine Veröffentlichung der Deutschen Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens, (OAG) Tokyo. ISBN 3-89129-442-5. 304 Seiten, zahlreiche Indizes, DM 38,-

Josef Kreiner

Um es gleich vorweg zu nehmen: Auf das Erscheinen dieses Buches habe ich lange und ungeduldig gewartet. Als ich es endlich m den Händen hielt, habe ich es an einem Nachmittag - alle andere Arbeit blieb liegen - in einem Zuge durchgelesen und bin sicher, daß ich es noch viele Male nicht nur lesen, sondern auch studieren und zitieren werde. Wolfgang Michel hat in der wissenschaftlichen Aufarbeitung deutsch-japanischer Beziehungen neue Maßstäbe gesetzt. Er hat aber auch ein lesbares, spannendes Buch geschrieben, das ich jedem bestens empfehle, der sich für die historischen Kontakte zwischen unseren beiden Ländern und Kulturen interessiert.

Bei offiziellen Gelegenheiten wie Staatsbesuchen oder Festansprachen werden von Vertretern Japans wie Deutschlands immer wieder Namen wie Engelbert Kämpfer oder Philipp Franz von Siebold, vielleicht auch noch Erwin Baelz, Mori Ogai oder einer der vielen deutschen o-yatoi gaikokujin (Ausländer im Dienste der Meiji-Regierung) bzw. japanischen Studierenden an deutschen Universitäten bemüht, um ein besonders enges Verhältnis zwischen den beiden Ländern/Völkern zu beschwören.

Zwei Dinge werden dabei völlig übersehen: Zum einen gelten zumindest die beiden Erstgenannten, Kämpfer und Siebold, in Japan wie in der übrigen Welt meist als Holländer - sind sie doch im Dienste der VOC (Vereinigte Ostindische Handelskompanie) bzw. des niederländischen Kolonialministeriums nach Japan gekommen. Siebolds bekannteste Japansammlung liegt in Leiden, seine Japanwerke sind in Leiden verlegt worden. Kämpfers Nachlaß liegt im British Museum und in der British Library - daher der verwunderte Ausspruch eines auch in der Japanforschung bekannten Botschafters des U.K.: "Isn't he [= Kämpfer] British?" Auch in der Phase der Modernisierung Japans Ende des 19. Jahrhunderts waren neben Deutschen zahlreiche andere Europäer und Amerikaner in Japan tätig und haben ihre Spuren selbst in Gebieten hinterlassen, die gemeinhin als "deutscher Einfluß" angesehen werden wie etwa Recht, Medizin oder Militärwesen.

Auf der anderen Seite wird vergessen, daß die japanischen Kontakte mit Deutschland - oder besser: dem mitteleuropäischen Raum, denn eine genaue Abgrenzung dessen, was Deutschland ist, fällt oft schwer - sehr viel breiter und auch älter sind, als es die wenigen, immer wieder genannten Arbeiten vermuten lassen. Schon auf den portugiesischen Galeonen des 16. Jahrhunderts waren viele Deutsche als "Spezialisten" wie Navigationsoffiziere, Schiffszimmerleute und Kanoniere nach Asien gekommen[1], vielleicht sogar bis Japan, wenn wir auch ihre Namen nicht kennen. Auch die Niederländer - bis 1648 noch gar nicht als unabhängiger Staat anerkannt und in Rebellion gegen Habsburg und das Reich begriffen, brauchten "ausländische" Besatzungen und Fachleute für ihre Asienfahrten. Deutschland als wirtschaftlich zurückgebliebenes Gebiet, zerissen in Religionskämpfen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen, stellte den Großteil der im 18. Jahrhundert fast ein Drittel aller "Indienfahrer" ausmachenden nicht-holländischen Besatzungen.[2] Im 17. Jahrhundert für die keine Heuer-Listen vorliegen, müssen es noch mehr gewesen sein. Die zahlreichen Deutschen unter den Direktoren der Faktorei auf Dejima im Hafen von Nagasaki, aber auch unter den Faktorei-Ärzten, beweisen, daß für diese Deutschen Batavia nicht immer Endpunkt ihrer Indienfahrten gewesen ist.

Von der Forschung sind die bekannteren unter den frühen "Japan-Deutschen" schon seit den 1930er Jahren zum Gegenstand von Untersuchungen und kleineren Veröffentlichungen gemacht worden.[3] Vor allem sind jene des öfteren zitiert, die schriftliche Berichte über ihre Japan-Erlebnisse und -Eindrücke hinterließen oder in der japanischen Geschichte Spuren hinterlassen haben. Caspar Schmalkalden etwa mit seinen Die wundersamen Reisen des Caspar Schmalkalden nach West- und Ostindien 1642-1652 (neu hg. von Wolfgang Joost, Leipzig 1983) oder die ganze Reihe jener, deren Berichte L'Honoré Naber als Reisebeschreibungen von deutschen Beamten und Kriegsleuten im Dienste der niederländischen West- und Ost-indischen Kompagnien 1602-1797 in neun Bänden 1930 bei Martinus Nijhoff, Den Haag herausgegeben hat (darunter Johann Jacob Merklein als Japan-Fahrer). Noch andere könnten genannt werden. Für jene, die für Japan wichtig wurden, steht der Name des Kanoniers und Geschütz-Gießers Wolfgang Braun, der für den dritten Shôgun Iemitsu Mörser goß und in Edo vorführte.[4]

