Wolfgang Michel: Engelbert Kaempfers merkwürdiger Moxa-Spiegel -- wiederholte Lektüre eines deutschen Reisewerks der Barockzeit - [Engelbert Kaempfer's Strange 'Moxa-Mirror' Repeated Readings in a Seventeenth Century Travelbook]. Dokufutsu Bungaku Kenkyû, No. 33 (August, 1983), pp. 185 - 238.
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Wolfgang Michel

Engelbert Kaempfers merkwürdiger Moxa-Spiegel - wiederholte Lektüre eines deutschen Reisewerks der Barockzeit -


Gegenstand dieser Arbeit ist der Moxa-Traktat von E. Kaempfer (in den drei Ausgaben von 1712, 1717, 1777/79), der eine überragende Rolle bei der Verbreitung des Begriffes Moxa in Europa spielte. Neben einem philologischen Kommentar, dem ersten überhaupt, wird eine inhaltliche Analyse geleistet. Dabei stellte sich heraus, daß in Kaempfers Arbeit, die unerwartet viele Einflüsse Ten Rhijnes zeigt, einige asiatische Vorstellungen mit aus der griechisch-romischen Antike stammenden abendlandischen Anschauungen eine innige Synthese eingingen. Zum anderen hatte sich Kaempfer bemüht, die fernöstlichen Lehren über die 'modernere' Terminologie seiner Zeit direkt an die medizinische Philosophie des Barocks anzuschließen. Der letzte Teil besteht aus einer ikonographischen Untersuchung der Abbildung, wo sich in sehr ähnlicher Weise 0st und West miteinander vermischten. Nach einer vollständigen Entzifferung der korrumpierten Charaktere wurde klar, daß diese Illustration nichts mit dem Inhalt des Kaempferschen Moxa-Spiegels zu tun hat, daß es sich wahrscheinlich um eine Tafel verbotener Punkte gehandelt hatte, was weder Kaempfer noch all den Rezipienten der über 260 Jahre langen überlieferungsgeschichte aufgefallen war.

 

  1 Einiges zur Vorgeschichte

Eigentlich ist sie die berühmteste unter allen älteren Arbeiten zur Moxibustion, ja zum "State of Physick" [1] in Japan überhaupt, die Abhandlung "Von der Moxa, dem vortrefflichen Brenmittel, das bei den Sinensern und Japanern sehr häufig gebraucht wird". Zwar weiß man von einigen noch älteren Erwähnungen der "artemisialischen Küchlein", doch so ausführlich berichtete erstmals der Arzt und Gelehrte Engelbert Kaempfer (1651-1716)[2] vor über 270 Jahren.[3] In Japan zu Unrecht im Schatten des Ph. F. von Siebold (1796-1866), übte er — leider erst nach seinem Tode — auf die europäische Kulturwelt einen beachtlichen Einfluß aus, der auch heute noch nicht erschöpfend gewürdigt ist.[4] Als wissenschaftlich interessierter Reisender leistete er Pionierarbeit für die Forschungsreisenden der folgenden Generationen und setzte dem Genre der Reisebeschreibung bzw. der Landeskunde bleibende Maßstäbe. Durch zahlreiche Disziplinen und Länder lassen sich seine Spuren verfolgen. Nicht nur Botaniker, Mediziner, Geographen, auch Philosophen wie Montesquieu, Voltaire oder Kant[5] u.a. nutzten sein Werk. Manche Impulse reichen bis ins 19. Jahrhundert, und selbst heute noch lohnt die Lektüre Kaempfers jede Mühe.

Nach ausgedehnten Reisen durch Rußland, den Nahen Osten, Südostasien landete dieser neugierige und scharfe Beobachter 1690 in Nagasaki und verbrachte in der Faktorei der Holländisch-Ostindischen Gesellschaft auf der kleinen Vorinsel Deshima zwei Jahre. Unter sicher qualvollen Einschränkungen begann er von hier aus, ein Mosaik des verschlossenen Reiches zusammenzufügen, wobei die Rolle eines vierundzwanzigjährigen "sehr gelehrten" und in der "japanischen und sinesischen Schrift sehr bewanderten" japanischen Jünglings,[6] den man ihm als zu bezahlenden Diener beigab, gar nicht hoch genug einzuschätzen ist. Als Arzt durfte Kaempfer auch an der Hofreise des holländischen 'opperhoofd' , des Oberhaupts, nach Edo teilnehmen, wo man dem "Kaiser" die alljährlichen Honneurs zu erweisen hatte. Viele Kontakte und die trotz aller Verbote intensiven Studien während dieser beiden Reisen trugen wesentlich zur Vervollkommnung seines Japanbildes bei.

Daß er sich auch mit der japanischen Medizin befaßte, liegt auf der Hand. In Batavia traf er Andreas Cleyer (1634-1698),[7] einen seiner Vorgänger in Nagasaki, Deutscher wie er selbst, Arzt und erfolgreicher Kaufmann mit weitgespannten Interessen und Verbindungen. Es wäre verwunderlich, wenn die beiden nicht über die östliche Heilkunde und das ihr zugrundeliegende Denken gesprochen hätten. Nochzumal Cleyer einige Jahre zuvor in Frankfurt die 'Specimen medicinae sinicae' (1682) herausgebracht hatte mit übersetzungen chinesischer Texte, mit diversen Fragmenten, Traktaten, zahlreichen Schemata und Abbildungen 'ab erudito Europaeo' , der leider noch nicht schlüssig identifiziert wurde.[8] Auch der Name Buschof,[9] jenes holländischen Predigers, der die 'Moxa' als Mittel gegen die Gicht (Podagra) anpries und 1684 in Batavia verstorben war, blieb nicht ungenannt. Von ihm stammt eine posthum in Europa publizierte Schrift, durch die sowohl das neue Heilmittel als auch dessen Name in der noch heute üblichen Schreibweise verbreitet wurde.[10] Desweiteren ist er dem Willem Ten Rhijne[11] begegnet, von 1774 bis 1776 auf Deshima und dann bis zu seinem Tode im Jahre 1700 als Arzt und Forscher in Batavia tätig. Möglich, daß die Spannungen zwischen Ten Rhijne und Cleyer auch Kaempfer beeinflußten. Zwar bezeichnet er ihn in der "Geschichte des Thees" als "verehrungswuerdigen Freund",[12] aber im Zusammenhang mit der östlichen Medizin, ihrer gemeinsamen Domane, werden nur Cleyer und "Bushofius" erwähnt.[13]

Doch ohne jeden Zweifel hatte Kaempfer spätestens nach seiner Rückkehr aus dem Osten Ten Rhijnes "Dissertatio de Arthritide" gelesen, die schon 1683 in London erschienen war. Denn dort fiel, wahrscheinlich zum ersten Mal, das Wort "acupunctura",[14] heute als Akupunktur, acuponcture etc. Gemeingut aller europäischen Sprachen. Diesen Begriff wie auch den der Moxa verwendete er nämlich 1694 in seiner Inauguraldisputation an der Universität Leyden, wo er "Decadem Observationum Exoticarum" zum Besten gab, darunter "De Moxa" und einiges zur "Curatio Colicae per Acupuncturam".[15] So kehrte er schließlich nach über einem Jahrzehnt in den kleinen Horizont seiner Heimat zurück, reich an Erfahrungen und voller Pläne, von denen sich kaum einer verwirklichen lassen sollte.

Eine Fülle von Materialien hatte Kaempfer aus Japan herausgeschmuggelt und nach Europa gerettet. Vieles, nach dem man sich alle Finger geleckt hätte, wäre nur bekannt gewesen, welche Schätze es in der Grafschaft Lippe zu heben gab. Doch bis zur Drucklegung eines Werkes verstreicht die Zeit, zu viel Zeit, da in der engen Welt des zersplitterten Deutschlands kein Verleger das mit den erheblichen Kosten verbundene Risiko übernehmen will. Vier Jahre vor seinem Tode erscheint in Kaempfers Geburtsstadt Lemgo, eigentlich als hors d'oeuvre gedacht, das Buch "Amoenitatum exoticarum" (1712), in dem sich die oben genannten beiden Themen als elfte und zwölfte Observatio in überarbeiteter Form wiederfinden. Das Echo unter den — wohl wegen des Lateins nicht allzu zahlreichen — Subskribenten war sehr ermutigend. Dennoch gelingt es dem Autor bis zu seinem Tode nicht mehr, einen Verleger für drei weitere, schon abgeschlossene Manuskripte zu begeistern. Von den Enttäuschungen der späten Jahre überhaupt und dem Ehe-Joch wollen wir schweigen.

Der Nachlaß wird leider nicht allzu pfleglich behandelt, gelangt dann aber größtenteils in die Hände von Lord Hans Sloane, einem britischen Gelehrten mit großen Verdiensten in der botanischen Erschließung Westindiens und zugleich Präsident der Royal Society. Dieser beauftragt den Schweizer Naturforscher und Arzt J.G. Scheuchzer (1702-1729) mit der übersetzung und gibt 1717 in London die 'History of Japan' heraus, deren Anhang auch die zwei Traktate über die Akupunktur bzw. Moxibustion, nun in englischer Sprache, umfaßt. Das Werk erregt großes Aufsehen. übertragungen ins Französische und Holländische folgen rasch, Auszüge verwendet Du Halde in der berühmt gewordenen Description (...) de l'Empire chinoise. Als diese dann 1749 in Deutsch erscheint, hat sich der übersetzungszirkel geschlossen, nur im Urtext war er den aufmerksam gewordenen Landsleute nicht vergönnt. Doch zuguterletzt editiert Christian Wilhelm Dohm[16] eine deutsche "Geschichte und Beschreibung Japans" (1777-1779) auf der Grundlage einer von ihm aufgestöberten weiteren deutschen Manuskriptabschrift.[17] Just für diese Zeit taucht ein erstes englisches Exemplar sogar im fernen und abgeschlossenen Japan auf.[18]

Für mindestens hundert Jahre behauptet sich Kaempfer mit seiner Fülle von geographischen, natur- und volkskundlichen, religiösen und gesellschaftlichen Informationen als Autor des entscheidenden Japanwerks, das seine Spuren in den Schriften der europäischen Intelligenz hinterläßt und als Quelle für eine ganze Reihe japanischer Fremdwörter im Deutschen, Englischen, Französischen usw. zu gelten hat. Kaum eine Enzyklopadie, kaum eine diesbezügliche Arbeit jener Zeit versäumt einschlägige Hinweise auf Kaempfer, auch die Akupunktur und Moxibustion bleiben aufs engste mit seinem Namen verknüpft.

