Dohm, Christian Wilhelm (ed.) Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Meyer, Lemgo 1777-79.

Internet-Edition by Wolfgang Michel, © Fukuoka, Japan March1998

    

III. Von der bei den Japanern üblichen Kur der Kolik durch die Akupunktur oder das Stechen mit der Nadel.

Die Japaner nennen die Kolik Senki. Diese Krankheit ist auf den volkreichen Japanischen Inseln endemisch und so häufig, daß sich unter zehn Erwachsene kaum einer findet, der nicht einmal von ihr wäre befallen worden. Die sonst so gesunde Luft dieses Landes, das hiesige Wasser, die Speisen, die Getränke, und die übliche Lebensart verbinden sich insgesamt, diese Krankheit zu erzeugen. Auch die Fremden werden von ihr angefallen, wenn sie die Getränke dieses Landes genießen, wie wir selbst zu unserm Schaden erfahren haben, da wir bei unsrer Landung, nach der Weise der Seefahrer, in dem kalten Japanischen Bier, (das man Sacki nent,) das viele erlittene Ungemachh unsrer Reise zu vergessen suchten. Dies Sacki wird aus Reis gebrauet, und ist so stark und consistent, wie spanischer Wein. Es darf nach Japanische Sitte nicht kalt getrunken werden, sondern wird etwas erwärmet, aus Schaalen geschlurft.
Nicht jede Art von Leibschmerzen wird in Japan mit dem Namen Senki belegt, sondern nur diejenige, die zugleich die Därme angreift und auch in den Weichen unsers Körpers convulsivischen Bewegungen erregt. Auch greift diese Kolik die Muskeln und Häute des Unterleibes an. Die Ursache und Materie dieses Schmerzens so wie aller Bauchkrankheiten überhaupt suchen die Japaner nicht in der Höhle der Därme, welchen sie wenigstens nur die geringern Grade beimessen. Sie sey, behaupten sie, in der häutigen Substanz irgend eines Theils des Bauchs zu finden, als in den Muskeln, der Haut, die die Gedärme umgiebt, (peritoneo,) dem Netz, dem Gekröse und den Därmen selbst. Wenn diese Materie sich an einem der Orte etwas aufgehalten hat, so wird sie in einem Durst, oder vielmehr, wie die Japaner sagen, in einen sehr scharfen Geist verwandelt, der dann jene Häute ausdehnt, durchstöst und zerreibt. Wenn also, folgern sie nun, der Kerker dieses Geistes zerbrochen, und er aus dem engen Behältnisse, in dem er verschlossen war, befreyet wird; so höret in einem Augenblick die heftige und schmerzhafte Empfindung der Ausdehnung auf, welche man im Lateinischen gemeiniglich mit Unrecht Colik nent, weil der Darm, wovon diese Benennung herkömt, sehr oft unschuldig an dem Uebel ist. Diese Gymnosophisten geben ihr nach der Meinung der Japaner und Sineser, mit besserer Unterscheidung aller Fälle, den Namen eines Krampfes im Bauche und in den Eingeweiden.
Diese Krankheit ist in Japan noch mit einigen besondern Zufällen verbunden. Sie bringt gerade wie das hysterische Uebel, den Kranken oft in Gefahr, zu ersticken, da sie den ganzen Körper von den Weichen bis an die falschen Rippen oder bis an die Spitze des Brustbeins anfält. Wenn sie lange gewütet hat, endigt sie endlich mit Geschwulsten, die hin und wieder am Körper hervorgehn, und sehr oft endigt sie auf eine sehr schreckliche Art. Bei den Männern pflegt gemeiniglich eine der Hoden sehr stark aufzuschwellen, daraus oft ein Fistelgeschwür wird. Bei den Weibern aber findet sich eine Menge heslicher Klumpen am Hintern und der Schaam, gemeiniglich pflegen die Haare um diese Theile abzufallen. Aber diese Fleischbrüche, (welche die Japaner Sobi, und den daran leidenden Kranken Sobimotz nennen) und Feigwarzengeschwüre sind auch ohne die Kolik in Japan sehr häufig und endemisch.
