Jahrbuch für Europäische Überseegeschichte 5, 2005, pp. 245-248

Engelbert Kaempfer: Werke. Kritische Ausgabe in Einzelbänden


Uta Lindgren (Bayreuth)

Zu den beiden bereits erschienenen Japanbänden (Bd. I/1, I/2 und 2 der Gesamtausgabe, siehe Jahrbuch für Europäische Überseegeschichte 3, 2003, S. 195-196) kommt nun noch ein dritter, ebenso umfangreicher mit den Zeichnungen japanischer Pflanzen“, bei dem, im Unterschied zu allen anderen Bänden, weder Kaempfers Handschirft mit ihren vielen Abkürzungen noch sein mehrsprachiger Stil das Hauptproblem der Edition darstellen, denn geschrieben steht auf den Blättern nur wenig. Der Text der Ausgabe enthält die Identifizierung der Pflanzen und historische Querverweise durch ein bienenfleißiges Team unter der Leitung der Biologie- und Chemiehistorikerin Brigitte Hoppe. Ein moderner Biologe hat schon Schwierigkeiten, die alte Nomenklatur mit der aktuellen in Einklang zu bringen, in diesem Fall kommen auch noch japanische Pflanzenbezeichnungen hinzu. Das Team von B. Hoppe hat auf ca. 1.000 Seiten die Zeichnungen beschrieben, die Pflanzen nach modernen Wissensstand beschrieben, den Wissensstand des 17. und 18. Jahrhunderts zusammengetragen und einen japano-[S. 245]logischen Kommentar erstellt. Es handelt sich insgesamt um 256 Pflanzen. Die Abbildungen sind verkleinert wiedergegeben, zahlreiche Detailabbildungen verdeutlichen, was dem Bild durch die Verkleinerung verloren geht. Auf das erhaltene Herbarium Kaempfers konnte nur mit Worten Bezug genommen werden, eine Edition steht noch aus.

Die drei starken Bände über Japan, die nun in der “Kritischen Ausgabe in Einzelbänden” des Iudicium-Verlages erschienen sind, machen auf eindrucksvolle Weise deutlich, warum Kaempfer seit jeher als Pionier der Japankunde galt, obwohl von dem Material zu seinen Lebzeiten fast nichts und seither nur unkritische und unkommentierte Brocken an die Öffentlichkeit kamen. Die Kenntnis seiner übrigen Reisetagebücher war bislang noch weit geringer. Die weiteren neu erschienenen Bände sind deutlich dünner. Über Siam und die stürmische Fahrt von dort nach Japan hatten wir schon in Band 1 einiges erfahren, was sich in den hier edierten Aufzeichnungen wiederholt. Immerhin war Kaempfer fast vier Wochen in Siam, das teilweise dem heutigen Thailand entspricht und wo sich durch Missionare und Berater französischer Einfluß ausbreitete. Damals erschienen umfangreiche französische Bücher über die Naturkunde von Siam und die allgemeine Geschichte des Königreiches. Kaempfer scheint diese zu kennen, aber seine Beobachtungen sind noch heute eine wertvolle Ergänzung. Zu einer vom französischen König entsandten Forschungsreise des Jesuiten Tachard macht er z. T. umfangreiche von Java über Siam nach Japan, die politischen Wirren des Jahres 1689 und andere politische Beobachtungen sowie die kritischen Anmerkungen zum Reisebericht von Tachard. Die ebenfalls in der Sloanesammlung noch erhaltenen botanischen Schriften sind nicht ediert worden. Der vierte Teil hängt etwas in der Luft, weil dem Leser der Text von Tachard fehlt. Diese Editionsentscheidung, d. h. auf den Tachardtext zu verzichten, mag zwar wissenschaftlich korrekt sein, für den Benutzer ist sie unbefriedigend. Die hier erkennbare enge Verquickung von Kaempfers Schriften mit anderen, die ihm zur Kenntnis kamen und die er z. T. auch ausgiebig exzerpierte, wird von der Editorin des Malabarbandes als eine zeittypische Praxis erläutert. Der Siamband zeigt übrigens eine neue Variante der enorm flexiblen Zusammenarbeit des australischen Bandbearbeiters, der weder der deutschen noch der latainischen muß man mit einer englischen Einleitung vorliebnehmen, aber die Fußnoten der Edition sind deutsch. Jeder Leser und Benutzer, der schon mal Gelegenheit hatte, einen eigenen Aufsatz in fremder Übersetzung zu lesen, wird diesem Verfahren größten Respekt zollen.