Selbst einem Ph. Franz von Siebold (1796-1866),[19] der in Japan den Stoff zu seinem monumentalen 'Nippon' unter weiß Gott freundlicheren Bedingungen sammelte und sich vorzüglicher Beziehungen zu japanischen Kollegen bis hin zu Hofärzten wie "Isisaka Sotetsu" [20] erfreute, ist zur japanischen Medizin nicht mehr viel Neues eingefallen. In seiner Abteilung IV referiert er denn weitgehend Kaempfers Darlegungen — unter gehöriger Vermehrung der Fehler in der Wiedergabe japanischer Namen — [21] und läßt zuletzt "der Merkwürdigkeit wegen einen Auszug aus dem 'Moxa-Spiegel' folgen".

 

 

  2 Abriß der Kaempferschen Auslegungen

Die Abhandlung besteht aus zwei Teilen: einer Darstellung Kaempfers in sieben Abschnitten und der übersetzung einer 'japanischen' Tafel, dem eigentlichen 'Moxa-Spiegel' , der zudem mit einer Abbildung versehen wurde. Der Text liegt in verschiedenen Ausgaben vor, der überarbeiteten lateinischen 'Urform' von 1712, der wirkungsgeschichtlich bedeutsamen englischen übertragung von 1717, der für uns Deutsche wichtigen Neuübersetzung von 1777/79 sowie weiteren übersetzungen in andere Sprachen — zum Teil aus dem Lateinischen, meist aber aus dem Englischen — die ich hier übergehe. Auch die kaum bekannt gewordene Dissertation von 1594, die noch extrem knapp gehalten ist und überdies den 'Moxa-Spiegel' nicht enthält, verarbeite ich, da sich kaum neue Aspekte ergaben, nur implizit. Der nachfolgende Abriß des Inhalts umfaßt die wichtigen Aussagen des Textes und alle weiteren unklaren bzw. für die spätere Interpretation bedeutsamen Punkte. Der dabei entstandene Anmerkungsapparat ist zugleich auch meines Wissens der erste philologische Kommentar in der über 260 Jahre langen Rezeptionsgeschichte dieses Textes. Wann immer die lateinische oder englische Ausgabe zu stark von der deutschen abwich bzw. beachtenswerte Aspekte bot, habe ich die entsprechenden Stellen eingefügt und durch < > gekennzeichnet:

Asien in seiner weiten Ausdehnung habe drei "Helikons",[22] die Araber, "Brachmanen" [23] und "Sinenser",[24] von denen die Wissenschaften und Künste des Orients ausgehen. Alle diese Völker seien "durch Klima, Sprache, Sitten und Religion ungemein voneinander unterschieden", was auch auf die Medizin zutreffe. Indes, "wenn man nach den Ursachen der Krankheit fragt", stimmten sie alle darüber ein, "die Blähungen und Dünste < Flatus & Vapores; winds and vapours> als die Hauptursachen anzugeben, so daß sie mit unserm großen Coischen Lehrer (Lib. de flat.) alle moegliche Schmerzen und Leiden den Winden < flatus> zuschreiben". Als Heilmittel zögen sie ein "sanft brennendes Feuer" dem "gluehenden Eisen" vor, hielten die Vereinigung von Vulkan und Mars[25] für "ueberfluessig und unnuez und also eines nach Grundsaetzen handelnden Arztes unwuerdig" (!). Dieser dürfe "keine andre Absicht" haben, "als entweder die eingeschlossene Materie des Schmerzes < materia doloris> zu befreien, oder die schon befreite aus dem Koerper ganz heraus in die freie Luft zu bringen". Das Verfahren selbst sei eigentlich nicht neu. Die alten "arabischen, aegyptischen und griechischen Aerzte", von denen die Europäer die Heilkunst erlernt hätten, "zogen dem gluehenden Eisen angezuendete Schwaemme, die ins Feuer gebrachten Wurzeln von Struthium[26] und Aristologia[27] vor" Andere verwendeten "Schwefel" oder "Buchsbaumzweige, die mit warmem Oel angefeuchtet waren". "Wer von der Verschiedenheit der Brenmaterien und der Arten, sie zu gebrauchen, bei den Alten sich unterrichten" wolle, der solle nur "den Mercatum Pr. L.4. c1, p.162[28] und von den Neuern den M.A. Severinum[29] lesen". (§ I )

Bei den Arabern und den von ihnen beeinflußten Persern sowie den "mogolischen Indiern"[30] gäbe es "ein baumwolnes mit Wayd < Glastum> (Franzoesisch cotton bleu)[31] gefaerbtes Tuch", das als zwei Zoll langer Zylinder von 1/2 Daumen Durchmesser auf die betreffende Körperstelle aufgebracht und von oben abgebrannt würde. Das daure wohl eine Viertelstunde, nage das Fleisch ab und hinterlasse ziemliche Wunden, die der Arzt dann zum Eitern brächte.[32] Die dabei auszuhaltende "Marter" sei wohl der Grund, daß man sich dieses Verfahrens nicht so häufig bediene. Den Saft des Wayds hielten die Araber für wichtig, weil "dadurch die Kraft des Feuers nicht wenig verstärkt werde". Ihm selbst seien in Indien auch die guten Wirkungen der mit Wayd getränkten Leinwand beim Verbinden aufgefallen.

Die Brahmanen wiederum bedienten sich "mehrerer ganz verschiedner Brenmittel nach der Verschiedenheit der Krankheiten". Da jede Krankheit ihre eigene Beschaffenheit habe, sei auch "nicht jede Gattung Feuer" stets geeignet. Allerdings habe er nicht weit in ihre gehüteten Geheimnisse vordrigen können. Das gewöhnlichste Mittel jedoch seien die "Junci",[33] Binsenrohre, die in Sümpfen wüchsen. Deren Mark würde man mit dem "Oel von Leindotter", Sesamol, anfeuchten und einbrennen. Auch die "Malayer, Jawaner, Siamer" und wahrscheinlich noch andere benachbarte Nationen nützten dieses Mark.

Jenseits des Ganges fände man nun den "edelsten und unter allen am meisten ueblichsten Feuerzunder bei den Sinensern und Japanern". Dessen Gebrauch sei nach deren Kundtun älter als die Medizin selbst. Das "Moxa" genannte Mittel sei "am gemeinsten bekant, sowohl in Sina, als unter allen durch die sinesische Weisheit aufgeklärte Nationen als den Japanern, Koraeern, Quinamesen, Lukoniern, Formosanern, Cochinsinesern und Tunkinern".[34] Der Leser möge ihm, Kaempfer, erlauben, sich der japanischen Benennungen zu bedienen statt der chinesischen, weil er sich da besser auskenne. (§ II)

Es folgt eine Beschreibung der Artemisia vulgaris, dem in Japan als Jungpflanze "Futz", später "Jamoggi" [35] genannten gewöhnlichen Beifuß. Dieser würde am "Gonguatz go nitz",[36] am 5. 5. des Mondkalenders, gesammelt, an der Luft getrocknet und nach langem Lagern (bis zu 10 Jahren) "mit einem Moerser geschlagen" und anschließend mit beiden Händen "herumgetrieben und gerieben". Dabei gewönne man eine "sehr zarte und weiche faserigte Materie", die "Moxa". (§ III)

Das Brennen selbst sei auf keine Weise so "fuerchterlich" wie der westliche Cauter. "Kein gluehender Koerper faelt hier in die Augen, sondern der angenehme Duft der nur glimmenden Materie steigt in die Nase; und der Schmerz ist auch nicht sehr gros". Nur die aufgesetzten Kegel, "welche die Japaner Kawa Kiri[37] oder Hautschneider nennen, (...) erregen einen heftigen Schmerz". "Kinder und Greise, Reiche und Arme, Maenner und Weiber", alle würden "ohne Unterschied gebrant". Man pflege nun die Moxa anzuwenden "entweder um sich vor Krankheiten zu verwahren, oder die, welche man sich schon zugezogen hat, zu heilen" . Bei den "Praeservativkuren" gebrauche man "nur ganz schwache und wenige Einschnitte", ansonsten jedoch mehrere und größere, da die "boesen Duenste < vapores> tiefer heraufgeholt werden müssen". Besonders zur Vorbeugung sei das Brennen zu empfehlen und "in allen denjenigen Krankheiten, da ein eingeschlossener Dunst < vapor detentus> die Auflösung der festen Theile und Schmerzen verursacht, auch die leidenden Theile in ihren gewoehnlichen Funktionen stoert". Bei den "schwarzen Nationen, welche an den Wendekreisen wohnen" und die Moxa vor nicht langer Zeit übernommen hätten, seien die Einschnitte in die Haut tiefer, da ihre Leiden weit anhaltender "und die boese Materie tiefer verschlossen ist". Auch in den niederländischen Kolonien Indiens wisse man nun[38] um die Wirkungen gegen "gichtische Schmerzen, Podagra und rheumatische Zufaelle".[39] In diesen Fällen zerteile das Brennen "die vom Rheinwein in der Beinhaut angesezte Materie < tartari spicula; saline and tartarous particles> " und "in den gichtischen Zufällen die scharfe Feuchtigkeit < lympha acris; stagnating lymph> , welche sich in den Hoelungen der Gebeine angesezt" habe. Man müsse aber rechtzeitig und mit größeren Mengen behandeln, "ehe jene Feuchtigkeit < flatus nimium; morbid matter> die Haeute und Muskeln < membranas ac musculos> zerrissen hat". Denn sonst würden "die Gefäße sehr verlezt" und die "haarigten Zwischenraeume mit Feuchtigkeiten < humores> angefuelt", und es entstünden Geschwüre, denen man nur noch chirurgisch beikommen könne. Im allgemeinen schlage die" Brenn kur" in den kalten europäischen Ländern nicht so an wie in den heißen asiatischen. "In diesen kan der menschliche Koerper mehr von allen Arten von Ausduenstungen durchzogen werden, die Materie ist fluessiger, die Pori sind offener, die Muskeln und Haeute mehr erschlaffet". Manchntal werde der Schmerz auch nur verlagert statt aufgehoben. Denn dort, wo durch das Brennen "die boesen Feuchtigkeiten < spicula; saline particles> herausgezogen oder auch das Periostium[40] ganz weggebrant" sei, empfände man ja nichts mehr, dafür träten dann wieder an anderen Stellen Schmerzen auf. Die Brahmanen versicherten demgegenüber, daß die Schmerzen nicht mehr wiederkämen, wenn man auf Fleisch und alkoholische Getränke verzichte. So sei denn "Bushofius" wohl etwas zu weit gegangen, wenn er "die Moxa als ein ganz unfehlbares Mittel wider das Podagra angepriesen" habe. Man solle dieser Empfehlung nicht "zu viel trauen". Auch "der beruehmte Valentini,[41] Professor in Gießen, und Mitglied der deutschen naturforschenden Gesellschaft" habe sich in einem "sehr gelehrt abgefaßtem und gedruktem Schreiben an den beruehmten Cleyer" darüber beklagt. Dieses Schreiben sei Cleyer in seiner, Kaempfers, Anwesenheit überreicht worden.

