Sehen, hören, sprechen - Nach der ersten Studienreise “Deutsche Sprache und Kultur”. In: Reports, No.1, Fukuoka 12.5.1984.


Wolfgang Michel

Sehen, hören, sprechen - Nach der ersten Studienreise


Deutschland ist das Land, in dem ich geboren wurde, zur Schule ging, studierte. Dort verbrachte ich eine glückliche Kindheit und eine an Auf- und Anregungen reiche Jugend. Ein Land, das mir in seinen dunklen Punkten Schmerzen bereitet, dessen gute Seiten mich auch wieder versöhnen. Dann wurde Japan meine zweite Heimat, das Land, in dem ich lebe, arbeite, geheiratet habe. Ein Land, das mich in manchen Aspekten gleichermaßen beunruhigt, in dem mir andererseits so Vieles zuteil wurde, daß ich es um alles in der Welt nicht missen möchte. Nichts hatte ich mir sehentlicher gewünscht als eine solche gemeinsame Reise, weil ich ja selbst 'erfahren' hatte, wie wenig Worte und Erklärungen im Unterricht die Herzen zu bewegen vermögen. Viele Semester zusammen in Vorlesungsräume eingesperrt, öffnen wir einzelne Fächer, über die das verteilt und aufgelöst wurde, was wir menschliches Leben und Kultur nennen, ohne je einen Blick auf das Ganze zu werfen.

Daß uns die Vorbereitungen so viel Zeit und Mühe abverlangten, lag sicher auch an mangelnder Erfahrung und unruhiger Erwartung, wer und wo und wie und ob ... Die Geduld, Beharrlichkeit und Fürsorglichkeit von Herrn Nemoto, Herrn Azuma und Herrn Iseda nötigten mir schon vor der Reise immer wieder Respekt ab.

Dann wurden wir plötzlich im Nu von 0st nach West katapultiert. Allein schon das überbordende kulturelle Angebot, die vielen historischen Gebäude und Stätten, die schönen Landschaften, das Nebeneinander von Moderne und Tradition rechtfertigen unsere Studienreise, und die Begeisterung aller lehrte mich viele selbstverständliche Dinge wieder neu zu sehen, wahrzunehmen. Tausend kleine Erlebnisse gäbe es zu berichten, doch ich will mich hier auf meine schönste Erfahrung, den Aufenthalt in Mühldorf am Inn, beschränken, wo wir eine knappe, allzu knappe Woche bei deutschen Familien leben durften. Natürlich war zu erwarten, daß uns die Menschen dieser kleinen Stadt in der Nähe Münchens freundlich aufnehmen würden. Sie taten das ja aus freiem Willen und sicher nicht in jedem Fall ohne eine gewisse Unruhe, was für Gäste da wohl aus dem Fernen Osten auftauchen würden. Doch erst einmal zur Erinnerung das Programm:

Der überwältigende Empfang übertraf alle Erwartungen, die Herzlichkeit unserer Gastgeber ließ uns rasch heimisch werden. Herr Georg Kronast vom Kreisbildungswerk hatte viele Wochen hart gearbeitet, um unseren Besuch vorzubereiten und wachte dann als unser 'gütiger Vater' von morgens bis abends über unser Wohl und Weh. Ich glaube, die meisten von uns haben sehr schnell gefühlt, wie sehr der erfolgreiche Verlauf dieser Tage in Mühldorf vor allem ihm zu verdanken ist. Wenn ich daran denke, wie wenig Zeit ihm dabei für seine Familie geblieben war ...

Herr Udo Kesselgruber, der uns am ersten Abend in einen Kammermusikabend im Kloster Zangenberg einleitete, ließ vorübergehend seine Kanzlei im Stich, führte und erklärte unermüdlich und rettete uns schließlich mit großem Engagement aus einer Patsche an der Grenze zu österreich. Sollte es einmal zur Gründung eines Jodelvereins Fukuoka kommen, so dürfte dies bestimmt auf seine erfolgreichen Einlagen während unserer Busfahrten zurückzuführen sein.

