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book review


Dr. Barbara Yoshida-Krafft

Engelbert Kaempfer zum 330. Geburtstag. Gesammelte Beiträge zur Engelbert-Kaempfer-Forschung und zur Frühzeit der Asienforschung in Europa. Hrsg. in Verbindung mit d. Engelbert-Kaempfer-Gesellschaft, Lemgo e.V., Dt.-Japan. Freundeskreis. Zusgest. und bearb. von Hans Hüls und Hans Hoppe. Lemgo: Wagener, 1982, 268 S. (Lippische Studien Bd. 9) ISBN 3-921428-43-2

Dieses Buch ist auf keine Gesamtschau, sondern auf Details hin angelegt. Und in der Tat bietet der Quartband mit seinen zehn Beiträgen eine Menge neuer und interessanter Details zum Thema Engelbert Kaempfer. Da ist zunächst die erste ausführliche und vor allem "Internationale Kaempfer-Bibliographie". Sie umfaßt 667 Titel. (Zum Vergleich: Die bisher umfangreichste Liste von 1957 enthält lediglich 83 Titel.) Dem Kaempfer-Interessenten und -Freund wird sie also höchst willkommen sein, zumal ihm dank ihrer übersichtlichen Systematik die Benutzung angenehm leicht gemacht wird. Außerdem gibt es für den Gesamtband einen Personenindex, durch den auch diese Bibliographie alphabetisch aufgeschlüsselt werden kann. Beim Durchstöbern der Bibliographie fällt u.a. auf, daß Tadashi IMAI - Konsul a.D. sowie Mitglied und Berater der OAG - dort mit der stattlichen Zahl von sieben Titeln vertreten ist, ein Ausdruck dafür, daß T. Imai zu den bedeutenden Kaempfer-Forschern der Gegenwart gehört. Auch für diesen Band hat Tadashi Imai zwei grundlegende Artikel beigesteuert: "Sprachliche und landeskundliche Anmerkungen zu Engelbert Kaempfers Geschichte und Beschreibung von Japan" zum einen, zum anderen: "Engelbert Kaempfer und seine Quellen". Bei dem ersten Beitrag, den "700 hauptsächlich japanologischen und historisch-geographischen Korrekturen", handelt es sich zwar um einen Nachdruck (erstveröffentlicht im Beiband zur Faksimileausgabe von Kaempfers Geschichte Japans (Springer, 1980)), was aber durchaus zu begrüßen ist, denn nicht jeder Interessent wird finanziell in der Lage sein oder Lust haben, sich dieses teure bibliophile Werk zu kaufen. Der zweite Beitrag dürfte, obwohl nicht mehr als zwanzig Seiten stark, fortan zu den wichtigsten Arbeiten in der Kaempfer-Forschung zählen. Denn hier findet die so lang offen gebliebene "Frage der Quellen, die Kaempfer wirklich benutzte, um seine Erfahrungen zu ergänzen" endlich ihre Beantwortung. Kaempfer hielt sich (man vergißt es so leicht) nur ganze zwei Jahre (24. Sept. 1690 - 31. Okt. 1692) in Japan auf, zudem auf Deshima, in Isoliertheit also. Und auch die zwei Gesandtschaftsreisen von Nagasaki nach Edo (Tokyo) erfolgten bekanntlich unter strenger Überwachung. Kaempfer selbst schreibt einmal zu den Schwierigkeiten der Informationsbeschaffung (Zitat S. 69): "Seit dieser Zeit (Schließung der Grenzen) ist auch der Japaner Mund, Herz und Gemüth für uns fremde eingesperrte Gäste geschlossen. "Andererseits konnte er sich - und hier war er im Vorteil vor anderen so manche Mitteilung beschaffen, weil seine japanischen Patienten sich gern dankbar erwiesen: "Keiner weigerte sich, mir nach seiner besten Wissenschaft Nachricht zu geben, auch selbst von den verbotensten Dingen, wenn ich nur mit ihm allein war." (S. 69) Kaempfer beherrschte aber die japanische Sprache nicht. Er war also auf die Hilfe seines Dolmetschers angewiesen, eines allerdings nicht nur aufgeweckten, sondern offenbar höchst sprachbegabten jungen Mannes von 24 Jahren, der ihm offiziell attachiert worden war. Ihm brachte Kaempfer in einem, wie es heute hieße, Intensivkurs Holländisch bei, so daß der junge Mann bald fähig war, ihm japanische Quellen zu übersetzen. Tadashi IMAI listet nun in seinem