Am Schluß dieses Abschnitts folgt noch ein etwas unvermittelter Hinweis, daß sich die "benachbarten schwarzen Nationen" [42] bei "epileptischen Zufaellen und chronischen Hauptbeschwerden" mehr als die Chinesen der Moxa bedienten. Sie pflegten "die ganze obere Kopfhaut mit sehr langer und breit aufgelegter Moxa auszubrennen". Da wären übel geheilt worden, welche die Ärzte schon aufgegeben hätten. (§ IV)

Allerdings seien die "Lehrer dieser Feuerchirurgie sehr uneins", "welche Orte des Koerpers aber nun nach der verschiednen Beschaffenheit der Krankheiten" gebrannt werden sollen. "Die angefuehrten Gruende bestehen meistens in Aberglauben und Einbildung". Noch mehr "aberglaeubischer Wahn aber findet sich in der Auswahl der Zeit, da man es nach den Gestirnen fuer heilsam oder schaedlich haelt, gewisse Theile des Koerpers zu brennen". Die Ansichten hierzu seien so verschieden, daß man "nur sehr wenige Zeiten zum Brennen tauglich finden wuerde".65 "Der gemeine Haufe pflegt aber gewoehnlich bei denjenigen Stellen zu bleiben, die einmal durch ein altes Herkommen gewissermaßen dazu eingeweiht, und auch in den gedrukten Tafeln angegeben sind". Die Hauptsache sei, sagt Kaempfer, die Stellen zu finden, "wo die Duenste am bequemsten abgelokt, oder die Materie der Krankheit vom leidenden Theile abgeleitet werden kan". Dies sind nach seiner "Bemerkung" am häufigsten "beide Seiten des Ruekgrads bis zu den Lenden herab" [43] (§ V).

Bei der Behandlung werden nun die mit den Vorderfingern gedrehten ein Zoll hohen Kegel "etwas mit Speichel angefeuchtet", auf die entsprechende Stelle gesetzt und mit einem "Senko" [44] genannten "brennenden kleinen sehr zarten Staebchen" entzündet. Die Wundärzte hießen Tensasi,[45] d.i. Beruehrer, "weil sie mit dem Finger denjenigen Ort ausforschen, der mit Moxa zu belegen ist". Die "Senko" fertige man aus der Rinde des "Taab" oder "Taabno ki" [46] (Lauri Japonicae) an, die man mit "Agallochi" oder dem "Calemback"[47] vermische, wobei er das Verfahren wieder bis ins kleinste Detail beschreibt.

Erstaunlicherweise hielte man aber nicht "denjenigen Ort für den bequemsten zur Austreibung der Dünste", "der dem leidenden Theile am nächsten" sei. Die "japanischen Kunstverständigen wählen oft einen ganz entfernten Ort", "der mit dem leidenden auf gar keine in der Anatomie bekante Art, sondern nur durch das algemeine Band des Koerpers zusammenhaengt". Bei Magenbeschwerden die Schulter, bei Seitenstichen die Gelenke des Rückgrades, die Muskeln des Daumens bei Zalmschmerzen[48] — zu groß die Kluft zum westlichen Prinzip des 'locus dolendi' . Da bleibt nur noch die Frage, wo ein "Anatomiker scharfsichtig genug" sei, "um hier die besondre Verbindung der Gefaeße angeben zu koennen" (§ VI).

Die Regeln seien ja sehr verschieden, man müsse auf die Körperstelle, die Zeit, die Zahl der Kegel,[49] die Lage des Körpers, die Diät des Patienten und vieles andere mehr achten. Besonders wichtig jedoch: man müsse "vor allen Dingen Sehnen und Adern < tendines cum arterias & venas> [50] unverlezt lassen". Der Kranke dürfe, nachdem der zu brennende Punkt einmal bestimmt ist, seine Lage nicht mehr verändern, "er mag nun vorher gesessen oder gestanden haben".[51] Gewöhnlich sitze man mit gekreuzten Beinen auf der Erde, die flachen Hände in den Seiten. "Wer aber an den Beinen gebrant werden sol, muß auf einem Stuhl sitzen, und die Fueße herunter und in warm Wasser halten", um die "Ausduenstung durch kuenstliche Mittel zu befoerdern". Bei schwacher Constitution nur drei Mal an einem Punkt, sonst "wohl zehn, zwanzig und mehrmal, wie es das Uebel erfordert". Falls es der Gebrannte aushält, darf man auch an mehreren Stellen gleichzeitig sein Werk verrichten. In den folgenden Tagen beschauen sich die "Feuer = Wundaerzte" die Wunde. Wenn die nicht eitern wolle, was ein böses Zeichen wäre, hülfe man mit zerstoßenen Zwiebeln nach[52] (§ Vll).

Am Schluß präsentiert er dem zweifelsohne aufs Exempel erpichten Publikum eine von den "in sinesischen und japanischen Charaktern gedrukten Tafeln", auf welcher "die in gewissen Krankheiten zu brennenden Orte angegeben und mit besondern Namen bezeichnet sind". Den dazugehörigen Text habe er (der des Japanischen eigentlich nicht mächtig war) übersetzt, "so gut es die sinesischen Verse und Philosophie erlauben wolten". Derartige Tafeln könne man "sowohl in den Buchlaeden als auch bei herumreisenden Aerzten[53] kaufen, die sie auf den Landstraßen und Maerkten absingen, um die Unwissenden anzulocken, fuer wenig Geld die so kurz gefasten Grundsaetze einer so weitlaeufigen Kunst zu kaufen".

 

 

  3 Der Westen im Osten und der Osten im Westen: eine Interpretation zwischen den Kulturen

Zum tieferen Verständnis der Kaempferschen Arbeit muß ich sowohl auf die Lehren der ostasiatischen wie auch der älteren abendländischen Krankheits- und Heilkunde zurückgreifen. Im begrenzten Rahmen dieser Interpretation geschieht das nur punktuell, für einen jeweiligen Gesamtüberblick empfehle ich die Arbeiten von Lu/Needham, Porkert bzw. Siegerist.

Zu den technisch-praktischen Aspekten der Moxa und Moxibustion hatte sich Kaempfer ziemlich eingehend geäußert. Demgegenüber blieben seine Anmerkungen zur japanischen Ätiologie merkwürdig knapp, teils, weil er wohl nicht mehr darüber sagen konnte, teils aber auch, wie ich glaube, weil er sich der Fallstricke auf diesem Terrain bewußt war.

Am häufigsten führt er die "vapores" an (§ I, IV, V, VI), im Englischen schlicht mit "vapours", in der deutschen Ausgabe als "Duenste" übersetzt. Diesen Dünsten, zu denen sich an zwei Stellen (§ I, IV) noch die "flatus" gesellen, schrieben die Japaner und Chinesen die Erkrankungen des Menschen zu. Der 'vapor' ist sehr delikat, fein, fast unstofflich. Im Französischen nannte man einst auch 'Blähungen' bzw. die diesen zur Last gelegten Blutwallungen 'vapeurs' .

Ein Seitenblick auf Kaempfers Akupunktur-Traktat — genauer gesagt schildert er dort nur die "Kur der Kolik durch die Akupunktur" — zeigt Ähnliches. "Die Ursache und Materie" der Kolikschmerzen, schreibt er, "so wie aller Bauchkrankheiten ueberhaupt suchen die Japaner nicht in der Hoehle der Daerme, welchen sie wenigstens nur die geringern Grade beimessen. Sie sey, behaupten sie, in der haeutigen Substanz irgend eines Theils des Bauchs zu finden, als in den Muskeln, der Haut, die die Gedaerme umgibt, (peritoneo,) dem Netz, dem Gekroese und den Daermen selbst. Wenn diese Materie sich an einem der Orte etwas aufgehalten hat, so wird sie in einen Dunst, oder vielmehr, wie die Japaner sagen, in einen sehr scharfen Geist verwandelt, der dann jene Haeute ausdehnt, durchstoest und zerreibt. Wenn also, folgern sie nun, der Kerker dieses Geistes zerbrochen, und er aus dem engen Behaeltnisse, in dem er verschlossen war, befreyet wird; so hoeret in einem Augenblick die heftige und schmerzhafte Empfindung der Ausdehnung auf, welche man im Lateinischen zu Unrecht Colik nent, weil der Darm, wovon diese Benennung herkoemt, sehr oft unschuldig an dem Uebel ist. Diese Gymnosophisten[54] geben ihr nach Meinung der Japaner und Sineser, mit besserer Unterscheidung aller Faelle, den Namen eines Krampfes im Bauche und in den Eingeweiden".[55] Kaempfer wählte demnach die Bezeichnung 'vapor' für die besondere Modifikation einer Substanz o.ä., die sich im Körper bewegt, in Bewegung bleiben muß. Stillstand aus welchen Gründen auch immer führt zur Erkrankung. Gerade am Beispiel der Kolik sieht man, daß es sich nicht um Blähungen handeln kann, wie man leicht zu schließen geneigt wäre und wie auch Dohm interpretierte. Der Zusatz "in spiritum saepe acerrimum" schließt eigentlich jedes Mißverständnis aus, und beide übersetzer blieben hier vergleichsweise dicht am lateinischen Original: "sower spirit" bzw. "scharfer Geist". Wir sehen zugleich, daß Kaempfer sich explizit auf seine japanische Quelle beruft, daß Westliches und Östliches einander gegenübergestellt, ja sogar die Bezeichnung 'Kolik' , die aus dem gr. kolon (Grimmdarm) kommt, als irreführend disqualifiziert wird. Ganz nebenbei fällt inhaltlich sogar noch ein Hieb gegen Ten Rhijne ab. Durch das Nadeln bzw. Brennen lassen sich nun diese Stauungen auflösen, die 'Duenste' "ableiten", "austreiben", "evocare", "resolvere", bzw. wird der "Geist" aus seinem engen Behältnisse "befreyet". DieseKoliktherapie, die auch bei Ten Rhijne recht dramatisch geschildert wird, sollte noch einige Zeit durch europäische Köpfe geistern.