Ehe wir zu Beschreibung der Nadelcur bei dieser Krankheit übergehn, muß ich vorher erinnern, daß man in Japan zwei chirurgische Haupt= und Universalmittel hat, zu denen, sowohl die Gewundheit zu erhalten, als wenn sie verlohren ist, sie wieder herzustellen, Alle und Jede ihre Zuflucht nehmen, die Gesunden und die Kranken, die Aerzte und die Quaksalber, die Leute vom Stande und aus dem Pöbel. Und diese Mittel sind schon lange vor Erfindung der Arzneiwissenschaft in Koräa, Sina und Japan sehr berühmt gewesen, und haben eben durch das lange Alterthum noch mehr heilige Ehrwürdigkeit erhalten. Diese Mittel sind dem Namen nach etwas fürchterlich, nämlich Feuer und Metall. Aber unter diesen Worten darf man nicht einen grausamen verwundenden Stahl, noch das Feuer eines glühenden Eisens verstehn, mit denen die unmenschliche Ehirurgie unsers westlichen Erdtheils die armen Sterblichn auf eine Art martert, die von allen verabscheuet werden muß, die noch Menschlichkeit und Mitleiden zu fühlen fähig sind. Das Feuer der Japanischen Medicin ist ungemein lieblich, und nicht fruchtbarer, als dasjenige, welches selbst vor den Göttern des Landes abgebrant wird, nämlich die sanft zunehmende Flemme von der zusammengerolten Pflanze mit dem königlichen Namen Artemisia. Und ihr Metall ist das kostbarste und edelste unter allen, nämlich Gold und Silber. Die Japanischen Künstler machen aus demselben Nadeln von ganz ausnehmender Feinheit, die zum Stich in den menschlichen Körper ungemein bequem sind, und werden deshalb so ausnehmend geschätzt, daß sie die Japaner bestänndig im Busen in einem Kästchen (von denen sie große Liebhaber sind) neben anderm eben so künstlichem Geräth tragen. Die beste Art, diese Mittel anzuwenden, ist eine Sache von so großer Wichtigkeit, daß die Kentnis, welche Orte des Körpers gebrant und gestochen werden müssen, einen ganz besondern Theil der Japanischen Chirurgie ausmacht. Die Meister in derselben heißen Tensasj d.i. die Berührer, nämlich diejenigen, welche die besten Orte auswählen, worin das Wesentlichste der ganzen Sache besteht. Diejenigen aber, welche das Geschäft selbst mit der Hand ausüben, heißen Farittatte, d.i. mit der Nadelstechende, sie mögen dies nun nach ihrer eignen Kentnis oder nach der Vorschrift eines Berührers verrichten. Zu einer volkommenen Nadel aber, die ohne Gefahr in den menschlichen Körper gebracht werden sol, wird erfodert, daß sie ganz außerordentlich fein, und aus einem der vorhergenante Metalle und zwar von volkommener Reinigkeit und Duktilität ohne den mindesten Zusatz von Kupfer verfertigt, auch mit ganz besondrer Geschicklichkeit gehärtet sey, weil die Weiche dem Gebrauch schaden kan. Daher besitzen auch nicht alle Künstler im Japanischen Reich diese Geschicklichkeit, und die sie besitzen, dürfen doch die Nadeln nicht ohne besondre Kaiserliche Erlaubnis verfertigen. Die Nadeln selbst sind von doppelter Art. Die von der ersten werden ohne Unterschied aus einem der beiden edlen Metalle verfertigt, und sind zwar nicht in Absicht der Größe, aber der Gestalt nach denen Griffeln ähnlich, deren sich unsre Schulknaben beim Aufsagen der Buchstaben und die Indianebeim Schreiben bedienen. Sie sind etwa viel Zol lang, sehr dünn, endigen sich in eine sehr zarte Spitze, und haben eine schneckenförmig gewundene Handhabe, damit sie bequem herr umgedreht werden können. Zur Verwendung der Nadel gebraucht man einen kleinen Hammer, der so eingerichtet ist, daß man an jeder Seite der Handhabe eine Nadel anbringen kan. Der Hammer ist ungemein fein aus dem Horn eines Auerochsen gemacht, etwas länger als die Nadel selbst, hat oben einen runden zusammengedrückten Knipf, der durch hineingelegtes Bley schwer gemacht wird. Diejenige Seite des Knopfes, die zum Schlagen bestimt ist, ist mit weichem violetfarbenem Leder überzogen, damit er beim Stos nicht von der Nadel abspringe. Die Nadeln der andern Art sind allemal von Silber, ihre Gestalt aber ist wenig von der vorigen verschieden. Sie sind eben so lang und so dünn, wie eine Saite auf einer Harfe, und die Handhabe ist ein wenig dicht, kurz und in die Länge gestreift. Man pflegt gemeiniglich mehrere dieser Nadeln in einer länglicht viereckigten hölzernen Kapsel zu verwahren, die von außen mit Firnis und von innen mit einem ungeschornem Tuche überzogen ist, in dessen hervorstechende Wolle man die Nadeln zu legen pflegt.