Band fünf der Edition von elf Blättern “Notitiae Malabaricae”, bei dem die Einführung deutsch und einglisch gedruckt wurde, ist der schmalste in der Reihe. Wie bereits erwähnt, ist hier der eigene Anteil Kaempfers nicht mehr festzustellen. Es handelt sich um ein Manuskript in Kaempfers Handschrift und in seinem deutsch-lateinischen Sprachgemisch, aber die Herausgeberin verweist auf mögliche Vorlagen. Die holländischen Gouverneure des Gebietes waren nämlich gehalten, Tagebücher zu führen und daraus Berichte zu verfassen. Der Inhalt der “Notitiae” ent-[S. 247]spricht auch nicht den in jeder Richtung offenen Beobachtungen, vor allem naturkundlicher Art, die man aus Kaempfers sonstigen Aufzeichnungen kennt. Hier werden hauptsächlich Dinge referiert, die Handelsinteressen, Verwaltung (auch militärische) und Zolleinnahmen betreffen. Die Herausgeberin berichtet allerdings auch von weiteren zehn Seiten in Kaempfers Reisetagebuch, “Reisen aus Persien in Indien” (1688), die noch gar nicht herausgegeben sind.

Band sechs enthält das Rußlandtagebuch 1683, das vom Aufbruch aus Stockholm bis nach Astrachan, ganz in der Nähe des Kaspischen Meeres reicht. Hier erleichtert einem endlich eine Kartenskizze, sich eine Vorstellung von der geographischen Lage der Schauplätze zu machen, was bei den vorigen Bänden gefehlt hat. Bei der Einführung gibt es Überschneidungen Überlegungen am schwedischen Hof, die zur Entsendung der Diplomaten nach Moskau und Presien geführt hatten: Während der große Strom des russischen Außenhandels (einschließlich des durch Rußland laufenden Orienthandels) von Moskau nach Archangelsk am Weißen Meer lief und dort von holländischen Schiffen übernommen wurde, wünschten die Schweden, diesen Strom von Moskau nach Narva am Bottnischen Meerbusen (St. Petersburg war noch nicht gegründet) und dann auf schwedischen Schiffen durch die Ostsee zu führen. Ein anderes Reiseziel war die antiosmanische Außenpolitik der Schweden, für die der Gesandte in Moskau werben sollte - im Reisejahr 1683 wurden die türkischen Belagerer Wiens durch christliche Heere unter Führung des polnischen Königs Jan Sobieski zurückgeschlagen. Das von Kaempfer erlebte und beschriebene Rußland vor Zar Peter dem Großen ist in Europa wenig bekannt gewesen. Umso wertvoller sind noch heute Kaempfers unvoreingenommene Beobachtungen. Die ca. 50 Seiten des Textes werden durch 80 Seiten Stellenkommentar ergänzt.

Wie schon bei den drei ersten Bänden fällt auch hier die Kompetenz der Bearbeiter, ihr enormer Fleiß und der alles Vorstellbare übersteigende Einsatz der Herausgeber des Gesamtwerkes, Haberland, Michel und Gössmann auf. Wegen des Sprachgemisches aus deutsch und lateinisch, in dem Kaempfer schrieb, waren bei allen Bänden Mittellateinerinnen aktiv, außerdem ging offenbar alles noch mal über Frau Gössmanns Schreibtisch. Und dies geschah in relativ kurzer Zeit, denn die Planungsphase begann erst Anfang der neunziger Jahre. Man wundert sich, daß nun schon sieben stattliche Bände von Kaempfers Werken vorliegen, wo man sonst ganz andere Bearbeitungszeiten gewohnt ist. Des Rätsels Lösung liegt zum Teil in den Zwängen des Stadtjubiläums von Kaempfers Geburtsstadt Lemgo. Trotzdem ist der Erfolg einmalig. Wesentlich muß das Engagement der Herausgeber und des Verlegers Peter Kapitza gewesen sein, nicht zu vergessen deren Fähigkeit, die Bearbeiter ständig zu motivieren. Aus den Literaturverzeichnissen geht hervor, daß Kaempfer nie ganz vergessen war. Aber die Beschäftigung mit ihm blieb z. T. oberflächlich, da die gedruckten Schriften von ihm nur einen kleinen Ausschnitt seines gesamten Schaffens bekannt gemacht hatten, z. T. blieb die Beschäftigung Stückwerk, wenn sie versuchte, sich mit den Originalmanuskripten zu befassen. Gerade auf dem Hintergrund von Kaempfers relativ großer Bekanntheit ist es ein un-[S. 248]schätzbares Verdienst, daß nun ein großer Teil der Manuskript kritisch ediert und kommentiert vorliegt. Diese Edition läßt wenige Wünsche offen, die aber trotzdem vorgebracht werden: Natürlich wäre es schön, auch noch die restlichen Schriften zu edieren. Ein Indexband, mindestens für Orte und Personen, nicht nur in Kaempfers Texten, sondern auch in Kommentaren, Beschreibungen und Einführungen, wäre für die Forschung eine große Erleichterung. Und ausreichend genaue Karten von den Reiserouten.

Bereits jetzt darf die kritische Ausgabe von Kaempfers Werken zu den großen, wissenschaftshistorischen Editionen gezählt werden. Sie ist ebenso bedeutsam für die europäische Kulturgeschichte wie für die asiatische Geschichte und die Geschichte der Naturwissenschaften und sollte in keiner wissenschaftlichen Bibliothek fehlen. Auch die neuen Bände sind ungewöhnlich spannend zu lesen. Man kann ihnen nur viele Leser wünschen, sie werden nie enttäuscht.

 

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