Interessanterweise trifft man auch bei Buschof auf ähnliche Wendungen. Er hatte als Darstellungsform das Zwiegespräch zwischen Theophilus und Theodidaktus gewählt, der im Kapitel IV auf die Frage nach dem Verwendungszweck der Moxa antwortet:

"Theodidactus: Für Einbrennungen und als kräftig entlastendes Mittel. Gegen alle durch kalte Nebel und Feuchtigkeit entstandenen Gebrechen an allen Körperteilen mit Ausnahme — meines Wissens — der Augen.
Theophilus: Befinden sie sich bei diesem Einbrennen wohl?
Theodidactus: Außerordentlich, glücklich und auch ohne jede Gefahr. Der Körper wird von kalter Feuchtigkeit und verhaltenen Winden befreit."

Und im folgenden Kapitel V heißt es:

" Theophilus: Wie kommt es, daß dieser Pfropfen nicht vollständig vom Feuer verzehrt wird?
Theodidaktus: Durch die Feuchtigkeit, die aus der kranken Stelle durch den brennenden Stoff aufgesaugt wird und größtenteils in Rauch aufgeht (...)" [56]

Auf gleichem Kurs lag desweiteren Ten Rhijne, der als Ursache der Podagra einen "bösen Wind" ausmachte (Lit. 2, S.19):

"Illi igitur vitiosum flatum articularis morbi causam proximam unanimiter enuntian, et firmissiom inustionis sua experimento idem compropant."

Und wieder gilt es, diesen Wind auszutreiben (Lit. 2, S. 109). Ten Rhijne war indes durch seine Inauguraldissertation "De Dolore Intestinorum a Flatu" zu sehr auf Flatulenzen fixiert, um wahrnehmen zu können, daß die Japaner nicht von dieser Art Winden sprachen.

Schon bis zu diesem Punkt ist die übereinstimmung mit Eigenschaften des ostasiatischen Qi,[57] einer Art energetischen Pneumas, auffällig. Auch dieses durchzieht — in verschiedenen Ausformungen — den menschlichen Körper: zum einen als 'seminales Qi' und 'defensives Qi'[58] durch die Trakte und Kanäle des 'Meridiansystems',[59] wie es die westliche Literatur heute nennt. Daneben gibt es natürlich noch den Blutkreislauf, in Asien früher erkannt als in Europa, in dem das 'sanguinische Qi' und das 'konstruktive Qi'[60] pulsiert. Die jeweils erstgenannte Form ist durch die Geburt vorgegeben, bei Schwächungen oder Verlust nicht mehr zu ergänzen, während sich die jeweils zweite Energieform durch Nahrungsaufnahme, Medikamente, Theraphie etc. wieder stärken läßt. Beide Zirkulationen kreuzen sich der traditionellen Lehre zufolge in einer 'großen Vereinigung' an der Stelle 'cunkou' ,[61] wo ein Austausch stattfindet. Störungen in diesen Kreisläufen durch äußere oder innere Einflüsse bringen das gesamte System aus seinem dynamischen Gleichgewicht, es kommt zu Stauungen, Blockaden im Meridian- bzw. Blutsystem, man erkrankt. Der Arzt versucht nun, solche Stauungen durch Ableiten der 'Fülle' bzw. Auffüllen der entsprechenden 'Leere'[62] in anderen zusammenhängenden Regionen das gestörte natürliche Gleichgewicht des Organismus wiederherzustellen. Da alles Wirkgeschehen noch einmal unter dem Aspekt des Polarltätspaares yin-yang[63] differenziert und darüber hinaus auch auf den Makrokosmos bezogen wird,65 entsteht ein Lehrgebäude von betätlchtlicher Komplexität.

In diesem Umfang vermochte wohl kein Europäer des 17. Jahrhunderts solche Vorstellungen nachzuvollziehen, hatte man doch erst kurz zuvor, dank Harvey,[64] von der Existenz des (großen) Blutkreislaufes überhaupt erfahren. Und bis das einmal verstanden und akzeptiert wurde! Kaempfer selbst weist darauf hin, daß die Japaner "seit ältesten Zeiten diesen Umlauf, aber nicht die Art und Wege desselben kennen" (1777/79, S. 441). Nun übersetzten die japanischen Dolmetscher aus der chinesischen Schriftsprache ins Holländische, das sie ja nur soweit beherrschten, wie man es ihnen beigebracht hatte, und sprachen von diversen Zirkulationen. Kein Ww der, daß Ten Rhijne die Trakte und Kanäle durchweg, wenn auch zwischendurch nachdenklich, als Arterien und Venen identifiziert. Auch Kaempfer scheint von den Kreisläufen nicht viel verstanden zu haben, Ten Rhijnes chaotische Akupunkturabhandlung mag ihm dazu noch Warnung genug gewesen sein.

Daß es eine "besondere Verbindung der Gefaeße" (§ VI) geben könnte, deutete er ja zumindest rhetorisch an. Ob er die membranartige Substanz, welche die Duenste umschließe (s.w.o.), als Wand solcher Gefäße, also unsere 'Trakte' und 'Kanäle' , ins Auge gefaßt hatte, vermag ich nicht abzuschätzen. Nochzumal er an einer anderen Stelle auch die Lymphe kurz ins Spiel brachte (§ IV). Doch fielen, und daran gab es auch für ihn keinen Zweifel, Behandlungspunkt und 'locus dolendi' auseinander (§ VI). Seine diesbezügliche Verwunderung zeigt, wie weit man sich bereits von den Konzepten früherer Jahrhunderte entfernt hatte. Der große Aderlaßstreit von 1514 scheint schon vergessen zu sein. Damals war in Paris der Arzt Pierre Brissot[65]'gegen das arabische Postulat aufgestanden, daß beim Aderlaß das Blut stets der dem Krankheits- bzw. Schmerzherd entgegengesetzten Stelle abzunehmen sei (Revulsion), und hatte unter Berufung auf Hippokrates ein direktes Vorgehen gefordert (Derivation). Zwar mußte Brissot außer Landes, was der Durchsetzung seiner Lehre jedoch keinen Abbruch tat. Ableitungen waren desweiteren auch mit Hilfe von Fontanellen erzeugt worden. Ein Moxibustionspunkt über dem Knie, deckte sich nach Kaempfers eigener Beobachtung mit einer Stelle, wo man "gemeiniglich" die Fontanelle setzte (Moxa- Spiegel, Kap.2 , Abschn. 7). Mehr noch: auch die japanischen Ärzte trachteten danach, eine Eiterung zu erzielen, der sie gegebenenfalls durch Einreiben mit Zwiebeln nachhalfen (s. § VII). Eigentlich gab es hier doch einige auffallende Parallelen und überkreuzungen. Eigenartig ist auch, daß im ersten Paragraphen 'flatus & vapores' als Paar figurieren, wo ein Begriff genügt hätte. Von "bösen" bzw. "verhaltenen" Winden sprachen, wie wir weiter oben gesehen hatten, auch Buschoff und Ten Rhijne. Doch was wollten die japanischen Gewährsleute bzw. die Ärztin aus Quinam (im Falle Buschoffs) sagen? Eine schlüssige Antwort fällt schwer, da sich in den Köpfen der drei Europäer vieles vermischte, aber eine Möglichkeit halte ich für nicht allzu abwegig. In den asiatischen Pathogenesen finden wir neben dem mikrokosmischen Qi in Makrokosmos sechs medizinisch-meteorologische Qi: das der trockenen Hitze, der Feuchtigkeit, der feuchten Hitze, der Trockenheit, der Kälte und das des Windes.[66] Auch diese sechs Qi, Teil des vielfältig interagierenden kosmologischen Systems, geraten zuweilen aus dem Gleichgewicht. Das 69. Kapitel des chinesischen Klassikers Su-wen (jap. Somon) beschreibt ziemlich ausführlich, was geschieht, falls irgendwo eine Störung eintritt. In Jahren zum Beispiel, in denen das 'Holz' — eines der sogenannten 'Fünf Elemente' — zu stark wird, geriete das 'Wind-Qi' in große Unruhe, wodurch wiederum das Erd-Element in Mitleidenschaft gezogen würde und die Menschen an Verdauungsstörungen, Diarrhoe, Appetitlosigkeit und Abgeschlagenheit litten. Würde in einen Jahr nun das Erd-Element zu stark, so käme es über die 'Feuchtigkeit' zu Leibschmerzen und Schwermut. Wind- und Feuchtigkeitsenergien begegnen uns weiter unten in demselben Kapitel noch einmal, wo die Wirkmechanismen bei defizitären Erscheinungen dargestellt werden. So störe ein Mangel des Holz-Elements wieder das Wind-Qi, die Menschen litten an Darmkrankheiten, Cholera, Gliederschmerzen, Abgeschlagenheit. Ein Defizit bein Wasser-Element löse über die Feuchtigkeit Unterleibsplethora, Abgeschlagenheit, Gelenkleiden u.a. aus.[67] Erkältungskrankheiten, Magen- und Gliederbeschwerden bilden aber ziemlich genau den Rahmen fiir die Leiden, die bei Kaempfer abgehandelt werden; auch Ten Rhijnes Kolik und Buschoffs Podagra zählen hierzu. Dies ist kein Zufall, da die Moxa mit ihrer Wärme auf der Yang-Seite steht und entsprechend allopathisch eingesetzt wurde. Sehr wahrscheinlich kamen auf die Fragen der Europäer nach den Krankheitsursachen Sequenzen wie die oben skizzierten zur Sprache. Auf das Astrologische wollte sich niemand einlassen, Kaempfer spricht sich explizit gegen solche Theorien aus (§ V). Was blieb, waren 'Winde' , 'Feuchtigkeit' und 'Dünste' als allgemeinste Ursache. Daß Makro- und Mikrokosmos im Nu vermengt wurden, ist angesichts der Sprachschwierigkeiten und der Tatsache, daß es in beiden ein 'Qi' gibt, nur allzu verständlich. Nochzumal dieser Kurzschluß durch einige abendländische Analogien gefördert worden war, auf die ich weiter unten zu sprechen komme.