Die Namen, womit man diese verschiednen Arten von Nadeln beleg’, sind folgende. Beide haben den gemeinschaftlichen Namen Uuts Barri d.i. eine gekrümte Nadel. Die von der zweiten Gattung haben den besondern Namen, Fineri Barri, der aber eben das bedeutet; wenn bey der Operation ein kleiner Kanal von Erz bei dieser Nadel bevestigt wird, so heist die Juda Barri, d.i. eine mit einem Kanal versehene Nadel. Dieser Kanal ist etwa ein Drittheil eines Fingerbreits kürzer, wie seine Nadel, und wird gebraucht, um durch ihn genau in den bestimten Ort des Körpers ohne allen Fehler zu stechen.
Die Operation dieses Stechens selbst geschieht nun auf folgende Art. Man nimt die Spitze der Nadel in die linke Hand zwischen dem Mittel= und Zeigefinger, der auf dem Daum ruhet, und nähert sie alsdenn dem Orte, in den gestochen werden sol, und der vorher wohl ausgewählt ist, damit er von keinen Nerven berührt werde. Alsden nimt der Arzt den kleinen Hammer in die rechte Hand, und bringt die Nadel mit einem oder zwei Schlägen durch die äußere, harte Haut, legt dan den Hammer weg, und dreht die Handhabe der Nadel zwischen den Spitzen der vordern Finger, um sie bis zu der erforderlichen Tiefe in den Körper zu bringen, welche gemeiniglich einen halben, zuweilen, aber selten, einen ganzen Zol betragen, und in jedem Fal die Materie des Schmerzes berühren muß. Der Arzt hält die Nadel hier feste, bis der Patient ein oder zweimal Athem geschöpft hat, alsdenn zieht er sie aus, prest den Ort mit seinen Fingern, als wolte er den bösen Geist herausdrücken. Die Nadel von der andern Art wird blos durch herumdrehn hineingebracht, da sie der Arzt zwischen den Spitzen des Daumens und Mittelfingers hält. Diejenigen, welche eine sehr geübte Hand haben, können durch einen Schlag des Zeigefingers, den sie über den Mittelfinger legen und auf die Nadel drücken, die Haut eher durchstoßen, als die Nadel umdrehen. Andre bediienen sich einer kleinen Röhre, wie ich sie vorher beschrieben habe, und welche verhindert, daß die Nadel durch einen starken Schlag nicht zu tief in die Haut ei dringe.
Die Regeln dieser Punktirkunst sind ausnehmend mannichfaltig, und haben besonders Beziehung auf die Blähungen als die Ursache des Uebels, nach welchen die berührenden Aerzte sowohl die Tiefe als den Ort des Stichs sehr genau bestimmen müssen. Man hält dafür, daß dieses Stechen in allen den Krankheiten helfe, wo auch das Brennen gebraucht wird, wovon ich in der Abhandlung vom Brennen mit der Moxa handeln werde. Der gemeine Mann wagt es sogar, sich blos auf die Erfahrung zu verlassen, und die Nadel ohne die Vorschriften eines leitenden Tensasi zu gebrauchen, und hütet sich nur, daß es dabeii nicht Sehnen, Nerven und große Adern durchstoße. Da ich nun einen algemeinen Begrif von der Akupunktur gegeben, wil ich nun noch mit wenigem melden, wie sie bei der Kolik angewandt werde.
