Schweizerische Asiengesellschaft - Société Suisse-Asie: Asiatische Studien Études Asiatiques. LVII / 2 / 2003



KAEMPFER, Engelbert: Werke. Kritische Ausgabe in Einzelbänden.
Herausgegeben von Detlev Haberland, Wolfgang Michel, Elisabeth Gössmann. München: Judicium Verlag, 2001


[S. 406] Wolfgang Michel und Barend J. Terwiel besorgten die beiden Bände Werke 1/1 und Werke 1/2 mit dem Titel Heutiges Japan. Detlev Haberland ist Herausgeber der Briefe von 1683 – 1715 unter dem Titel Werke 2. [S. 407] Schriften und Briefe, alle basieren auf Kaempfers Manuskript, sind akribisch kommentiert und Werke 1/1 auch mit erläuternden Zeichnungen, Landkarten, Architekturen, zoologischen und botanischen Motiven u. a. illustriert.
Engelbert Kaempfer ist im Lemgo, Nordrhein-Westfalen, 1651 geboren und 1716 daselbst verstorben. Seine geisteswissenschaftlichen und naturwissenschaftlichen Studien charakterisieren ihn als Humanisten des 17. Jahrhunderts. Dank seines Rufes als hervorragender Mediziner engagiert ihn die Holländische Ostindien-Handelsgesellschaft als Arzt. In Nagasaki beziehungsweise auf Dejima ist er von 1690 bis 1692 tätig. Die zwei Jahre nützt er, so weit es ihm möglich war, zu einer erstaunlich aspektreichen Erkundung Japans. Die Begleitung der jährlichen obligaten Tributgesellschaft nach Edo waren für Kaempfer Forschungsreisen.
Ein Bild des Menschen Kaepmfer vermitteln am direktesten die Briefe aus Nagasaki/Dejima mit dem je nach Empfänger spontanen Äusserungen. Da schreibt er beispielsweise am 4. November 1690 an Jacob van Dam, einen Gönner, der den vorderen und mittleren Orient bereist und danach hohe Ämter in den Niederlanden hatte:
Sobald ich hörte ein kleines chinesisches Schiff sei nach Batavia bestimmt, schien es mir geboten, in aller Eile ein Brieflein zu verfassen, in dem ich meine Fortschritte melden könnte, einerseits in der Gesundheit, anderseits mit Würfel, den ich in der Sprache und Schrift des hiesigen Volkes habe fallen lassen. Sie hat zwei Alphabete, [Hiro]gana und Katakana. Ich hätte sie Dir gerne geschickt, wenn es erlaubt wäre, so was den Zensoren unter die Augen zu legen, so dass ich es nicht einmal wage, die Begriffe in der Nationalsprache zu schreiben, ausser in einer fremden Sprache. Beide beherrsche ich ziemlich gut, und ich werde auch nicht müde, die Sprache eifrig zu gebrauchen und in der Form von Grammatik und Wortschatz zu erfassen, damit ich, umso besser gerüstet das botanische Stadion betrete.
Zu dieser Passage vier, auch allgemein gültige Hinweise: 1) Der Brief ist im Manuskript lateinisch. Kaempfer schrieb, wie Detlev Haberland bemerkt, drei Muttersprachen, nämlich Deutsch, Holländisch und Latein. Der Herausgeber druckt das Original und übersetzt es anschliessend in modernes Deutsch. – 2) Der aussergewöhnliche Wissensdurst, mit dem Kaempfer sich der fremden Sprache, dem fremden Volk zuwendet. – 3) Das diplomatische Geschick, mit dem Kaempfer sich nach der staatspolitischen Situation richtet. – 4) Der Forschergeist, der sich speziell in der Botanik zeigt. (Zur Botanik vgl. auch den Brief an van Dahm S. 426).
In einer Briefstelle eines holländischen Originals manifestiert sich ein weiterer Wesenzug des hochgebildeten Menschen. Im Herbst 1690 schreibt er aus Dejima an Wybrand Lycochton, Angehöriger der Komission der Holländischen [S. 408] Gesellschaft für Persien. Da schildert er seine Reise von Siam nach Japan:
Über zweieinhalb Monate sind wir in Stürmen und Unwettern, während der Himmel und die See ständig miteinander kämpften, vorangekrochen. O Ilias des Unglücks! Die ständige Angst und Not waren für uns noch nicht Unglück genug, da mussten auch Hunger und Durst dazukommen. [...] Wahrlich, diese Reise nach Japan und die während dieser ausgestandenen Unglücke waren mehr als sie Odysseus während seiner ganzen Irrfahrt erduldet hatte.