Warum erscheint dann aber einmal der 'spiritus' , der auch bei Ten Rhijne zu finden ist, dem Prediger Buschoff hingegen nicht beistand. Im Kontext gedeutet, liegt hier m. E. die Nahtstelle zwischen Mikro- und Makrokosmos. Spiritus ist also der wenig reflektierte Reflex auf die Ausführungen zum körperinternen Qi, das mit den meteorologischen Qi gleichgesetzt wurde. Doch speziell im Hinblick auf die Kaempfersche Abhandlung darf man nicht völlig ausschließen, daß ihm hier die "Geister der Gestirne (siderum spiritus)" hereingerutscht waren, die er in der übersetzung des japanischen 'Moxa-Spiegels' (Kap. 2, 1) beschreibt. Denn auch deren jeweiliger Aufenthaltsort ist im Hinblick auf die Prophylaxe bzw. Heilung überaus wichtig.

Nun hieße es, sich mit der halben Wahrheit zufriedenzugeben, wenn man die Interpretation hier abschlösse. Der Sprung von Wind und Qi zu flatus, der Flatulenz und den Dünsten fiel gar nicht so schwer, wurde hier doch zugleich Fremdes mit Vertrautem 'identifiziert' . Als Physicus der Barockzeit, in der man durch neue Denkansätze und Methoden das Alte mehr und mehr überwand, kannte sich Kaempfer zweifellos in der jüngeren und älteren Tradition seiner Disziplin ein wenig aus. Ambroise Paré s Werk beispielsweise könnte ihm sogar im fernen Nagasaki einmal begegnet sein.[68] Die Werke Galens (etwa 129-199)[69] repräsentierten jahrhundertelang die Medizin schlechthin, und die älteren griechischen Medizintheorien hatte er wahrscheinlich in der lateinischen übersetzung gelesen. So nimmt es kaum Wunder, daß er an dieser Stelle auf den großen Coischen Lehrer und dessen (!) Werk über die Winde, Liber de flatus, hinweist, wo ja in ähnlicher Weise" alle moeglichen Schmerzen und Leiden den Winden" zugeschrieben werden. Gerne würde ich ihm zugestehen, daß er ganz von alleine darauf erfallen war, gäbe es nicht wieder einen allzu ähnlichen Kommentar des von ihm totgeschwiegenen Ten Rhijne, der am Ende des vierten Abschnittes seiner Ausführungen aufzählt, bei welchen Krankheiten die Akupunktur angewandt würde, bei "Kopfschmerzen, [...] bei Ruhr und Cholera, bei Kolik und anderen Leiden, die aus Winden der Eingeweide rühren. Bei letzterer Indikation sind Japaner und Chinesen Anhänger 'es Hippokrates nach der Lehre, die D. Senex Lib. de flatus überliefert. Die Winde ziehen nämlich sehr oft zwischen der Haut und den versteckten, aber für sie offenen Gängen hindurch (wie es sie ja unter den Schulterblättern ziemlich häufig gibt) und verursachen sehr oft Zerreißungen oder Erschlaffen der Glieder. Noch genauer als unsere Zeitgenossen haben das die Chinesen und auch die Japaner bemerkt, wie aus dem vorhergehenden ziemlich deutlich zu ersehen ist." Die Patenschaft Ten Rhijnes drängt sich um ein weiteres auf, wenn wir uns noch einmal Kaempfers Einleitung in die Akupunktur der Kolik ins Gedächtnis rufen.

Was war denn nun — abgesehen von den aufschlußreichen Parallelen zwischen Kaempfer und Ten Rhijne — geschehen? Etwas Unbekanntes zu erklären, bedeutet im Grunde nichts anderes als dieses Neue in ein altes, bekanntes System einzugliedern. Und hierzu bot sich die Lehre von den Winden — unserem Hippokrates von Kos zu Unrecht zugeschrieben — ebenso an wie die Humoralpathologie.

Die Abhandlung " über die Winde" ,[70] eine der vielen Schriften aus dem hippokratischen Korpus, zählt sicher nicht zu den köstlichsten Früchten des Altertums. Wichtig für uns ist nur, daß sie den Wind, Atem im Körper und den Wind, die Luft außerhalb des Körpers[71] zum Grundprinzip erklärt, das alles — Wasser, Feuer, die Adern usw. — durchdringt. Krankheiten entstehen, wenn dieser 'Wind' zu kalt, zu heiß, zu dünn, zu dicht, verunreinigt oder falsch zusammengesetzt ist. Mit der philosophisch-naturkundlichen Entfaltung wandelt sich nun dieses Pneuma vom Wind, Atem zur Kraft, die den Atem regelt, bei den Pneumatikern[72] zur Lebenskraft schlechthin, im Christentum weiter zum Geist, zur Einwirkung Gottes. Galenos flocht dann den griechischen Traditionsstrang geschickt in die Humoralkonzepte ein und konstatierte, daß Störungen im Pneuma zu Krankheiten führten, sei es mit, sei es ohne Beteiligung der Säfte. Im Mittelalter sprach man dann sehr oft vom spiritus, ein Begriff, den der — wahrscheinlich jesuitische Übersetzer in Cleyers "Specimen medicinae sinicae" nicht zufällig für das 'Qi' in seinen chinesischen Texten gewählt hatte. Paracelsus (1495-1544)[73] inthronisierte den 'Archeus' , und im 'Animismus' von Stahl (1660-1734)[74] ist die 'Lebenskraft' schließlich aller Metaphysik entkleidet, zugleich auch losgelöst von der Materie.

So gesehen müssen diesen Europäern des 17. Jahrhunderts die Erklärungen der japanischen Dolmetscher und Ärzte in so manchem Punkt ziemlich ungereimt vorgekolumen sein, andererseits auch irgendwie sehr vertraut. Zudem zeitigen selbst heute noch die Anstrengungen westlicher Autoren kaum bessere Resultate: "Energie Tsri", "ch' i", "Fluidum", "Pneuma", "energy", "vital force".

Nun stößt man bei Kaempfer noch auf einige weitere Termini wie 'materia doloris' , 'materia peccans' , 'spicula' , 'lympha acris' , 'humores' usw. Anders als bei den Winden und Dünsten findet man hier so leicht kein ostasiatisches Korrelat.

Humores sind die Grundsäfte des Menschen, im Viererdenken der pythagoreischen Schule auf Blut (sanguis), Gelbe Galle (cholera), Schwarze Galle (melancholia) und Schleim (phlegma) begrenzt, jeweils dem sie produzierenden Organ, den Jahreszeiten, den Elementen (Luft, Feuer, Erde, Wasser), den Primärqualitäten (Hitze, Trockenheit, Kälte, Feuchtigkeit) und schließlich den 'Temperamenten' zugeordnet, so daß auch der Okzident mit einer ansehnlich komplexen Theorie aufwarten konnte, welche gleichermaßen auf eine allophathische Behandlung abzielte.[75] Die theoretisch noch notwendige treibende Kraft nannte man angeborene Wärme (calidum innatum), ihr Sitz war das Herz, das nun nach und nach zum entscheidenden Organ im 'Selbst-Bewußtsein' des Europäers werden sollte. Das calidum innatum setzte die Produktion der Kardinalsäfte in Gang, mischte sie, hielt das Gleichgewicht aufrecht. Doch zuweilen verursacht eine falsche Lebensweise, das Wetter o. ä. Abweichungen von der rechten Mischung (Dyskrasie), es entsteht, was man später die sündige Materie (materia peccans) nannte. Diese muß ausgetrieben werden. Oft besorgt das der Körper durch die innate Wärme nach einer Kochung (pepsis) selbst, andern falls werden ärztliche Maßnahmen notwendig.

Neben den humoralpathologischen Termini werden jedoch 'Schärfen' , die 'lympha acris' und ein 'flatus nimius' erwähnt, welche die Einflüsse der sich entfaltenden Chemie andeuten. Da man im 15./16. Jahrhundert mehr und nehr chemische Einsichten gewann, gab es eine gewisse Tendenz, auch das pathologische Geschehen als chemischen Vorgang zu verstehen (Iatrochemie). So postulierte Paracelsus gegen die vier humores drei chemische Prinzipien (Salz, Quecksilber, Schwefel) und den oben erwähnten 'archeon' , den 'Urmeister' . Aus dieser Quelle kam auch das 'Tartarische' , dessen Kaempfer sich in der Wendung der 'tartari spicula' bediente. Nach dem mythologischen Abgrund Tartaros, in den Zeus seine Widersacher stürzte, hatte Paracelsus die 'tartarischen Krankheiten' benannt, bei denen sich Konkremente an Gefäßwänden, Gelenken usw. ablagern. Tartaros hieß nun auch der Weinstein. Als Spiculum — eigentlich 'Stachel einer Biene, Spitze' — bezeichnete man auch die kleinen Silikonkristalle im Gewebe von Schwämmen. Da Kaempfer die Ablagerungen des Rheinweins beschreibt (§ IV), meinte er daher die Weinsäurekristalle, die man beim Verdunsten von Wein leicht beobachten kann.

Der Begriff der Schärfe entstand, als man den Unterschied zwischen Säure und Alkali feststellte. Gerade um die Zeit Kaempfers gewannen die Arbeiten von Herman Boerhave (1668-1738) vorübergehend großen Einfluß, der in seiner Lehre auch die iatrochemischen Konzepte des Franciscus Sylvius integriert hatte.[76] Krankheiten, so hieß es nun, beruhten auf einer sauren bzw. alkalischen 'Schärfe' des Blutes, man müsse also dementsprechende alkalische bzw. saure Heilmittel anwenden. Die Lymphgefäße hatte vor nicht allzu langer Zeit Caspar Aselli (etwa 1581-1626)[77] als 'Milchadern' entdeckt. Deren Verbindungen waren dann hauptsächlich durch F. Ruysch (1631-1738) um 1665 bekannt geworden. Entsprechend wenig wußte man noch um ihre Funktionen. Und um so freier durfte man mit ihr spokulieren, wie Kaempfers 'scharfe Lymphe' illustriert.