Die Japanischen Aerzte pflegen bei einem an der Kolik Kranken neun Nadelstiche vorzuschreiben, welche auf dem Unterbauche geschehen müssen, und zwar so, daß die neun gestochnen Punkte gerade ein Quadrat ausmachen, und allemal zwischen zwey derselben eines umgekehrten doppelten Daumens Breite gelassen wird. (S. Tab. XLIII Fig. 6.) Jede Reihe dieser Punktirungen hat bei den Lehrern der Kunst einen besondern Namen, und bei jeder sind eigne Regeln zu beobachten. Die erste Reihe heist Sjoquan, und ist dicht unter den Rippen, die andre Tsjuquan, in der Mitte zwischen dem Nabel und dem spitzigen Knorpel des Brustbeins; die dritte Gecquan, etwa einen halben Zol über dem Nabel. Wenn in diesen drei Reihen nach der Ordnung und den Vorschriften des Meisters der Kunst in gehöriger Tiefe gestochen ist; so hören die Schmerzen der Senki sogleich und oft in einem Augenblick auf, als wenn sie weggezaubert wäre. Ich kan dies als Wahrheit versichern, da ich sehr oft Augenzeuge davon gewesen bin.
Man hat auch mit dem andern vorher angeführten Universalmittel die Kolik zu vertreiben gesucht, aber nicht mit so glücklichem Erfolg. Der Körper des Patienten wird alsdenn an beiden Seiten des Nabels in der Entfernung von zwei Zol gebrant. Diese beiden Orte heißen Tensu, und sind berühmt, weil man in den meisten Fällen hier zu brennen pflegt, und daher auch denen wohl bekant, die nicht Kenner der Chirurgie sind. Ich werde davon in der folgenden Abhandlung genauer reden.
Man hatte auch noch kurz vor meiner Ankunft ein Mittel wider die Kolik entdekt, dem ganz ausnehmende Kräfte beigemessen werden, und das izt sehr häufig nicht nur in der Krankheit, von der wir reden, gebraucht wird, sondern auch im cholerischen Uebel, das hier sehr häufig ist und betrübte Folgen hervorbringt, wie auch in dem chronischen Bauchschmerzen Saku, der gleichfals endemisch ist und mit der Kolik viel Aehnlichkeit hat, und überhaupt in allen Bauchschmerzen, (deren Siz in den Därmen von Feuer und Metal icht leicht erreicht werden kann) und vielen andern Zufällen. Dies Mittel ist ein Pulver, das in der Landessprache Dsjosei, in den Charaktern der Gelehrten aber Wadsusan heißt. Es wird nur allein in dem Dorfe Menoki, in der Provinz Oomi unter dem Siegel des Erfinders verkauft, der den Alleinhandel mit demselben unter dem Vorwand der Religion erhalten hat. Er sagte nemlich, der Japanische Apollo, Jakusj, habe ihm die wirksamsten Kräuter gegen das Hauptübel dieser Nation, die Leibschmerzen, im Traume gezeigt, die auf einem benachbarten und wegen vieler wundervollen Umstände schon sehr berühmten Hügel wachsen solten. Die gute Wirkung verschafte diesem Mittel bald großen Ruhm, seinem Erfinder Glauben, und seiner ganzen Familie solchen Reichthum, daß sie, die vorher blutarm war, bald fähig wurde, neben den drei Werkstäten, in denen das Pulver gemahlen und verfertigt wird, auch drei kleine Tempel dem Geist des Erfinders, als dem Schöpfer ihres Glüks, zu errichten. Dieses Pulver ist bitterer wie Galle, ich habe davon mitgebracht, aber es hat auf die Därme unsrer Deutschen nicht mehr Wirkung gethan, als unsre gewöhnlichen Arzneien. Das Recept zur Verfertigung wird von der Familie als ein Geheimnis aufbewahrt. Indes habe ich in den Werkstätten wohl bemerkt, daß das Hauptingredienz eine Species von bitterm Costus ist, der hier Putsjuk heißt, und sehr häufig aus Guzurate von den Holländern nach Japan gebracht wird. Diese Pflanze hat sehr mannichfache Kräfte, und wird in Japan sehr häufig gebraucht, daher auch daselbst kein fremdes Gewächs so stark verlangt wird, als dieses un die Bergwurzel Sisarum Coraeense, die Cleyer Ninsin nent.

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