Dohm, Christian Wilhelm (ed.) Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Meyer, Lemgo 1777-79.

Internet-Edition by Wolfgang Michel, © Fukuoka, Japan March1998

    
Buch 1, Kapitel 7

Siebentes Kapitel.
Vom Ursprung der Japaner nach ihren eignen fabelhaften Meinungen.

Die Japaner selbst halten es für eine ihren sehr schimpfliche Meinung, wenn man sie aus dem Blute und Reiche der Sineser oder irgend eines andern fremden Volks ableiten wil. Sie wollen in ihrer eignen kleinen Welt entsprossen seyn, doch nicht als Regenwürmer und Mäuse aus der Erde, wie Diogenes, der Cyniker, den auf eben die Art stolzen Atheniensern vorwarf; sondern sie erklären ihre Entstehung auf eine weit höhere und edlere Art. Sie leiten sich nemlich aus dem Geschlecht der Götter und gleichsam aus der Ewigkeit ab, wenn ich mich so ausdrücken darf. Doch behaupten sie nicht, daß sie ewig da gewesen, sondern daß sie aus der ersten Bewegung des Chaos durch götliche Kraft entsprungen wären. Sie geben, um dies begreiflich zu machen, zwei verschiedne Genealogien ihrer Gottheiten an.
Die erste ist ein Geschlecht himlischer Geister und ganz unbefleischter Götter, welche eine ganz unbegreiflich und unbestimt lange Zeit die Welt, d. i. Japan regiert haben. Die andre Genealogie besteht aus einer Reihe irdischer Geister oder Menschgötter, welche gleichfals die japanische Welt, einer nach dem andern, eine sehr lange doch aber bestimte und gewisse Zeit regiert haben. Aus diesen entstand dann nun zulezt das Menschengeschlecht japanischer Nation. Es wird der Mühe werth seyn, aus den Büchern der Japaner hier diese Göttergeschlechter deutlicher vorzulegen. Sie stellen die ersten Beherscher der japanischen Welt nicht mit eigentlichen, sondern verblümten Lobnamen vor, ohne weiter von ihrem Leben und Handlungen etwas zu beschreiben, oder die Dauer ihrer Regierungszeit zu bestimmen. Sie folgen in dieser Ordnung auf einander:
I. Ten DSin Sitzi Dui: d. i. himlischer Götter sieben Geschlechte.
Diese sieben Geschlechte sind:
1) Kuni to Ko Dat Sji no Mikotto.
2) Kuni Sat Su Tsjino Mikotto.
3) Tojo Kun Nu no Mikotto.
Diese drei Götter sind beständig ohne Weiber gewesen. Aber die vier folgenden haben durch Hülfe ihrer Gemalinnen, doch ohne Beischlaf, auf verborgene Weise ihre Nach folger gezeugt, und ihr Geschlecht fortgepflanzt.
4) Utsji Ni no Mikotto. Und seine Gemalin. Sufitsi Nino Mikotto.
5) Oo Tono Tsi no Mikotto. Und seine Gemalin. Oo Toma Feno Mikotto.
6) Oo mo Tarno Mikotto. Und seine Gemalin. Oosi Wote no Mikotto.
7) Isanagi no Mikotto. Und seine Gemalin Isanami no Mikotto.
Die Japaner stellen diese sieben Geschlechter als bloße geistige Wesen, und ihre Geschichten wie Träume vor. Sie behaupten indes, daß sie gewis und zuverlässig wären, ob sie gleich ohne alle Zeitbestimmung in ihren Geschichtbüchern vorgetragen werden, und unserm Verstand unbegreiflich sind, ja als ganz unmöglich vorkommen.
Die zwei lezteren götlichen Gatten Isanagi nemlich und Isanami werden von ihnen für die zwei ersten Erzeuger aller Einwohner der Welt gehalten, nicht zwar der großen ihnen vor Alters ganz unbekanten, sondern nur der kleinen Welt Nipon. Mikotto ist ein ehrerbietiger Beiname, der der monarchischen Herrlichkeit der ersten Götter eigenthümlich vorbehalten wird, ob er gleich zuweilen auch wol aus Ehrerbietung dem Namen der uralten geringern Götter beigefügt wird.
Christliche Japaner pflegen den Isanagi und die Isanami den Adam und Eva von Japan zu nennen. Sie sollen ihren Siz vornemlich in der Provinz Isje gehabt haben. Doch weis man eben so wenig Nachricht von ihrem Tode und leztem Auffenthalt, als von der Beschaffenheit und den Umständen ihrer Geburt zu geben.
Das einzige und zuverläßige, was von diesem präadamitischen Adam erzählt wird, ist dieses, daß er zuerst durch die Bewegung des Vogels Sekire, oder gemeiniglich Isitataki d. i. Steinschlager (bei und Zwicksteers) genant, verlauft sey, seine Gemalin auf eine fleischliche Weise zu erkennen, und in der Provinz Isje zuerst auf menschliche Weise Söhne und Töchter, doch von halb göttlicher Art und von einem andern Geschlechte als das seinige zu zeigen. Der älteste unter Isanagi's Söhnen wurde durch das väterliche Recht der Erstgeburt, so wie es noch in der jetzigen erbkaiserlichen Linie des dritten menschlichen Geschlechts bis auf den heutigen Tag gebräuchlich ist, ein Regent und Vorsteher der andern.