Alle Termini dieser zweiten Gruppe haben mit der fernöstlichen Philosophie so gut wie nichts zu tun, ja, mir scheint sogar, daß Kaempfer durch sie nur den Umfang und Stand seines Fachwissens demonstrieren wollte. Zum einen treten sie zu gehäuft im vierten Paragraphen auf, zum anderen hatte er diese Observatio ursprünglich für die Inauguraldisputation in Leyden formuliert. überdies dürfte gerade im 17. Jahrhundert der Hinweis auf Hippokrates allein zur Besänftigung des Mißtrauens einer Lehre so ferner Herkunft gegenüber nicht mehr ausgereicht haben. Es galt, die eigenen Beobachtungen als wertvoll und nutzbar herauszustreichen, insbesondere die Sanftheit der Beifußkegelchen im Vergleich zum westlichen Glüheisen. Die Anmerkungen, zu denen sich Dohm genötigt fühlte, belegen, wie provokativ Kaempfers Ausführungen wirkten. Man mußte also über die Hinweise auf gleichartige Ansätze in der westlichen Klassik hinaus versuchen, sie in Begriffe des eigenen Zeitalters zu fassen oder zumindest die Richtung andeuten, in der das geschehen könnte. Und so hatte denn Kaempfer den Zugang zum fremden Denken auf drei Wegen zu eröffnen versucht:

(a) durch die direkte übernahme japanischer Nomenklaturen, besonders in praktischen Fragen, wo man seine Weltläufigkeit zeigen konnte, ohne unverständlich zu werden;
(b) durch die übertragung östlicher Termini auf westliche 'Äquivalente' wie im Falle der vapores und flatus, um den Gegenstand aus der Ferne in die Nähe zu rücken;
(c) und durch Hinweise in rein westlicher Fachterminologie zur weiteren Integration in den eigenen aktuellen Forschungshorizont.

Das war unter seinen Bedingungen kein übles Verfahren, doch fehlten ihm alle Möglichkeiten, um festzustellen, inwieweit seine Interpretation, sein Verständnis korrekt war. Gerade die oberflächlichen Parallelen verhinderten so möglicherweise eine intensivere Auseinandersetzung mit den japanischen Erklärungen. Die Leser jener Zeit werden wohl eine ziemlich deutliche Vorstellung von der Technik der Moxibustion gewonnen und sich hinsichtlich der Ätiologie in einer gewissen (falschen) Sicherheit gewogen haben, von den philosophischen Grundlagen der ostasiatischen Heilkunde waren sie wie Kaempfer meilenweit entfernt.

 

 

4 Zum Moxa-Spiegel selbst

Daß sich Siebold oder irgend ein anderer diesen 'Spiegel' jemals längere Zeit vor die Nase gehalten haben, wage ich zu bezweifeln. Meines Wissens hat es bislang niemand unternommen, die Angaben in Text und Abbildung gründlich zu überprüfen. Dies wohl nicht zuletzt infolge des geringen Interesses der aufblühenden europäischen Medizin im 19. Jahrhundert an solch 'exotischen Methoden' , bei der Illustration (Abb.1) lag es darüber hinaus auch an den fast unleserlichen Schriftzeichen. Lediglich Lu Gwei-Djen und Joseph Needham[78] bieten zu einigen Charakteren Interpretationsvorschläge an. Mit 'chinesischen' Augen allein ist indes die Entzifferung kaum zu leisten.

 

Abb. 1    "Urendum locorum Speculum" (Kaempfer 1712, S. 601)

 

Doch zunächst einmal der Text aus der Dohmschen deutschsprachigen Ausgabe von 1777/1779. Kaempfer hatte bereits in die eigentliche übertragung des japanischen Urtextes eigene Kommentare eingefügt, die nachfolgend in italisch gesetzt sind. Alle in Form von Fußnoten gegebenen Erläuterungen stammen von mir.

Erstes Kapitel.

Kju sju Kagami[79] d. i. ein Spiegel der Orte, welche gebrant werden muessen.

Es enthaelt die Brenmethode, welche in gewissen Saetzen (eigentlich Versen) [80] enthalten ist, aus welchen jeder das ganze Geschaeft des Brennens erkennen kan.

1 ) Bei dem Kopfweh, Schwindel, Ohnmachten,[81] Dseoki[82] (Dseoki ist eine sehr starke Entzuendung (phlegmone) des Gesichts und eine Japan eigenthuemliche Folge des Scorbuts. Bei Personen, welche damit behaftet sind, entsteht oft aus ganz geringen Ursachen, wie z.E. durch izs Bad, einen Ransch, heftige Bewegung, ein Aufschwellen und eine große Hitze des ganzen Gesichts. Nicht selten folgt hinterher auch Augenkrankheit) und bei der durch haeufigen Anfal von Dseoki entstandnen Verfinsterung der Augen; bei den Hueftschmerzen, den Folgen des Kopfwehes; bei der Engbruestigkeit und schwerem Brustauswurf; in allen diesen Faellen ist es gut, denjenigen Theil des Koerpers zu brennen, den sie Koko[83] nennen.

2 ) In Kinderkrankheiten, besonders bei aufgeschwollenem Bauch, Diarrhoeen,[84] Mangel des Appetits, der Kraetze, Abhaeutung der Nase; auch bei dem Nachtsehen erwachsener Personen,[85] muß der Ort Sjuitz oder der elfte Wirbel des Ruekgrads[86] von beiden Seiten mit funfzehn bis sechzehn verschiednen Portionen der Moxa gebrant werden, da man zwischen den beiden zu brennenden Orten allemal 11/2 Sun[87] Raum laest. (Sun ist ohngefaehr zwei oder drei Fingerbreit. Hierbei ist auch noch zu bemerken:

Erstlich. Der Ort Sjuitz, d.i. der elfte, hat den Namen von der Zahl des Wirbels, des Rueckgrads, an desserz beiden Seiten gebrannt wird. Man faengt aber von dem vierten Halswirbel hiebei zu zaehlen an, vor demjenigen naemlich, der vor den uebrigen hervorragt, wenn man den Kopf etwas vorueber auf die Brust beugt. Und eben diese Zaehlung ist auch bei den uebrigen hier vorkommenden Angaben zu verstehn.

Zweitens. Sun ist das gewoehnliche Laengenmaaß in diesem Reich, die Kaufleute bedienen sich eines laengern, die Kuenstler und Handwerker eines kleinern. Bei dem Brennen aber sieht man weder auf das eine noch das andre dieser Maaße; sondern hier ist Sun die Laenge des zweiten Gliedes des Mittelfingers der Person, welche gebrant werden sol, man nimt sie als den Maaßstab an, der mit ihrem Koerper in der besten Proportion steht.

3 ) Bei dem Uebel Sakf[88] (d.i. dem chronischen Bauchschmerzen, der nach kurzer Unterbrechungg allemal wiederkoemt) Senki,[89] (d.i. den endemischen Colikschmerzen), Sitbakf,86 (d.i. in Leibschmerzen, die von Wuermern herruehren) brent man an beiden Seiten des Nabels, ohngefaehr in dem Umfang von zwei Sun; dieser Ort wird Tensu[90] genant,

4 ) Sowohl bei dem Ausbleiben als dem zu starken Flus des Monatlichen, bei dem weißen Fluß, bei der gueldnen Ader[91] und den Geschwueren derselben; bei dem Tekagami[92] (d.i. bei einem chronischen Schnuppen, der periodisch wiederkoemt) muß der Ort Kisoo no Kitz[93] an beiden Seiten mit fuenf artemisialischen Kuechleins gebrant werden. Um diesen Ort zu finden, faehrt man in gerader Linie vom Nabel vier Sun herab, und denn zu beiden Seiten wieder vier Sun, so daß zwischen den beiden zu brennenden Punkten ein Zwischenraum von acht Sun bleibt.

5 ) Bei schweren Geburten muß die aeußerste Spitze des kleinsten Zehen am linken Fuß[94] mit drei Kegeln gebrant werden.

6 ) Bei dem Mangel von Milch brent man der saeugenden Person gerade die Mittelstelle zwischen den Bruesten[95] mit fuenf Portionen der Moxa.

7 ) Bei der Gicht und dem Hueftweh[96] ,so auch in allen Schmerzen der Beine, und in der Strangurie,93 brent man an den dicken Beinen, etwa drei Sun ueber dem Knie[97] (an dem Orte, wo man gemeiniglich die Fontanelle[98] anzubringen pflegt) mit ohngefaehr elf Kegeln.

8 ) Bei Aufblaehung und Schmerzen des Bauchs; bei Magenkraempfen, die aus eintaegigem hitzigem Fieber entstehen,[99] und bei verlornem Appetit brent man mit sechs Kegeln vier Sun ueber dem Nabel,[100] in gerader Linie.

9 ) Bei dem Hueft und Knieweh, bei Schwaeche und Ermattung der Gebeine, ueberhaupt bei algemeinem Gliederwehe und Schwaeche des ganzen Koerpers, muß Fusi [101] gebrant werden. (Fusi heist der Ort an beiden Hueften, den man gerade mit der Spitze des Mittelfingers beruehrt, wenn man die Arme in ihrer natuerlichen Lage mit ausgestrekten Haenden herabhaengen laest.)

10) Wer mit Verhaertung der Seiten, kaltem Schauer, und abwechselndem Faulfieber[102] behaftet ist, laest sich den Ort Seomon[103] brennen. (Seomen ist dicht unter der letzten falschen Rippe, das Brennen derselben verursacht einen kaum ertraeglichen Schmerz.

Ich wuerde Schomon oder Sjomon schreiben, wenn man nicht in der Japanischen Aussprache ein ganz kurzes e hoerte.[104]

11) Wer an der Gonorrhaea[105] leidet, muß sich in der Mitte des Orts Jokomon[106] brennen lassen. (Jokomon heist der Ort ueber der Schaam, zwischen dieser und dem Nabel gerade in der Mitte.)

12) Wer dem Catarrh, Nasenbluten oder Schwindeln unterworfen ist,[107] wird Huelfe finden, wenn er den Ort Fuumon[108] mit 50 bis 100 Kegeln (an eben demselben Orte nach einander) brennen laest. (Fuumon ist die Gegend des Kreuzbeins (Os sacrum).)