Bei all diesen bemühten Forschungen und Publikationen fehlt mir eigentlich immer die Auseinandersetzung mit den Gründen dieser Männer, die sie in die Dienste der VOC trieben, d. h. mit dem geschichtlichen Hintergrund ihrer deutschen Heimat. Das gilt auch für die Zeit nach ihrer Rückkehr. Bei Kämpfer kennen wir die mißlichen Umstände seiner Anstellung als Leibarzt seines Landesherrn zur Genüge, auch seine ehelichen Schwierigkeiten. Jedenfalls wissen wir einigermaßen Bescheid über die Ursachen, die ihn an der gründlichen und zielstrebigen Aufarbeitung des in Japan gesammelten Materials hinderten. Aber schon über die Wirkungsgeschichte von Kämpfers History of Japan gab und gibt - trotz Peter Kapitzas Aufklärungen über diesen Fragenkomplex[5] - die merkwürdigsten Behauptungen. Für all die anderen aber ist von der bisherigen Forschung zu diesen wichtigen, ja entscheidenden Fragen soviel wie nichts beigebracht worden Meine Erklärung dafür ist einfach die, daß Japanologen und mehr noch natürlich japanische Historiker zwar jede japanische Quelle um- und umdrehen, auch jedes Wort, das zu Japan in den deutschsprachigen Berichten geäußert wurde, akribisch genau notieren, aber das deutsche Material, d.h. die historischen Quellen in den Heimatorten der behandelten Japan-Fahrer, sträflich vernachlässigen. So entsteht ein Eindruck, als seien diese Männer wie Kometen von irgendwoher in Deutschland in Japan erschienen und wären nach Niederschrift ihrer Japan-Berichte wieder im Nichts verschwunden.

Und nun kommt Wolfgang Michel und zeigt uns allen, wie es gemacht wird! Zwar ist der Name des "Chirurgen" Caspar Schamberger der 'bisherigen Forschung wohl bekannt gewesen. Vor allem als Begründer einer angeblich ersten europäischen "Schule" der Chirurgie in Japan, der sogenannten Caspar-ryûgeka, wird Schamberger immer wieder genannt. Aber wer er wirklich war und was aus ihm nach seiner Rückkehr nach Deutschland geworden ist, das blieb terra incognita. Michel aber kann auf Grund höchst beeindruckender Quellenforschung in Leipzig, der Heimatstadt Schambergers, ein mitreißendes Gemälde entwerfen: Er beschreibt die Verhältnisse in der Stadt Leipzig während der Wirren des Dreißigjährigen Krieges, die oft handgreiflich werdenden Streitigkeiten zwischen den Badern und Babieren - und findet plötzlich Dokumente zum Studium, über die Ausbildung und die Lehr- bzw. Wanderjahre des jungen Caspar Schamberger! Zum ersten Mal wird hier von Michel auf Grund seines immensen Wissens über die europäische und japanische Medizingeschichte verständlich gemacht, wie wenig sich damals beide Wissenschaftstraditionen unterschieden und was konkret ein europäischer "Chirurg" seinen japanischen Kollegen voraus hatte.

Schambergers Japanfahrt 1649 fällt in eine Zeit erheblicher Schwierigkeiten in den holländisch-japanischen Beziehungen (Westfälischer Friede mit Spanien/Portugal, Taiwan-Zwischenfälle, De Vries-Expedition in den Nord-Pazifik). Die Überfahrt von Batavia nach Nagasaki macht Schamberger auf der "Robijn", die auch den Sondergesandten Blockhof an Bord hatte, schon schwer krank vor der Abfahrt, von dem man erwartete, ja geradezu erhoffte, er werde die Ankunft in Japan nicht erleben - damit konnte man den Japanern einen Gesandten präsentieren, der für die Wiederherstellung freundlicher Beziehungen sein Leben aufgeopfert hatte (Sarg und Trauerkleidung hatte man vorsorglich schon an Bord genommen). Die Einzelheiten dieser Tragikomödie breitet Michel ebenso vor uns aus wie die großen europäischen Zusammenhänge der niederländischen Japan-Beziehungen, die dahinterstehen.