II. Das zweite Geschlecht der Gottmenschen wird wegen fünf Abkömlinge oder Glieder genant:
Dsi Sin go Dai, d. i. irdischer Götter fünf Geschlechte. Diese sind folgende:
1) Ten Sio Dai Dsin, oder nach der gemeinen Sprache, Ama Teru Oon Gami, welches nach den Charaktern, mit denen dieser Name ausgedrükt wird, bedeutet, himmelstralender großer Geist. Er ist der älteste und allein fruchtbare Sohn, durch welchen diese unterhimlische kleine Welt zuerst mit Menschen besamt ist; und zwar nicht mit schlechten und gemeinen, sondern mit Menschen von halbgöttlichem, und also viel edlerm und volkomnerm Wesen. Nachdem diese die Welt viele Millionen Jahre regiert und bewohnt hatten, brachten sie endlich eine neue Geburt, nemlich die jetzigen kurzlebenden Menschen hervor.
Von des Ten Sjo Dai Dsin Blute stammen ursprünglich alle Geschlechter der japanischen Nation her, weil seine Brüder ohne Erben abgegangen sind. Auch noch die jetzigen japanischen Erbkaiser, die es aber eigentlich nur dem Namen nach sind, leiten ihre rechtmäßige Succession und Herschaft über Japan von dem Ten Sjo Dai Dsin ab.
Die Tradition sagt von ihm, daß er während seiner Herschaft durch mächtige Thaten, und, nachdem er sich dem Gesicht der Welt entzogen hatte, durch kräftige Wunder genung bewiesen und geoffenbart habe, daß er der mächtigste aller einheimischen Götter. Japans, das Licht, die Kraft das Vermögen und Wesen in und über der unterhimlischen Natur sey, und der es also verdiene als ein Gott verehret und angebetet zu werden. Man sagte mir, daß so gar andre Religionsverwandten und auch die Philosophen und Atheisten Ehrerbietung für den Namen und das Grab dieses ersten Religionsstifters bezeugten. Der Ort, wo er ehmals wohnte, und wo noch jezt sein Gedächtnistemmpel ist, wird von seinen Landsleuten jährlich mit einer heiligen Wahlfahrt besucht. Auch fast in jeder Provinz und großen Stadt ist ihm zu Ehren ein Tempel erbauet, welcher von allen andern der Landesreligion gewidmeten Götzentempeln am meisten mit der grösten Demuth und mit der Hofnung, vielen irdischen Segen zu erhalten, besucht wird.
Der Ehegatten dieses Menschgottes und der zunächst folgenden wird in den heiligen Büchern gar nicht erwähnt. Man legt ihm aber eine Regierung von einigen 100,000 Jahren bei, nach welcher ihm zunächst sein ältester Sohn folgte.
2) Oo si Wonino Mikotto. Mit einem größern Titel heist er: Mas sai jafu Katz Katz fai jafi Ama ni Oosi wo nino Mikotto. Diesem folgte:
3) Ni ni Ki no Mikotto. Oder mit mehr rühmlichen Beiworten: Amat su Siko siko Fono Ni Niki noo Mikotto. Dieses Nachfolger war:
4) De Mi no Mikotto. Oder länger: Fiko foo foo Demino Mikotto. Der lezte dieses langlebenden Geschlechts endlich ist
5) Awa se Dsuno Mikotto. Oder mit volständigerm Titel: Fuki Nagisa Take Ugei Ja Kussa Fuki Awadse Dsuno Micotto.
Seine Regierung beschliest diese zweite und silberne Zeit der Menschgötter, von denen ich noch im ersten Kapitel des folgenden Buchs mit mehrerm reden werde.