Artikel über die Quellen nicht nur die 43 Titel derjenigen Bücher aus, die sich nachweislich in Kaempfers Besitz befanden, er untersucht vor allem auch akribisch dieeinzelnen Kapitel auf ihre möglichen Quellen hin. In der Reihe der insgesamt über 40 Werke - u.a. Kojiki, Nihon Shoki, Heike monogatari, Taiheki, wie dann auch der behördlichen Genehmigungen, Verbote, Befehle und Gelübde (von denen Kaempfer eine ziemlich genaue übersetzung wiedergibt) sind es hauptsächlich das Setsyoshu (eine Art Sachwörterbuch) und das volkstümliche Nihon Odeiki (eine Chronik über das Leben von 113 japanischen Kaisern), auf die Kaempfer sich in seinen Ausführungen stützt. Daß es bei der gemeinsamen Arbeit durch Bildungslücken auf Seiten des Assistenten sowie fremdsprachlichem Ungenügen auf beiden Seiten mitunter zu Verständigungsschwierigkeiten, genauer Mißverständnissen kam, liegt auf der Hand (diese korrigiert zu haben, ist eines der Verdienste von IMAI). Das Resultat aber, jener große Klassiker der europäischen Japanforschung wie Reiseforschung überhaupt, beweist zur Genüge, wie Kaempfers stets ordnender, sachbezogener Geist die Fülle der Details in ein Konzept einzugliedern wußte. Auch seine hier aus dem Lateinischen übersetzte, in einem eigenen Beitrag ("Engelbert Kaempfers Promotion in Leiden 1693/1694") kommentierte "Medizinische Dissertation über zehn fremdländische Beobachtungen" führt uns aufs neue eindringlich den exzeptionellen Wissenschaftler Kaempfer vor Augen. Wie genau im Einzelnen und Allgemeinen er zu beobachten verstand! Obwohl sich die meisten der "Beobachtungen" nun nicht auf Japan beziehen, sind sie natürlich dennoch interessant - u.a. sehr interessant die Beschreibung der Erscheinung des "Schwarzen Naphtha" (Erdöls) im Kaspischen Meer. Kaempfer war vermutlich der erste Europäer, der Akupunkturnadeln nach Europa brachte. (Beobachtung IX und X handeln vom Heilverfahren mit Akupunktur und Moxa; von Kaempfer später erweitert wurden sie schon im 18. Jh. der Geschichte Japans beigegeben.) Kaempfer bewunderte die Akupunktur. "(...) es geht hier nicht um die Grausamkeit des (...) blutigen Stahls, mit dem die ruhelose Chirurgie der Europäer gegen lebenswichtige Organe wütet (ein Vorwurf, den dann übrigens sein deutscher Herausgeber Dohm entrüstet zurückweist). Aus Gold und Silber stellt das tüchtige Handwerk vollendet geformte Nadeln her, die sich durch Genauigkeit der Arbeit auszeichnen. Sie gehören zu den Schätzen, die selbst der höchste Adel dieser Kapseln liebenden Nation nahe dem Herzen bei sich zu tragen pflegt." (S. 50) Daß Goethe Kaempfer las, ist ziemlich bekannt. Wer aber sonst waren im 18. Jh. Kaempfers Leser? Die Ergebnisse dahingehender Recherchen werden u.a. in dem Beitrag "Zur Geschichte des Drucks von Kaempfers 'Geschichte und Beschreibung von Japan' und zur sozialökonomischen Struktur von Kaempfers Lesepublikum im 18. Jahrhundert" dargelegt. (Auch dies ein Nachdruck aus dem obenbezeichneten Beiband zur 1980er FaksimileAusgabe.) Man erfährt, daß es im deutschsprachigen Ausland, vornehmlich Rußland, in erster Linie Kaufleute waren, die sich Kaempfers Japangeschichte bestellten, in der Hoffnung, praktische Hinweise für ihren Handel zu gewinnen, wohingegen es im deutschen Inland nur 1 Kaufmann war; ansonsten befanden sich unter den 55 inländischen Subskribenten: 12 Staatsbeamte, 7 Juristen, 2 Offiziere, 2 Hofbeamte, 5 Mittlere Verwaltungsbeamte, 4 Höhere Staatsbeamte usf., insgesamt betuchte Leser, denn die zweibändige Geschichte war das Equivalent von 6 1/2 Zentner Brot, wie wir erfahren (somit entspricht der Preis der Faksimile-Ausgabe von 1980 in etwa dem seinerzeitigen, legt man den Kinokuniya-Brot-Preis zugrunde)