Damit nicht genug: Wenn ich im Vorhergegangenen schrieb, die bisherige Forschung hätte sich mit der Erfassung der japanischen Quellen begnügt, so beweist nun Michel mit seimer detaillierten Forschung über das Wirken Schambergers in Edo als Berater und Lehrer des Leibarztes von Minister Inoue Mino-no-kami Masashige, daß diese Beschäftigung völlig unzureichend gewesen ist. Die von Michel erschlossenen Quellen und Dokumente lassen vor uns ein völlig neues Bild vom Einfluß dieser "Medizin-Schule", deren Vertreter - wie Kawaguchi Ryôan - und ihrer Werke entstehen. Erneut wird durch Michels Funde bewiesen, wie viele wichtige Quellen in Japan noch immer ans Licht gebracht werden können, wenn man sich mit Überzeugungskraft, aber auch Bescheidenheit und Aufrichtigkeit das Vertrauen der Familien erwerben kann, die über Jahrhunderte hinweg Schriften, Genealogien, Tagebücher und Aufzeichnungen ihrer Vorfahren bewahren.

In Leipzig liegen viele dieser Quellen im Stadtarchiv: Michel hat sie befragt und kann uns auf Grund dieses Materials den Lebenslauf Schambergers in Leipzig nachzeichnen: Schambergers Eheschließungen, seine König-Salomon-Apotheke in der Grimmaischen Gasse, seine Gärten am Stadtrand (und die Gerichtsstreitigkeiten mit Nachbarn um das Wasser der Teiche) und schließlich seine Kinder und Kindeskinder. Ein Sohn, Johann Christian Schamberger, war Mediziner und Rektor der Leipziger Uversität - so versteckt kann das Material gar nicht gewesen sein, und trotzzdem hat sich bisher niemand darum gekümmert. Selbst ein Porträt Schambergers hat Michel gefunden!

Nun kann sich niemand mehr auf das Fehlen lokaler deutscher Quellen berufen, wenn er frühe Japan-Deutsche behandelt. Ein Standard wurde gesetzt, an dem sich jeder messen lassen muß! Ich hoffe nur, daß das Beispiel Schule macht: Zacharias Wagener, Andreas Cleyer, Georg Meister und viele andere warten auf eine ähnlich ausführliche Beschreibung ihres Lebens und Wirkens. Michel hat manche wertvolle Ergebnisse seiner Arbeit auch zu anderen Japan-Deutschen schon in der Zeitschrift seiner Universität der Dokufutsu Bungaku Kenkyu der Kyushu Universität veröffentlicht. Bevor er sich jedoch diesen Arbeiten weiter zwendet, erhoffe ich von Wolfgang Michel noch den zweiten Band zu Caspar Schamberger, die medizingeschichtliche Bearbeitung der von ihm entdeckten Quellen zur Wirkungsgeschichte der Caspar-ryû-geka, der "Chirurgie nach Caspar" im Japan der frühen Edo-Periode. Und wünsche ihm die Auffindung der Handschrift von Schambergers "Japanischer Reißbeschreibung", von der Michael Bernhard Valentini 1704 schrieb.

Alles in allem ein höchst erfreuliches Lesevergnügen, ein wertvoller Beitrag zur Geschichte der deutschjapanischen Beziehungen sowie ein neuer Standard der Aufarbeitung japanischer Wissenschafts(Medizin)-geschichte, zu dem ich den Verfasser und die OAG als Herausgeberin beglückwünsche.


[1] Z. B. bei Marie Antoinette Petronella Meilink-Roelofsz: Asian Trade and European Influence in the Indonesian Archipelago between 1500 and about 1630, s'Gravenhage: Martinus Nijhoff 1962, S. 129.
[2]Siehe Carl Steenstrup: Scandinavians in Asian Waters in the 17th Century. On the Sources for the History of the Participation of Scandinavians in Early Dutch Ventures to Asia. In: Acta Orientalia No. 43, 1982, S. 69-83.
[3] Vgl. etwa H. von Schulz: Bibliographische Forschungen zur japanischen Kulturgeschichte im Japaninsstut zu Berlin, in: Japanisch-Deutsche Zeitschrift N.F. Jg. 1, Seite 44-56, 78-84, Berlin 1928/29; ergänzt bei Josef Kreiner: Deutschland Japan. Die frühen Jahrhunderte, in: J. Kreiner, hg: Deutschland - Japan. Historische Kontakte, Bonn: Bouvier 1984, Seite 1-53.
[4]Zu Braun siehe etwa bei Josef Kreiner: Deutsche Spaziergange in Tôkyô, München: iudicium 1996, mit weiteren Literaturhinweisen.
[5] Peter Kapitza: Engelbert Kaempfer und die europäische Aufklärung Zur Wirkungsgeschichte seines Japanwerkes im 18. Jahrhundert, in OAG, hg.: Engelbert Kaempfers Geschichte und Beschreibung von Japan. Beiträge und Kommentar, Berlin-Heidelberg-New York: Springer, 1980, S. 41-63.

(Prof. Dr. Josef Kreiner, Universität Bonn)

 

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