Und über Japan äussert er sich wie folgt:
Die Höflichkeit und der Verstand dieser Nation sind grösser als ich früher geglaubt habe – auch die Strenge, mit der man uns beschrängt, kommen eher aus der Form und dem Geist der Herrschaft als aus Missgunst und niedriger Gesinnung.
Hierzu die Bemerkung: Zum einen zitiert er mit der Selbstverständlichkeit des Humanisten Ilias und Odyssee und zum andern überrascht nach dem Brief an van Dahm die neue Einsicht in die Organisation des japanischen Staates. Die Abschliessung Japans versteht Kaempfer als eine Politik der Einheit, die dem Land, dank dem seit den 1630er Jahren unterbrochenen Kontakt mit dem Ausland Frieden und Einheit gebracht haben.
Aus den Briefen allein, vermutet man anfänglich, liesse sich der Lebenslauf Kaempfers ablesen; im Personenregister und im Ortsregister finden sich Indizien für die Schwerpunkte. Da wären unter den Ländern Indien, Persien, Japan, unter den Personen Safii II, der persische Schah Suleimann, dann Ludwig Fabritius, Wybrand Lycochton und viele andere mehr. Haberland hält jedoch zur Überlieferungsgeschichte des handschriftlichen Nachlasses fest, die Quellenlage einer kohärenten biographischen Darstellung sei recht unbefriedigend, da Kaempfers Leben nur höchst ungleichmässig durch Briefe und persönliche Schriftstücke dokumentiert werde.
Haberland versieht die 182 Briefe mit erschöpfenden Erläuterungen. In der Vorbemerkung schreibt er, viele Fragen wären allerdings unbeantwortet, da sich die Korrespondenz geographisch von Moskau bis Dejima und über Südafrika nach Lemgo erstrecke und wissenschaftlich, von der Slawistik über die Botanik bis hin zur Wirtschafts- und Geldgeschichte ausdehne.
Der vollständige schrifliche Nachlass wurde nach Kaempfers Tod 1716 vom Briten Sir Hans Sloane erworben und 1759 den Sammlungen des British Museum inkorpotiert. Das Manuskript, d. h. die japanbezüglichen Texte sind die Basis der vorliegenden kritischen Edition. Eine erste englische Übersetzung aus dem Jahre 1727 mit dem Titel “The History of Japan” ; stammt von dem Schweizer [S. 409] J. Caspar Scheuchzer; und erst fünfzig Jahre danach 1777/79 veröffentlicht Christian Wilhelm Dohm die deutsche Übertragung “Geschichte und Beschreibung von Japan. Aus den Originalhandschriften.” ;
Über die äusserst komplexe Textgeschichte informiert Wolfgang Michel im Band 1/2 “Heutiges Japan” ; unter dem Titel “Struktur, Eigenschaft und quellengeschichtliche Position des Manuskripts” . Für Buch 1, Kapitel 1 und 2 ist Barend J. Terwiel zuständig. Pararell angeordnete Auszüge aus dem Londoner Manuskript, aus “History of Japan” ermöglichen die augenfällige Einsicht in die Textgeschichte, und darüber hinaus zeigt sich ein Aspekt der Arbeitsmethode Kaempfers.
Als Beispiel ein Textvergleich:
Das Londoner Manuskript:
Umb die Meinung der Japaner von dem Uhr Zustande Ihres Reiches (: welches Sie ehemals vor den gantzen Erdboden gehalten: und selbiges bis auf heutige Zeitt beherrschet worden, mit unterscheid zu verstehen, so hatt man dessen historie und Zeitt rechnung in 3. Aeven abzuheilen, als in eine (1) Fabulöse, (2) Ungewisse, und (3) Wahrhaftige.
Scheuchzer übersetzt:
The better to understand the opinion of the Japanese about the original state of their Country (which formerly they looked upon as the only inhabited part of the earth,) and the succession of their Emperors and Monarchs down to this present time, J have thought fit to divide the History and Chronology of the Empire, in three Area’s, a fabulous, a doubtful and a certain.
Dohm übersetzt:
Um die Meinungen der Japaner über den ersten Ursprung ihrer Nation, die sie als im Lande selbst entstanden angeben, und die verschiedne Folgen ihrer Kaiser desto begreiflicher zu machen, habe ich nötig gefunden, die ganze Geschichte und Chronologie von Japan in drei Epochen abzuteilen, die fabelhafte nemlich, die zweifelhafte und die gewisse.
