Wolfgang Michel: "Von Leipzig nach Japan". Der Chirurg und Handelsmann Caspar Schamberger (1623-1706). Iudicium Verlag, München 1999, 304 S., br. 38.- DM.

 

Review: W. Michel: "Von Leipzig nach Japan". Der Chirurg und Handelsmann Caspar Schamberger (1623-1706)


 Lippische Mitteilungen aus Geschichte und Landeskunde 70. Band (2001), S. 400f.


Der Verfasser des vorliegenden Buches ist den mit der Forschungssituation des Werkes Engelbert Kaempfer's Vertrauten bestens bekannt; seit Anfang der 80er Jahre publiziert der an der Kyushu-Universität in Japan lehrende Literaturwissenschaftler medizin- und kulturgeschichtliche Abhandlungen über das früh-neuzeitliche Japan, insbesondere zu dessen wissenschaftlich-kultureller Entdeckung durch den Westen, bzw. wissenschaftlich-kultureller Verflechtung mit dem Westen.

Zu nennen sind u.a. die Übersetzung und interpretatorische Einordnung von ten Rhijne's Dissertatio (1989/1990), die Bearbeitung von Cleyer's Sendschreiben vom 20. Dezember 1683 (1991), die Arbeit über frühe westliche Quellen zu Akupunktur und Moxibustion (1993), die Übersetzung und Edition des Moxibustions-Traktates von Buschof (1993) und nicht zuletzt mehrere Arbeiten über Einzelfragen des medizinischen Werkes von Kaempfer sowie schließlich sein Uberblick über den Forschungsstand zum medizinischen Werk von Kaempfer im Sammelband (1993) der Kongreßbeiträge (Lemgo/Tokyo 1990) zu dessen 350. Geburtstag. Dabei kommt Michel neben seinen philologischen Kenntnissen u.a. des Japanischen sein dezidiert in ein kulturhistorisches Rüstzeug eingebettetes medizingeschichtliches Interesse entgegen; beides unterscheidet ihn von der bisherigen Forschung, die noch bis Haberland's Kaempfer-Lebensbild (Von Lemgo nach Japan, 1990; hat Michel hier seinen Titel entlehnt?) von der Tradition der - disziplinensystematisch in der Geographie angesiedelten - sog. Reiseliteratur der Entdecker und Forschungsreisenden bestimmt wurde.

Während der Beschäftigung mit den (auch rein sprachlich gesehen) vielfältigsten Quellen seines Forschungsgegenstandes begegnete Michel auch dem Namen und Werk Caspar Schambergers. Im Unterschied zu den im Japan des 16. - 18. Jahrhundert bisher von der (Wissenschafts-) Geschichtsschreibung im Vordergrund beachteten Figuren war Schamberger aber kein akademisch gebildeter Mann (Arzt, Theologe, ...) oder Kaufmann, sondern ein Vertreter der nicht-akademisch gebildeten mittelalterlich/frühneuzeitlichen Chirurgie.

Nach mehreren Einzelarbeiten veröffentlicht Michel seine Forschungsergebnisse über Schamberger mit dem vorliegenden Band zum erstenmal in monographischer Form.

1623 (27 Jahre vor Kaempfer) wird Schamberger in Leipzig als Sohn eines Weinhändlers geboren; der früh vaterlos gewordene und in den Wirren des 30jährigen Krieges aufwachsende Jüngling wird mit 17 Jahren einem erfahrenen Barbier als Lehrjunge zugewiesen. Nach Lehr- und Wanderjahren bewirbt sich Schamberger als Chirurg bei der Holländisch-Ostindischen Kompanie, wird angenommen und auf drei Jahre in Dienst genommen. 1643 von Holland aus eingeschifft erreicht Schamberger unter schwierigsten Bedingungen (u.a. des andauernden auch mit kriegerischen Mitteln ausgetragenen Konkurrenzkampfes zwischen Portugal, Spanien und Holland) endlich 1649 die Faktorei Deshima vor der japanischen Hauptinsel Kyushu, wo er die nächsten Jahre lebt und arbeitet. Während dieser Zeit behandelt er Patienten (aus der Faktorei und zu ihm gebrachte Japaner, vor allem höhergestellte Personen) und - was für seine Wirkung und seinen Nachruhm in Japan noch entscheidender werden sollte - er unterrichtet u.a. am Hofe des Shogun in Edo, wohin er zweimal reist und längere Zeit bleibt, Japaner in den Künsten der zeitgenössischen handwerklichen europäischen Chirurgie. Nach etlichen im Dunkeln liegenden Jahren, die er im ostasiatischen Raum als Schiffschirurg verbringt, kommt Schamberger 1655 wieder nach Leipzig zurück, wo er sich als Kaufmann niederläßt und eine Familie gründet. Einer seiner Söhne kann später im Hause des Vaters eine Apotheke errichten, die - so vermutet MicheI - auch von den Handelskenntnissen und Therapeutenerfahrungen des Vaters mit asiatischen Drogen profitiert. 1702 stirbt Schamberger als angesehener Sohn seiner Vaterstadt.

Michel wählt für sein Buch das Stilmittel einer auf Detailergebnisse der historischen Forschung und Querschnittsdarstellungen (z.B. über die Zunft der Chirurgen, Bader und Feldschere und ihre Ausbildungsinhalte, über die politische Struktur Japans zur Zeit Schambergers, über das Leipzig der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts) gestützten literarisch ambitionierten Lebensbeschreibung seiner Hauptfigur und erreicht in dieser Mischung von z.T. auch locker formulierten biographisch gehaltenen und von stärker historisch berichtenden, bzw. reflektierenden Teilen das Ziel der Beschreibung eines Lebensbildes bei vergleichsweise spärlicher biographischer Quellenlage.

Was Michels Buch über seinen Anschauungswert eines Zeitbildes hinaus lesenswert macht, ist der reich-gelehrte - häufig auf eigene Forschungsergebnisse zurückgreifende - Apparat, der auch für die Kaempfer-Forschung nutzbringend erscheint; so finden wir hier außer den in der Regel bisher unbekannten 55 Abbildungen ein deutschjapanisches Glossar wichtiger japanischer Ämter neben einer tabellarischen Auflistung der Faktoreileiter und des medizinischen Personals von Deshima zwischen 1609 und 1700.

Michel vollzieht mit dem vorliegenden und mit dem im Vorwort angekündigten Buch (über die Fortentwicklung der von Schamberger in Japan angestoßenen Rezeption der europäischen Chirurgie "im Stile Caspars", die später zum Kern der "Hollandkunde" aufstieg) einen mehrfachen - auch medizinsoziologisch interessanten - Fokuswechsel der historischen Betrachtung: von der akademisch gebildeten zur handwerklichen Medizin und von den "Rotschöpfen" (Europäer) auf die Japaner selbst. Damit rückt mehr und mehr der "medizinische Alltag", die Kooperation beider Klassen medizinischer Ausbildung und die Vermischung von Handlungs- und Wissenselementen der beiden verschiedenen Kulturen in den Vordergrund, auf den auch die von Michel geplante Herausgabe der Tagebücher und medizinischen Notizen Engelbert Kaempfers (Collectanea Japonica der Sloane Collection des British Museum) ein neues Licht werfen wird.

B. Schmincke

 

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