Dies also sind die beiden Göttergeschlechter, aus denen die Japaner vorgeben entsprossen zu seyn. Des ersten Geschlechts erster Geist, sagen sie, sey in der ersten Bewegung und Gährung des Chaos aus dessen allersubtilesten Kraft am ersten hervorgekommen. Hernach aber sey aus dem vorhergehenden Geiste allemal der nachfolgende auf eine verborgene Weise, oder auch nach anderer Erklärung durch die Bewegung und Kraft der himlischen und unterhimlischen Elemente hervorgebracht und gezeugt worden, bis die beiden leztern Ideen endlich gleichsam in ein leibliches Wesen verwickelt worden, und den Anfang einer fleischlichen Zeugung gemacht hätten. Hieraus entstand das zweite Geschlecht der Wesen, die halb Götter halb Menschen waren. Diesen waren indes die ihnen mitgetheilten götlichen Kräfte so nüzlich, daß ihr Leben das Ziel des jetzigen menschlichen Lebens weit überschritt; bis endlich der fünfte und lezte dieser Halbgötter ein drittes Geschlecht der jetzigen japanischen Menschen hervorbrachte.
Der Erstgeburt aus diesem Geschlecht, welche aus Awasedsun entsprossen ist, in absteigender Linie, und in deren Abgang dem nächsten Erben ist, nach dem Glauben der Japaner, ein übermenschliches Ansehn und die Herrschaft über alle Menschen verliehn. Dieser Glaube wird durch den Nahmen Oo Dai d. i. die großen Geschlechter ausgedrükt. Die aus diesem Geschlecht abstammenden heißen aber nun nicht mehr Mikotto, sondern mit einem ihrer Herrschaft und ihrem Stamm eignen Nahmen, Mikaddo d. i. Kaiser; oder Ten Oo d. i Himmelsfürst oder Tensin d. i. Himmelskind oder Tee, Prinz; auch führen sie wohl zuweilen den Namen des ganzen kaiserlichen Hofes Dairi.
Dies ist also die Tradition der Japaner, die ihnen eben so theur ist, und eben so heilig und unstreitig wahr von ihnen gehalten wird, als nur immer die Wahrheit der biblischen Geschichte von den Christen. Sie ist indes so beschaffen, daß sie vor einem einzigen Blik des gesunden Menschenverstandes von selbst zerfält, und also gar keiner Wiederlegung bedarf.
Vielleicht könte jemand, um diese japanische Geschichte mit unsrer gewöhnlichen zu vereinigen, auf die Idee kommen, daß vielleicht unter dem zwiefachen Göttergeschlecht das güldene und silberne Zeitalter, oder die ersten Menschen vor und nach der Sündfluth verstanden wären. Dies läst sich aber schwerlich annehmen, da die Geschichte und Lebenszeit dieser Götter sehr weit über die Erschaffung der Welt hinausgeht, und also einen zu weiten Strich in die Ewigkeit hineinläuft.
Es scheint indessen bei dieser ganzen Chronologie, daß die Japaner den Aegyptern, Chaldäern, Brahmanen und andern, die aus Rühmsucht und Nacheiferung immer ihre eigne Nation und Beherrscher alt machten, nicht haben nachgeben, den Sinesern ihren Nachbarn aber es haben zuvor thun wollen. Daher haben sie den erdichteten Stifter ihres Geschlechts den Tensio Dai Dsin dem ersten und erdichteten Stifter der Sineser, dem Sin Kwo Si (oder Tien Hoam Tsji nach sinesischer Aussprache) noch viele 1000 Jahre in ihren Chronologien vorgesezt. Sie wolten ohne Zweifel besonders dadurch der Lehre, daß sie von den Sinesern herstamten, vorbeugen und verhüten, daß ihnen ihr Erzvater nicht genommen und zu einem Fremden gemacht würde. Zu noch größerer Sicherheit haben sie dennoch das noch ältere Stamregister der unkörperlichen Götter vorhergehn lassen, und diesen ihre Entstehung in dem Ursprunge und Erschaffung aller Dinge angewiesen. Hierdurch glaubten sie sich dann hinlänglich zu einer ganz unabhängigen, ursprünglichen Nation erhoben zu haben.
