JAPANINFO, 21. Jahrgang, Ulm, 3. Mai 2000, S. 7 - 8.

Umbruch an den Universitäten


Wolfgang Michel

Beim Lesen des Kommentars &"Unabhängige Universitäten" in JAPANINFO Nr. 11 (1999) gingen mir einige Gedanken durch den Kopf, die ich nach langem Zögern doch zu Papier bringe. Denn Chancen und Fortschritt liegen liegen - wie bei so vielen Dingen heute in Japan und anderswo - dicht neben der Gefahr des Scheiterns und Niedergangs. Und nicht immer wird mit offenen Karten gespielt. Zweifellos bietet die avisierte Umwandlung der staatlichen Hochschulen in selbstständige Körperschaften einige verlockende Perspektiven - zumindest für die Professoren. Die Verwendungen der Gelder liegt dann wohl weitgehend in den Händen der betreffenden Institution. Es wird zudem leichter sein, Drittmittel einzusammeln und auszugeben. Und schließlich dürften Nebentätigkeiten, die heute eigentlich nur in der Form von stundenweisen Lehraufträgen an anderen Universitäten genehmigt werden, dann ziemlich ausgeweitet werden. Zweifellos trägt das alles dazu bei, die hier und dort verkrusteten Strukturen aufzubrechen. Zumindest geht es nach offizieller Bekundung der Entscheidungsträger ja primär um solch hehre Ziele wie Dynamisierung, Steigerung der Effizienz, Anhebung des Niveaus und gesellschaftliche Öffnung.

Auf der anderen Seite sind die staatlichen Hochschulen nach der Reform der Gründungsbestimmungen und Mindestanforderungen Anfang der 90er Jahre ohnehin schon dabei sich umzustrukturieren. Nicht zuletzt auch, weil die Zahl der Studenten in den kommenden Jahren rapide sinken und der Markt heiß umkämpft sein wird. Zudem wächst die Zahl der jüngeren Hochschullehrer, die die Welt kennen und offener lehren und forschen als bisher. Neue, interdisziplinäre Graduate Schools sind an den größeren Universitäten schon vor einem halben Jahrzehnt entstanden. Selbst-Evaluation, fast schon ein alter Hut, Dritt-Evaluation ohnehin stark im Kommen. Zumindest in der Mehrzahl der neugegründeten Departments ist die Betreuung der Studenten von großer Intensität (nicht immer zu deren Freude). Der Zug ist beileibe nicht am Ziel, aber im Rollen, so daß man sich doch etwas wundert, warum man nicht abwarten will, ob die Unis zur Reform aus eigener Kraft fähig sind.

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Die Gründe hierfür muß man woanders suchen. Daß der Hochschulbereich ins Visier der Politik geriet, hat eine Menge mit der versprochenen Senkung der Zahl der Beamten zu tun, die sich zufällig in etwa mit der der beamteten Hochschullehrer deckt. Die zweite Triebfeder liegt in den brennenden Finanzproblemen des Landes. So werden denn vielerlei neue Berechnungsmodi für die künftige Verteilung der Etats entwickelt und als Verbesserung vorgestellt, doch letztendlich läuft alles auf eine Senkung der Mittel hinaus. Die ohnehin im Vergleich zum Westen schlechter ausgestatteten Lehrstuhlinhaber werden sich dann ziemlich abstrampeln müssen, um an ihr Geld zu kommen - mit welchem Zeitaufwand und wo auch immer. Wahrscheinlich werden bei der Umwandlung in die einzelnen Körperschaften überdies Köpfe rollen. Niemand glaubt, daß es beim derzeitigen, ohnehin unzureichenden Personalbestand bleibt. Schon jetzt ist keine Universität in der Lage, ihr Lehrangebot nur mit den fest berufenen Lehrkräften durchzuführen. Lehrbeauftragte von anderen Unis dienen als preiswerte Manövriermasse. Abgebaut wird auch seit Jahren das Verwaltungspersonal. Erst verschwindet die Seminarsekretärin in einem Großraumbüro und ist für keine bestimmte Abteilung mehr zuständig. Dann reduziert man dort die Gesamtzahl. Viele Verwaltungtätigkeiten muß der Hochschullehrer nun selbst übernehmen - angesichts seines umgerechnet hohen Stundenlohnes eine Verschwendung von Geld, denn andere könnten das effektiver und billiger.

Daß unter diesen Bedingungen eine Steigerung der Ausbildungsqualität kleine Wunder verlangt, liegt auf der Hand. Universität als Freizeitpark ist passé. Die Anforderungen an die Studenten sollen steigen. Andererseit muß man die festgelegte Zahl von Studenten auf Biegen und Brechen aufnehmen. Naturgemäß sind dann manche weniger engagiert oder qualifiziert. Auch diese sind in der vorgeschriebenen Zeit zum jeweiligen Abschluß bringen. Während die Wahlmöglichkeiten und Einflußmöglichkeiten der Studenten enorm ausgeweitet wurden, kann man sie für mangelnde Leistungen kaum zur Verantwortung ziehen.

Zweifellos wird die Hochschullandschaft in zehn Jahren kaum wiederzuerkennen sein. Doch ist wieder einmal eine Lage entstanden bzw. herbeigeführt worden, in der man glaubt, daß in Stunden der Not die Realität sich der schieren Willenskraft beugen wird. Wer Zweifel hat, will eben nicht stark genug. Und wer Mittel verlangt, dem geht's zu gut. Doch a bisserl Geld und Personal muß schon dabei sein - sonst wacht Japan eines Tages auf und steht noch schlechter da als heute.


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