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Das Buch
Was man in Japan zu sehen bekommt - Felice Beato und Engelbert Kaempfer


"Man sieht nur, was man weiß." Mit diesem Goethe nachempfundenen "Zitat" wirbt eine Reiseführerreihe. Oft ist es aber genau umgekehrt, und wir sehen gar nicht, was wir zu kennen glauben, ein psychologischer Sehfehler, den Roland Barthes in seinem Buch über Japan durch detaillierte Beschreibungen unterlaufen hat. Denn nicht nur der nahe Orient ist eine Erfindung des Westens, sondern auch der ferne. In einem neuen Bildband über das "Abenteuer japanische Fotografie 1860- 1890" (Kehrer Verlag, Heidelberg, 128 S., 30 Euro) kann man das in mehrfacher Brechung entdecken. Denn was uns da vom berühmten Felice Beato, der 1863 nach Japan fuhr, und seinen Schülern präsentiert wird, ist nicht Japan, sondern ein (erkenntnis-)theoretisches und fotografisches Dilemma.
So hat Beato nicht nur im Freien fotografiert, viele seiner Fotos, mit ihren Genreszenen und Fuji-Ansichten, sind Studioaufnahmen, mit ausstaffierten Statisten, Schnee aus weißen Tüchern und arrangiertem Gras. Beim zweiten Blick entdeckt man den Klavierhocker unter dem Samurai und das Stativ, an das sich der "Bauer" lehnt, wegen der langen Belichtungszeit. Nur wenige Fotos, auch von Beatos japanischen Schülern, begierig, neue Techniken zu lernen, sind "Live"-Aufnahmen von der Straße, mit verwackelten Menschen, die neugierig zu diesem Gerät hinstarrten. Nicht lange, und die Japaner waren für ihre Fotografiersucht berühmt.

Fast ganz vorurteilsfrei ging ein anderer Japanreisender vor: Der aus Lemgo stammende Engelbert Kaempfer wusste fast nichts über Japan, vielleicht sah er deswegen so viel. 1690 war er als Arzt nach Japan gekommen, vorurteilslos beschreibt er alles, Alltag, Kultur und Botanik, Religion und Politik, Geschichte und Geografie, malt Karten und presst Blumen; noch heute ist sein Werk eine wunderbare Quelle voller Details. Beinahe eine Neuerscheinung ist sein "Heutiges Japan", denn die bisherigen Ausgaben sind von den Herausgebern "verbessert" und überarbeitet worden. Die neue Werkausgabe im Verlag Iudicium (Band 1: "Heutiges Japan" in 2 Bd., 1600 S., 160 Euro, Band 2: Briefe 1683 -1715, 650 S., 83 Euro) geht auf das Originalmanuskript zurück und behält Kaempfers Rechtschreibung bei, das liest sich eigenwillig und erfrischend, aber nie zu kompliziert:
"Man findet auf selbigen wegen, da wo sich die land schafften und sowol kleiner als groser herren Gebiete endigen, holzerne oder steinerne phahle aufgerichtet, mit characteren bezeichnet, welche die Grentzen und beider Herren landschafften melden."
Auch die Japaner waren neugierig; am Kaiserhof wurde er über die ärztliche Kunst Europas ausgefragt, musste als exotischer Besucher hin und her gehen und trug schließlich ein Lied vor. Leider konnte er nur wenig essen, da er "an stat der Messer, 2 stöcklein vorgesetzet" bekam, und die "Japonischen anbissen" fast unberührt wieder zurückgehen lassen musste. Stets spürt man Kaempfers Sympathie für diese "freündselige und conversable und so Neügierige Nation, als eine auf der Welt zu finden", vor allem aber seinen eigenen, nie erlahmenden Wissensdurst, seine wohltuende Sachlichkeit und seine Toleranz. Und das in einer Zeit, in der das unduldsame Europa dieses Wort kaum kannte.
 gepa
08.11.2002 - aktualisiert: 08.11.2002, 11:01 Uhr



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