** Intermezzo für Leser, die der detaillierten Rezension überdrüssig geworden sind ***
Zuweilen schaut dem Wissenschaftler als Detektiv der Voyeur über die Schulter-, was der Leser durchaus sehr genüßlich finden kann. Und so liest er denn auch hier in diesem Buch über die unglückliche Ehegeschichte des Engelbert Kaempfer, während es ihn leicht durchschauert. Um Schlüssellochguckerei oder gar Vertrauensbruch gegenüber Kaempfer handelt es sich, es sei ausdrücklich gesagt, in diesem Fall nicht. Kaempfer selbst war es, der sein Elend mittels seines Testaments dokumentiert haben wollte. In seiner ausdruckskräftigen Sprache überliefert er: "(...) meine Ehefrau mir öfters den äußersten TORT vorsätzlich erwiesen, indem dieselbe in dem 15jährigen Ehestande nicht allein der Haushaltung übel vorgestanden, vieles darin versäumt, verwahrlostt verschwendet, verhunzelt, verschenkt und von dem Meinigen unterschlagen, (...) und in den letzten fünf Jahren mir gar nicht ehelich beiwohnen wollen, überdies mit höchst injurieusen Worten mich vielmals angefahren, mich verspottet und hin und wieder besonders auch bei meinem Hausgesinde TOTIES QUOTIES verhöhnt, verunglimpft und, anstatt mir in Krankheiten schuldige Pflege zu erweisen, über meine Leibesschwachheit und den erhofften Tod eine ärgerliche Freude mit dürren Worten bezeugt hat, auch noch angespien und in meiner großen Schwachheit mit Fäusten auf mich eingeschlagen, wodurch ich sehr gekränkt und prostituieret worden (bin)." Die wiederverheiratete Witwe Kaempfer versuchte sich später zu rächen. Mit ihrer Behauptung, Kaempfer habe "eine brünstigere Liebe zu seiner Schwester als zu ihr, seiner ehelichen Frau gehabt" provozierte sie einen Beleidigungsprozeß. Der Verfasser des betreffenden Beitrags fragt vorsichtig: "Ob aber nicht auch ihm (Kaempfer) als Ehemann ein gerüttelt Maß Schuld am Verhalten seiner noch sehr unerfahrenen Frau trifft - wer vermag das heute in einer völlig veränderten Welt zu entscheiden?" (S. 146)
* * Ende des Intermezzo * *

Für das Werk des Forschers und somit eigentlich auch für uns sind die übrigen Beiträge im Band, auch wenn sie nicht Japan zum Gegenstand haben, relevanter. Sie seien kurz noch erwähnt. Kaempfers Abschiedsvortrag zur Erlangung der Hochschulreife ist hier nach dem offenbar einzig noch vorhandenen Druck in der Bibliothek der Wojwodschaft Stettin aus dem Lateinischen übersetzt. Auf dem barocken Hintergrund des herrschenden Absolutismus behandelt er die "Zwiefache Majestät - Gottesgnadentum und Teilung der Majestät." Zwei weitere noch nicht genannte Beiträge widmen sich Kaempfers Forschungsreisen im Iran - ein bislang recht vernachlässigtes Kapitel, obwohl Kaempfer sich in Persien doppelt so lang wie in Japan aufhielt. "Auf den Spuren Engelbert Kaempfers im Iran" ist ein Kaempfers Reiseroute minutiös nachzeichnender und mit dem heutigen Zustand vergleichender Bericht (durch den Tod des Verfassers leider nur Fragment).

Diesem Beitrag verdankt der Band auch seine sehr schöne Ausstattung; zu seiner Illustration sind die 79 vorwiegend Originalzeichnungen Kaempfers sowie Kupferstiche aus dem 1712 veröffentlichten Asienwerk Kaempfers (Amoenitates Exoticae) beigegeben. Wer sich nicht damit begnügt, Reiseschilderungen bloß als eine Reihe schöner bunter Bilder vorgeführt zu bekonmen, sondern noch immer Freude hat an der in Sprache umgesetzten Reisebeobachtung, und wer außerdem versteht, seiner Zeit noch genügend Muße abzuzwacken, um sich mit Problemen der Wissenschaft zu beschäftigen auch auf die Gefahr hin, hin und wieder von ihrer Detailbesessenheit überwältigt zu werden, der wird diesen solide gearbeiteten Band der Lippischen Studien unzweifelhaft erwerbens- und lesenswert finden.


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