Herr Rudolf Angermeier vom Stadtarchiv brachte uns mit erzählerischem Geschick und profunder Sachkenntnis die lange Geschichte von Stadt und Umland näher. Da war wohl keiner von uns, der sich nicht von dieser Liebe zur Heimat und der Lebendigkeit des Vergangenen angesprochen fühlte.

Der sympathische Bürgermeister Josef Federer - SPD-Mitglied in einer CSU-Stadt (so etwas gibt es auch!) - der uns schon am Bahnhof mit einer Kapelle entgegenkam, empfing uns in dem schönen Sitzungszimmer des alten Rathauses von Mühldorf. Dort überreichten wir auch eine Grußbotschaft von Bürgermeister Shinto, die dann eine herzliche Erwiderung fand.

Herrn Ammetsbichler habe ich noch vor Augen, wie er mit Würde und Gelassenheit den Ansturm der Weiblichkeit überstand - eine jede wollte ihr persönliches Gedenkphoto mit ihm. Die ganze Familie war mit unserer Führung durch ihre Brauerei und dem anschließenden Essen beschäftigt!

Im Lodron-Haus sollten wir uns ins Besucherbuch eintragen, was wir nach unserem Rundgang auch zu tun versprachen. Doch dann blieben wir hier und dort hängen, und plötzlich war die Zeit schon verstrichen.

In der wunderbaren Stadtbücherei ging es uns ähnlich, so da manche(r) später noch einmal alleine den Weg in dieses schöne Haus suchte.

Im Kindergarten Peter und Paul hätten wohl alle am liebsten mit den Kleinen die Rollen getauscht. Welch glücklicher Zufall, da just an diesem Tag bei uns wie auch unter den Kleinen je ein Geburtstagskind war und wir gemeinsam feiern konnten!

Die schöne Grundschule und der Unterricht im Gymnasium führten uns die von allen deutlich empfundenen Unterschiede im Erziehungswesen beider Länder noch einmal vor Augen. Nach des Lernens Müh und Last dann gemeinsamer deutsch-japanischer Volkstanz.

Die Gastfamilien kümmerten sich liebevoll und mit großem Aufwand um ihre japanischen 'Kinder', die sich durchweg vom deutschen Familienleben beeindruckt zeigten. Hausmusik, Kochen, Aerobics, Backen, Swimming Pool, mit den Kindern spielen, Einkaufen, Diskothek, Reiten - um nur einige Stichwörter zu nennen, die mir mehr oder minder gufällig zu Ohren kamen. Wir waren über ganz Mühldorf und die Umgebung verteilt.

Die Zeit verstrich zu rasch. Am letzten Abend kamen noch einmal alle, die wir kennen und schätzen gelernt hatten bis hin zum Herrn Bürgermeister. Da trug so manche Studentin aus Fukuoka plötzlich ein bayrisches Dirndl (Kindergröße!), und zwei der Herren präsentierten ihre neu erworbenen Trachtenanzüge mit einer Selbstverständlichkeit und Eleganz, wie man sie eigentlich nur von geborenen Mühldorfern erwartet hätte.

An diesem Tag war im Mühldorfer Anzeiger ein langer Artikel mit einem Photo erschienen.

Die Tränen, die im Turmbräugarten hier und da vergossen wurden, flossen am nächsten Morgen in Strömen. Nach vielen Tagen voller Sonnenschein regnete es vom grauen Himmel, und in uns sah es ähnlich aus. Auch vielen Gastfamilien fiel der Abschied offenkundig schwer. 'Begegnen heißt Abschied nehmen' sagt man in Japan, aber was ist das für ein Trost, wenn man im Zug nach München sitzt!

Jetzt sind wir wieder in Japan mit so vielen und schönen Erinnerungen und einem bichen 'Heimweh' nach Mühldorf. All den lieben Menschen dieser kleinen, aber zu Recht stolzen und weltoffenen Stadt möchten wir von Herzen danken. Wir haben und werden sie nicht vergessen.

 

 

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