Michel kommentiert die drei Versionen und weist im Speziellen darauf hin, es sei signifikant, wie Dohm sich stellenweise an den englischen Text hält.
In einem nächsten Abschnitt gibt Michel Engelbert Kaempfers japanische Informanten an; unter den fünf wichtigsten ist Gen‘emon Eisei zu erwähnen. Allerdings, so Michel, erwähne Kaempfer dessen Namen im Vorwort des Japan-Manuskripts nicht, erst in der überarbeiteten Form gehe er auf den jungen intelligenten Mann ein, ohne seinen Namen zu nennen. Als dann die Kaempferforscher die Abschnitt einer japanischen Bürgschaft im Kaempfer-Nachlass der [S. 410] British Library, sowie einen Eintrag im Tagebuch der Faktorei Dejima entdeckten, konnte der Informant 1990 identifiziert werden.
Nach den japanischen Gewährspersonen werden sechzehn europäische Fernostreisende im Um- und Vorfeld Kaempfers vorgestellt; danach folgt eine westliche “Japankunde” und eine östliche “Hollandkunde” ; schliesslich werden auf dreissig Seiten alle von Kaempfer benutzten Schriften und Karten aufgelistet. Der Kommentarband ist ein Nachschlagwerk, das vor, während und nach der Lektüre des Textbandes “Heutiges Japan “ konsultiert werden kann.
Der seit 2001 vorliegende Text (Werke 1/1) geht ausschliesslich auf das Manuskript Nr. 3060 der Sloane Collection der British Library zurück. Er ist in fünf Büchern, I – V von sechs bis fünfzehn Kapiteln gegliedert. Das Buch I trägt den Obertitel “Beschreibung des Reiches Japan insgemein” ; Liber II “Von der Policey dieses Landes” ; Liber III “De Statu Religionis Japonicae” . Das ist von dem Heÿdenthumb oder Götzendienste der Japander; Das vierte Buch beinhaltet: “Derer Ausländer Residence Nagasacki, derer Handel, Gewerbe, Accomodation, und was demselben anhängig” : Das Vte Buch schildert: “Des auctoris zwiefache Reise nach dem kaiserlichen Hoffe und Residenz Stadt Jedo” .
Einige Passagen aus dem Buch V mögen einen Eindruck vermitteln von den präszisen Schilderungen und dem gelegentlich geistreichen Kommentar. Das Buch ist in fünfzehn Kapitel unterteilt, die zentralen Themen sind die zwei Reisen nach Jedo und die Audienzen beim Kaiser beziehungsweise beim Shogun Tsunayoshi. Gleich im ersten Kapitel gibt Kaempfer die Gründe an, warum eine Delegation der niederländischen Handelsgesellschaft sich jährlich nach Jedo begeben müsse. Sie sei dazu verpflichtet wie einst die Portugiesen und ebenso wie die grösseren und kleinen Landesfürsten, die daimyo. Den Holländern sei zudem aufgetragen, einen Wundarzt zu engagieren und einen oder zwei Schreiber. Ebenso gehöre eine Anzahl Japaner zur Reisegesellschaft, die darauf zu achten hätten, dass die Europäer keine Gespräche mit Einheimischen führten und vor allem auch keine Kreuze, Bilder und Reliquien der Heiligen verkauften oder verschenkten. Die Japaner bis zum geringsten Diener seien unter Eid verpflichtet, alles Verdächtige zu melden. Kaempfer schreibt, er habe den Hofreisen in den Jahren 1691 und 1692 mit Vergnügen beigewohnt.
Von besonderem Interesse sind natürlich die Empfänge beim Kaiser:
Der Kaiser begrüsste uns, hiess uns Platz nehmen, den Mantel ausziehen und fragte nach unserem Namen und Alter, dann hiess er uns aufzustehen, uns frei zu bewegen, zu tanzen, dann ein Liedlein singen, miteinander zu plaudern, ja sogar zu streiten. Danach hatten wir eine Familienzusammenkunft, ein Treffen unter Freunden aufzuführen und Abschiedsszenen darzustellen.