Indes wissenn die guten Leute doch nichts befriedigendes zu antworten, wenn man ihnen einige Einwürfe wider die Wahrheit ihrer angeblichen Geschichte macht; z. E. wenn man sie nach der Ursache frägt, warum doch Twa Dsedsuno, der lezte ihrer so großen und vokomnen Menschgötter, ein so schwaches Geschlecht der jetzigen kurzlebenden Menschen habe hervorbringen können? Eben so wenig wissen sie es zu erklären, warum man vor ihrem ersten würklichen Kaiser gar nichts von dem Zustande ihres Volks, ihres Landes und ihrer Vorfahren beeschrieben finde? Dies hat in der That sogar einige ihrer eignen Schriftsteller bewogen, daß sie diese japanische kleine Welt Atarasy Kokf oder Sinkokf d. i. Neuland nennen, als wäre es zur Zeit dieses ersten Kaisers zuerst entdekt und bevölkert worden.
Soviel ist gewis, daß die Sineser in dieser Absicht einen sehr großen Vorzug vor den Japanern haben. Der ersten ihre Zeitrechnung geht auf mehr als 4000 Jahre von jezt hinaus. Seit dieser Zeit haben sie beständig ihre Geschichte, Kaiser, deren Alter und Regierung nebst vielen denkwürdigen Reichsbegebenheiten aufgezeichnet. In Japan aber hat man dieses erst 660 Jahr vor Christi Geburt, von der Zeit ihres ersten Odai oder Mikaddo zu thun angefangen.
Da aber damals in diesem Lande schon eine so mächtige Monarchie gestiftet wurde, da schon einige Menschenalter hernach, nachh dem Zeugnis ihrer Chroniken, hier große innere Kriege geführt wurden; da die Japaner durch Hungersnoth auch oft viele 1000 Menschen verlohren: so folgt daraus offenbar, daß sie nicht damsls zuerst hier entstanden seyn können, sondern schon viele Jahrhunderte vorher in diesem Lande gewohnt und eine zahlreiche Nation ausgemacht haben müssen. Man müste sonst annehmen, daß sie kurz vorher ein anders großes Reich verlassen und dieses Land bezogen hätten, oder auch plözlich wie Erbschwämme aus der Erde hervorgekommen wären. Beide Meinungen sind, wie man sieht, lächerlich.[1]
Die wahrscheinlicher Meinung ist vielmehr, daß die Japaner nach der Lage der Landschaften, welche durch Berge, Ströhme und Seen von einander getrennt sind, in viele Heerden und Haufen vertheilt, mehrere Jahrhunderte hindurch fortgelebt haben, bis endlich der glükliche japanische Ninus Dsin Mu Ten Oo durch List, Gewalt, oder freye Wahl der Herr der ganzen Nation wurde, und sie unter einer monarchischen Regierungsform vereinigte.
Seit diesem ihrem ersten Monarchen beschreiben die Japaner die Thaten und Begebenheiten ihres Volks mit einer ganz unfehlbaren Zeitrechnung. So wie der Dadsino Mikotto unter den himlischen Göttern wie der Tendsjo Daiosjn unter den irdischen Göttern, so ist dieser erste Monarch Dsin Mu Ten Oo unter den Menschen der erste und gröste. In seiner Familie ist denn auch das Recht der kaiserlichen Gewalt, die Ausübung nicht mehr, wie ich weiter unten zeigen werde, nebst einem anbetenswürdigen Ansehn erblich geblieben bis zu dem jezt regierenden 114ten Midaddo, dem Kin san Kwo tei.
Diese Herrschaft hat also bis zu dem Jahre unsrer Zeitrechnung 1700 gewährt 2360 Jahre.

[1] Die englische Uebersetzung giebt hier den Werth dieser beiden Meinungen etwas deutlicher und bestimter an. Die eine, sagt sie, sey lächerlich, die andre unwahrscheinlich. Und in der That ist auch die Behauptung, daß die Japaner aus einem fremden Lande gekommen wäran, nicht gerade lächerlich, ob sie zwar wohl etwas unwahrscheinlich seyn mag, und keine beweisende Gründe für sich hat.

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