Wolfgang Michel: Ungeliebter Nachbar. JAPANINFO, No.16, Ulm 23.11.1993, p. 8.
Wolfgang Michel

Ungeliebter Nachbar


Besonders hingezogen zu Rußland fühlen sich wohl nur wenige Japaner, denn die Beziehung zum großen Nachbarn im Nordosten war schon immer schwierig. Hisiorische Ressentiments im Verein mit der ungelösten Frage der Rückgabe der nördlichen Territorien, mit den Erinnerungen an die Leiden japanischer Kriegsgefangener in Sibirien sowie einem rigiden Antikommunismus ersparten während der Jahrzehnte des Kalten Krieges die Suche nach Wegen zu einer Annäherung. Natürlich wurden der Zusammenbruch der Sowjetunion und die wirtsqhaftlichen und politischen Reformbestrebungen in den Nachfolgestaaten begrüßt. Doch tut man sich nach wie vor schwer mit wirtschaftlicher Hilfe, auch wenn man vielleicht theoretisch einsieht, daß ein Scheitern der Reformer in Moskau Belastungen und Kosten nach sich ziehen dürfte, die jeden bisher gewährten und vermutlich verlorenen Kredit weit in den Schatten stellen würden. Auch, daß die Erschließung Sibiriens beiden Nationen zum nicht unbeträchtlichen Vorteil gereichen würde, scheint als Lockmittel noch immer nicht auszureichen.

Die Person Jelzins mit ihrer Sprunghaftigkeit und Direktheit macht es zudem vielen Japanern leicht, Rußland als unberechenbar, als bedrohlich zu empfinden. Seine wiederholt kurzfristigen Absagen des lange anvisierten Japanbesuches empfand man nicht zu Unrecht als Affront. Kein Wunder, daß seine strikte Weigerung, über andere Fragen als die der wirtschaftlichen Hilfe zu sprechen, durch den Karikaturisten in die aggressive Form einer Granate gegossen wurde (Abb. 1).

Immerhin, ein wenig milder als die Betonriege der vormaligen LDP-Regierung zeigte sich Ministerpräsident Hosokawa schon. Das Hündchen (der Territorialfrage) werde nicht aufheulen, er möge ruhig eintreten (Abb. 2), lud er den wieder einmal zögernden Gast ein.

Doch dann überstürzten sich die Ereignisse in Moskau. Für einige stockende Atemzüge lang sah es gar aus, als ob der befürchtete Umschlag in die Restauration nun Wirklichkeit werde. Wer wollte da dem bedrängten Mann im Kreml die rhetorische Unterstützung verweigern, nochzumal Präsident Clinton mit Presseerklärungen vorangegangen war? Ja, als dann alles vorbei war, erwartete zunächst kaum jemand, daß Jelzin unter diesen Umständen noch nach Japan käme.

Der aber schlug mehrere Fliegen auf einen Streich und demonstrierte nicht nur aller Welt, daß er wieder im Sattel saß, sondern konnte auch unter Hinweis auf die innenpolitische Lage allen unliebsamen japanischen Pressionen bezüglich der Rückgabe der vier Inseln entgehen. Was blieb da mehr als das Unbehagen, daß er sich mit dem Einsatz der Armee eine Bürde aufgeschultert hatte, dia erwohl so leicht nicht wieder los wird (Abb. 3)? Geflissentlich erhoffte man sich denn bei den Gesprächen in Tokyo eine zügige Demokratisierung Rußlands. Hosokawa mußte sich mit einer vagen Erklärung Jelzins begnügen, daß dessen Land die bisherigen Verträge einhatten werde. Immerhin eröffnet dies bei entsprechender Interpretation dis Perspektive auf eine mögliche Rückgabe von zwei der vier strittigen Inseln.

Aber wie weit darf man dem russischen Wort vertrauen? Es hieß in Tokyo auch, daß man keine radioaktiven Abfälle mehr insJapanische Meer versenken werde. Doch kaum war der Gast verabschiedet, geschah genau das unter entsprechendem Aufschrei der japanischen Medien (Abb. 4). Eigentlich gab es keinen Verstoß gegen internationale Abkommen mit Ausnahme der ausgebliebenen vorherigen offiziellen Mitteilung an die japanische Regierung. Und in der Presse mochte sich kein Journalist daran erinnern, daß Japan selbst radioaktiven Müll an mehreren Stellen des Pazitiks deponiert hatte und seinerzeit harscher Kritik durch Anrainerstaaten ausgesetzt war. Wieder einmal überschwemmten Angst und Aversion alle. Ansätze.zur Sachlichkeit. Nochzumal dann zwar aus Moskau das Versprechen kam, dies sei die letzte derartige Deponierung gewesen, der regionale Kommandeur der Armee aber kurz darauf vor japanischen Kameras erklärte, man werde das mangels anderer Möglichkeiten fortsetzen.

Das Bedrohungsmuster in der Wahrnehmung Rußlands ist nach wie vor virulent und wird durch die widersprüchlichen Signale aus diesem riesigen und instabilen Nachbarland gewiß nicht abgebaut. Bis ein russischer Präsident in einer japanischen Karikatur lächeln wird, muß wohl noch viel Wasser ins Ochotskische und Japanische Meer fließen.



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