13) Wer mit schmerzenden Geschwueren am Hintern geplagt ist, muß sich mit einem Kegel brennen lassen drei Sun vom aeußersten Ende des Schwanzbeines[109] (Os cocsygis)[110] (Auch dies schmerzt sehr./)

14) Bei dem Austreten des Mastdarms muß das Schwanzbein selbst gebrant werden.[111]

 

Zweites Kapitel.

1 ) Nindsin (die Geister der Gestirne)[[112]] halten sich zur Fruehlingszeit um den neunten Wirbel des Rueckgrads auf; im Sommer um der fuenften, im Herbst um den dritten; im Winter um den vierzehnten uno an beiden Hueften. Man darf daher alle diese Orte in den angegebnen Zeiten nicht brennen.

2 ) Bei dem Wechsel der Jahreszeiten darf man weder in Seomon noch in der Gegend des vierzehnten Wirbels des Ruekgrads brennen. Denn das Brennen wuerde alsdenn nicht nur durchaus nicht nuetzen, sondern vielmehr durch Vermehrung und Reizung der Krankheit schaden.

3 ) Bei regnichtem, nassem oder zu heißem Wetter, auch an ganz kalten Tagen muß man sich schlechterdings alles Brennens enthalten.

4 ) Drei Tage vor dem Brennen und sieben Tage nach demselben muß man sich alles Beischlafs enthalten.[113]

5 ) Wer sich heftig erzuernet hat, lasse sich ja nicht eher brennen, bis er voellig wieder besaenftigt ist. Ein sehr Ermuedeter, oder wer eben eine sehr schwere Arbeit verrichtet hat, muß nicht gleich nachher gebrant werden; auch nicht ein Hungriger, und einer, der sehr viel gegessen hat.

6 ) Sacki,[114] (das einheimische, fette, geistige, aus Reis verfertigte Getraenk) zu trinken, ist vor der Operation schaedlich, nach derselben aber gut und heilsam; weil es die Lebhaftigkeit des Geistes und den Umlauf des Bluts befoerdert. (Die Japaner kennen seit den aeltesten Zeiten diesen Umlauf, aber nicht die Art und Wege desselben.)[[115]]

7 ) Man muß wohl wissen und beobachten, daß ein mit Moxa Gebranter drei Tage nachher kaltes Bad von sueßem Wasser gebrauchen muesse.110 (Die Japaner bedienen sich desselben und besonders des Dampfbades fast taeglich, wodurch, wie ich glaube, die Venusseuche[116] noch etwas abgehalten wird, die sonst die ganze Nation ausrotten mueste.

8) Die Arzeneien sind zu Heilung wirklicher Krankheiten, das Brennen zu Praeservativkuren dienlich. Auch ein ganz Gesunder thut indes wohl, auch im zweiten und achten Monat (Maerz uxd September) sich brennen zu lassen. (Die durch glueklichen Einfluß der Gestirne, als gute Brentage ausgezeichnete, werden in den Calendern bemerkt.)

9 ) Der Brenarzt muß besonders den Puls[117] genau untersuchen, und wenn er ihn geschwinder findet, als es billig seyn solte, muß er mit besondrer Vorsicht verfahren, weil es ein Beweis ist, daß sein Patient einen Catarrh hat.

10) Wer brenen wil, muß die zum Brennen bestimte Ort nach Saku85 und Sun messen und auswaehlen. Zum Maaßstab des Sun nimt man das mittlere Glied des Mittelfingers; bei den Maennern der linken, bei den Weibern der rechten Hand.

 

Drittes Kapitel.

Eine Frau, welche nicht gern empfangen wil, muß sich den Nabel mit drei artemisialisschen Kegeln brennen lassen.[118]

 

Viertes Kapitel.

Eine unfruchtbare Frau, welche Kinder zu haben wuenscht, muß sich an beiden Seiten des ein und zwanzigsten Wirbels des Ruekgrades[119] mit elf Kegeln brennen lassen.

 

 

Während der Arbeit an diesem Spiegel wird der japanische Dometscher die einzelnen Krankheiten geschildert und Kaempfer einen passenden westlichen Terminus gewählt haben, gegebenenfalls übernahm er auch einfach die Beschreibung. Mir mangelt es an medizinischer Kompetenz, um den Inhalt der betreffenden Begriffe im Europa und Japan des 17. und 18. Jahrhunderts zu rekonstruieren. Viele sind — allerdings vielfach umdefiniert — noch heute gebräuchlich, der Leser dieses Jahrhunderts steht in einem mehrfachen Dilemma. Wir haben jedoch die klassische asiatische Fachliteratur mit ihren Angaben zu jedem einzelnen Punkt und können aus der Form der Begriffe nicht wenige Termini in 0st und West direkt aufeinander beziehen. Einige knappe ethymologische Hinweise in den Anmerkungen sollen dieses philologische Vorgehen stützen helfen und zugleich zeigen, wie sehr die antike 'Säftelehre' ihren sprachlichen Niederschlag in der westlichen Nomenklatur hinterlassen hat.

Insgesamt gibt der Moxa-Spiegel einige — bei weitem nicht alle — Anweisungen der ostasiatischen Brennlehre korrekt wieder. Daß man zum Teil auf Anhieb den dahinter stehenden japanischen bzw. chininesischen Ausdruck erkennt, zeugt für hartnäckiges Bemühen Kaempfers und seines jungen Beistandes. Anders sieht es leider bei seiner beigefügten Tafel aus.

 

 

  6 Ikonographische Traditionen

Die Illustration gibt ihre Geheimnisse nicht so schnell preis, da Kaempfers Kupferstecher, F.W. Brandshagen,[120] nicht zu den Meistern seiner Kunst zählte. Zudem mußte er ja die ihm strukturell unklaren Gebilde seitenverkehrt auf die Platte bringen, per Hand selbst heute kein leichtes Unterfangen. Wer mit der asiatischen Literatur vertraut ist, wird sich desweiteren über die griechischen Proportionen, das Stand- und Spielbein der Figur in der deutschen Ausgabe von 1777 wundern. Erst bei der — heute schwerer zugänglichen — Abbildung von 1712 werden die Einflüsse der östlichen Tradition klar: der Körper ist gedrungen, muskulös, beide Beine stehen fest auf dem Boden, die Arme sind gesenkt. Das Lendentuch von 1777/79 gleicht hier noch dem japanischen fundoshi,[121] auch der Kopf wirkt runder. Das Schraffieren jedoch war im Fernen Osten ungebräuchlich.

Abb. 2    "Urendum locorum Speculum" (Kaempfer 1777/79, Anhang IV)

Leider habe ich bislang keine Spur eines "Moxa-Spiegels" in Japan entdeckt, der Kaempfer als Grundlage gedient haben könnte. Einzig eine Figur aus der 'Nützlichen Aufzeichnung der Akupunktur und Moxibustion' , dem "Shinkyû Chôhôki" kommt dem frühen Kupferstich sehr nahe. Dieses von Hongô Masahô verfaßte Kompendium erschien allerdings kurz nach Kaempfers Japanaufenthalt im Jahre 1719 und scheidet somit als direkte Vorlage aus. Trotzdem muß die 'Urform' in der gleichen Tradition gestanden haben, zu ähnlich sind die Gestaltung des Körpers und der Gesichtspartie.

Ich habe dann einmal Diapositive angefertigt und über einige Zei studiert. Auf den ersten Blick ist kaum eines dieser krakeligen Gebilde identifizierbar, obwohl die eingezeichneten loci urendi die Zahl der in Frage kommenden Termini stark reduzieren. Doch weisen chinesische Ideogramme zum Glück so viele Charakteristika auf, daß auch ein Ignorant beim Kopieren unwissentlich eine ganze Reihe davon überträgt. Strichlängen, Verdickungen bzw. auslaufende Enden, die relative Position etc. ermöglichen graphematische Rekonstruktionsversuche, nochzumal die ursprüngliche Abfolge der Striche beim Schreiben der Urform feststand. Die nachfolgende Tabelle zeigt die so identifizierten Zeichen, deren chinesische bzw. japanische Lesung und die heute international übliche Codenummer des betreffenden Punktes:

Zeichen chines. Lesung japan. Lesung intern. Nummer
(1) 人迎 ren-ying jin-gei G9
(2) 周榮 zhou-rong shû-ei LP 20
(3) 天府 tian-fu ten-pu P 3
(4) 乳中 ru-zhong nyû-chû G 17
(5) 經渠 jing-qu kei-kyo P 8
(6) 魚際 jmg-qu gyo-sai P 10
(7) 少商 shao-shang shô-shô P 11
(8) 中衝 shao-shang chû-shô PC 9
(9) 淵腋 yuan-ye en-eki VF 22
(10) 鳩尾 jiu-wei kyû-bi JM 15
(11) 腹哀 yuan-ye fuku-ai LP 16
(12) 髀関 bi-guan hi-kan G 31
(13) 伏兎 (Femur) fu-tu fuku-to G 32
(14) 陰市 yin-shi in-shi G 33
(15) 陰陵泉 yin-ling-quan yin-ryô-sen P 9
(16) 犢鼻 du-bi toku-bi G 35
(17) 漏谷 lou-gu ro-koku LP 7
(18) 隠白 yin-bai in-paku LP 1
(19) ア門 ya-men a-mon TM 15
(20) 風府 feng-fu fû-fu TM 16
(21) 天牖 tian-you ten-yô T 16
(22) 天柱 tien-zhu ten-chû VU 10
(23) 肩貞 jian-zhen ken-tei IT 9
(24) 心腧 xin-shu shin-yu VU 15
(25) 背中 ji-zhong seki-chû TM 6
(26) 白環[腧] bai-huan-(shu) hak-kan-(yu) VU 30
(27) 陽池 yang-chi yô-chi T 4
(28) 殷門 yin-men in-mon VU 51 (VU 37)
(29) 陽關 yang-guang yô-kan VF 33
(30) 委中 wei-zhong i-chû VU 54 (VU 40)
(31) 條口 tiao-kou jô-kô G 38
(32) 申脈 shen-mo shin-myaku VU 62
(33) [地]五會 (di)-wu-hui (ji)-go-e VF 42
(34) 承扶 cheng-fu shô-fu VU 50 (VU 36)
Abb. 3: Die 'Moxapunkte' der Kaempferschen Figur