[S. 411] Von Kaempfer persönlich wollte der Kaiser erfahren, ob er eine schwere Krankheit kuriert habe. Kaempfer antwortete, ja in Nagasaki, doch in Japan nicht, sonst aber überall, wo er gewesen sei. Über die holländischen Begräbnissitten informierte sich der Kaiser, wollte wissen, ob wir Götzen hätten wie die Portugiesen. Erstaunlich sind immer wieder die Fragen, bezüglich der westlichen Medizin. Von Kaempfer wollte der Kaiser Auskunft:
Welche innerliche und welche ausserliche gebrechen ich vor die schwerste und geföhrlichste hielte? Wie ich den Krebss schaden, und wie die innerliche Apostemata tractirte? Ob ich nicht auch wie die Sinesische Doctores vor vielen 100 Jahren gethan die Artzneÿ zum langen Leben nachgesucht, ob nicht unsere Europäische Artzte etwas ausgefunden. Ich diente zur Antwort, dass unsere Artzte noch täglich studirten ein Medicament auszufinden, welches des Menschen Gesundheit biss zu einem hohen Alter erhalten möge! Er fragte: welches man von selbigen vor das beste hielte? antwort: das letzte allezeit vor das beste biss die Erfahrung ein anderes bezeugte. Frage: welches dan das letztere? Antwort: Ein gewisser Spiritus welcher beÿ mässigem Gebrauche die feuchtigkeiten flüssig hielte und die lebens geister aufmunterte und stärckte. Frage: wie selbiger genant? Ich wohl wissende, dass alles was beÿ den Japanern hochgeachtet, einen langen Nahmen und titul führte, antworte: Sal volabile Oleosum Sÿlvii. Nach etlichen weitere Fragen über dieses Lebenslixir verlangt der Kaiser, mit dem nächsten Schiff davon eine Probe zu senden.
Vor dem Antreten der Hofreise hält Kaempfer grundsätzlich fest, er wolle alle Vorgänge, alles was ihm jeden Tag Denkwürdiges begegne der Ordnung nach vorstellen und was besseren Verständnis nötig sei in wenigen Hauptstücken beschreiben. Was für die beiden Hin- und Rückreisen nach Jedo gilt, ist programmatisch für alle fünf Bücher.
Das Buch 3, gegliedert in sieben Kapitel über die unterschiedlichen Religionen in Japan, beginnt mit dem Satz:
Wie unter allen Asiatischen Völckern und heÿden also ist unter diesem Volcke die freÿheit des glaubens, solange er der Weltlichen Regierung nicht schädlich fället, jeder Zeit zugelassen worden.
Danach erwähnt Kaempfer die Portugiesen, insbesondere die Jesuiten, die “Die Majestet dieses Reichs zur höchsten Inclementze angereitzet” , und also des Landes verwiesen wurden.
In der ersten fünf Kapiteln gibt Kaempfer eine ausführliche Darstellung des Shinto, schildert den Kult, beschreibt die Schreinanlagen, erwähnt die Pilgerreisen, speziell jene nach Ise. Danach ein Kapitel, in dem er den Einfluss buddhistischer Glaubensformen behandelt. Caput VII ist überschrieben mit: “Von der Sjunto, das ist die Lehre oder Wege der Moralisten oder Philosophen” . Es beginnt folgendermassen: [S. 411]
Sjuto ist Krafft des Worts, der weg oder Methode der Weltweisen. Sjudo Sja oder pluraliter Sjudosjù sind ihre Philosophi, diese haben eigentlich keine Religion, suchen ihre Vollkommenheit und höchstes Gut in Zufriedenheit des Gemühtes durch ein tugendsames unstrafbahres leben und wandel, glauben keine andere, als die zeitliche straffe und belohnung, womit tugend und laster ihre eigene Nachfolger belohnen: so müsste man die tugend nothwendig üben, weil die natur muss zu einem guten leben alss Menschen, zum unterscheid der unvernünfftiigen thiere gebohren habe.
Diese Perspektive eröffnet ein weites Spektrum: Konfzianismus, Seneca, Platon, die Stoiker, ja selbst die Christen werden in einen sinnvollen Zusammenhang gebracht.
Das Thema Religion behandelt Kaempfer unvoreingenommen, genau so objektiv wie jeden Gegenstand, der ihn interessiert, das will heissen “Beschreibung des Reiches Japan insgemein” . Er arbeitete nach der “Methode des Weltweisen” , und “Kraft des Wortes” hinterliess er ein realistisches Japanbild der Genroku-Zeit. Ausgespart sind allerdings aufgrund historischer Bedingtheit die Schönen Künste.

Elise GUIGNARD

 

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