Manche Punkte und damit auch deren Bezeichnung kommen, um die Achse der Körpermitte gespiegelt, zwei Mal vor. Desweiteren stellte sich heraus, daß auf der rechten Seite einiger Zeichen die sinojapanische Lesung in japanischer Katakana-Silbenschrift angegeben ist (Nr. 2, 9, 21, 22, 23, 24). Daß jegliche Deutung durch eine graphematische Analyse gestützt werden sollte, erkennt man am Beispiel der Hinterhauptregion. Dort finden sich in der Vergrößerung weitere, nicht bezeichnete Punkte, bzw. ist auch die Zuordnung der Namen nicht korrekt. Fû-fu (TM 16) und A-mon sind auf denselben Ort bezogen, liegen in Wirklichkeit aber getrennt untereinander. Die beiden Punkte Ten-chû (VU 10) sollten eigentlich links und recht von A-mon auf gleicher Höhe liegen. Den linken verbindet eine sinnlose Linie zu einem Punkt in der Mitte, wodurch sich die Benennung verwirrt. In der deutschen Ausgabe von 1777/79 wurde dies auch prompt mißverstanden. Dieser dritte unbezeichnete Punkt ist Dai-tsui (TM 14, chin. Da-zhui: 大椎). Die Bezeichnung Ten-yô (T 16) wurde je zwei, also insgesamt vier Punkten unterhalb der Ohren zugeordenet, tatsächlich handelt es sich jedoch nur um den jeweils unteren Punkt. Da die Rückansicht ausgesprochen dilettantisch gestochen ist,wage ich nicht, den so verbleibenden zwei Stellen ihren Namen zuzuweisen. Ferner wurden den beiden Punkten der Listennummer 15 eindeutig die Zeichen 'In-ryô-sen' zugeordnet, doch liegen sie auf der Außenseite der Kniegegend, nicht innen. Dort befinden sich zwar zwei Punkte Yô-ryô-sen,[122] da die Figur von 1712 indes keine genaue räumliche Lokalisierung erlaubt, habe ich der ersten Interpretation den Zuschlag gegeben. Desweiteren hatte man den Punkt Chû-shô (Listennummer 8) vom Mittelfinger auf den Zeigefinger verlegt.

Eigenartigerweise gibt es in der Kaempferschen Tafel keinen einzigen Punkt, der im Text selbst zur Sprache käme, obwohl sie doch diesen illustrieren sollte. Mehr noch: als ich in diversen japanischen und chinesischen Quellen die einzelnen Punkte auf ihre Indikationen überprüfte, stieß ich zu meiner überraschung häufig auf Hinweise, daß man die betreffende Stelle 'nicht brennen solle' oder 'könne', daß sie sich dazu 'nicht eigne',das 'Moxibustieren verboten' bzw.'tabu' sei (Abb.4).[123] Nun waren sich zwar auch die 'alten' Kapazitäten keineswegs einig, worauf auch Kaempfer hinwies, doch ist an diesen Stellen — aus anatomisch-physiologischen Gründen — zumindest Vorsicht geboten. Und: obwohl es noch über 300 andere Punkte gibt, die in keinem zu Rate gezogenen Werk als problematisch bezeichnet wurden, findet man zu jedem Punkt der Kaempferschen Illustration mindestens einen derartigen Hinweis. Interessant ist auch die in etwa zeitgenössische Abbildung der "verbotenen Punkte"[124] im erwähnten " Shinkyû Chôhôki" (s. Abb. 5), die nur im Gesichtsbereich einige zusätzliche Stellen umfaßt, ansonsten aber mit unserem Moxa-Spiegel übereinstimmt (die im Origial mit enthaltenen bei der Akupunktur verbotenen Punkte habe ich wegretuschiert).


a
b c d e f g h[125]
(1) S G 9

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+

 

(2) SP LP 20

 

 

 

 

 

 

 

+

 

(3) L P3

+

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+

 

+

 

+

+

 

(4) S G 17

 

+

+

 

 

+

+

+

+

(5) L P8

 

+

+

+

 

+

+

+

+

(6) L P 10

 

 

 

 

 

 

 

 

+

(7) L P 11

 

 

 

+

 

+

 

+

+

(8) PC 9

 

 

 

 

 

 

 

 

+

(9) G VF 22

 

+

+

 

 

+

+

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+

(10) CV JM 15

 

 

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+

+

+

+

(11) SP LP16

 

 

 

 

 

 

+

 

+

(12) S G31

 

 

 

 

 

 

 

 

+

(13) S G 32

 

+

 

+

 

+

+

+

+

(14) S G 33

 

 

 

 

+

 

+

+

(15) SP LP 9

 

 

 

 

 

 

 

 

+

(16) S G 35

 

 

 

 

 

 

 

 

+

(17) SP LP 7

 

 

 

 

 

 

 

 

+

(18) SP LP 1

 

 

 

 

 

 

 

 

+

(19) GV TM 15

 

+

+

+

 

+

+

+

+

(20) GV TM 16

 

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+

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+

+

+

+

(21) SJ T 16

 

 

 

+

 

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+

+

+

(22) B VU 10

 

 

 

 

 

 

 

 

+

(23) Si IT 9

 

 

 

 

 

 

 

 

+

(24) B VU 15

 

 

 

+

 

+

 

+

+

(25) GV TM 6

 

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+

+

 

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+

+

+

(26) B VU30

 

 

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+

 

+

+

 

+

(27) SJ T 4

 

 

 

 

+

 

+

+

 

(28) B VU 51 (37)

 

 

 

 

 

 

 

+

 

(29) G VF 33

 

 

 

 

 

+

+

+

+

(30) B VU 54 (40)

 

 

 

 

 

 

 

+

 

(31) S G 38

 

 

 

 

 

 

 

 

+

(32) B VU 62

 

 

 

 

 

 

 

 

+

(33) G VF 42

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+

 

 

+

+

+

+

 

(34) B VU50 (36)

 

 

 

 

 

 

 

+

 

Abb. 4: Die Moxapunkte der Kaempferschen Figur und ihre Behandlung im klassischen Schrifttum ( + steht für Moxibustionsverbot)

 

 

Selbst neuzeitliche Werke haben nur einige wenige aus dieser Liste aufgenommen, und man kann nur hoffen, daß sich seinerzeit die europäischen Leser nicht von der Kaempferschen Illustration zu Erprobungen hinreißen ließen, was ihnen schlecht bekommen sein könnte.

über die Gründe für diese Unklarheiten kann ich hier leider nur spekulieren. Denkbar wäre, daß Kaempfer aus Unkenntnis diverse Materialien vermischte und den Titel des Textes einfach auch in eine Tafel 'verbotener Punkte' einkopieren ließ. Oder aber ein herumreisender japanischer Quacksalber vertrieb wild zusammengestellte Moxa-Anleitungen und drehte auch dem armen Kaempfer eines seiner Pamphlete an. Eine medizinische Richtung, die sich aus der langen Behandlungstradition ausgerechnet und ausschließlich die gefährlichsten Punkte heraussucht und diese dann ohne jede Erläuterung verbreitet, ist doch nur sehr schwer vorstellbar. Zumal die Ausführungen des begleitenden Textes brav der überlieferung folgen. Kaempfer selbst hätte eigentlich stutzig werden müssen. Nach seiner eigenen "Bemerkung" ist kein Teil des Körpers "mehr zum Brennen ausgewaehlt worden, als beide Seiten des Rueckgrads bis zu den Lenden herab. Man sollte glauben, daß der Ruecken der Japaner und der andern benachbarten Voelker unter Henkershaenden gewesen sey, so vol ist derselbe von Narben und tiefen Merkmalen der Geschwuere" (§ V). Davon zeugt die Tafel wohl kaum. Genausowenig erlaubt sie die Identifikation der im Moxa-Spiegel ziemlich präzise beschriebenen Stellen. Auf dem Nabel, der äußersten Spitze des kleinen Zehen, drei Sun über dem Knie, in der Mitte zwischen Scham und Nabel, am Schwanzbein usw. findet man nichts eingezeichnet. Andererseits sind einige Punkte der Tafel doch verdächtig, wenn man "Sehnen und Aterien" nicht verletzen soll, wie es im Paragraphen Vll hieß.

 

 

Abb. 5: Moxibustionsverbote des Shinkyû Chôhôki (1719)
(Die im Original mit enthaltenen bei der Akupunktur verbotenen Punkte wurden wegretuschiert).

 

 

So erweist sich der Moxa-Spiegel von Engelbert Kaempfer als überaus 'merkwürdig' , wenn auch nicht mehr im Sinne Siebolds, und zeigt uns durch seinen Gegenstand und über diesen hinaus, in welchen Schwierigkeiten wir uns verfangen, ehe wir überhaupt so weit sind, etwas Fremdes als solches 'wahr-nehmen' zu können, und wie es uns, während wir versuchen, es in unser Denken zu versprachlichen, schon wieder zu entgleiten droht.

 

 

  Literaturliste:


1) Specimen medicinae Sinicae, sive opuscula medica ad mentem Sinensium […] Edidit Andreas Cleyer Hesso-Cassellanus. Francof. 1682. (Ich selbst arbeitete mit der Manuskriptfassung der Berliner Staatsbibliothek, Ms. lat. fol. 95)

2) Wilhelmi Ten Rhyne M.D. Dissertatio de Arthritide, Mantissa schematica, de Acupunctura, et Orationes tres [...] London 1683. (Eine englische übersetzung geben Carrubba, R.W. / Bowers, J. Z. im Journal of the History of Medicine and Allied Sciences, No. 29, 1972, p. 371ff.)

3) Kaempfer, Engelbert: Amoenitatum exoticarum politico-physicomedicarum fasciculi V, quibus continentur variae relationes, observationes & descriptiones rerum persicatum & ulterioris Asiae. Lemgo 1712.

4) Kaempfer, Engelbert: (a) The History of Japan. London 1717. (b) dto., Nachdruck: Glasgow 1906.

5) Kaempfer, Engelbert: (a) Geschichte und Beschreibung von Japan. Aus den Originalhandschriften herausgegeben von Ch. W. Dohm. Lemgo 1777-1779. (b) dto., Nachdruck Stuttgart 1946. (c) dto., Faksimile-Ausgabe Berlin, Heidelberg, New York 1980. Einschließlich eines Bandes "Beiträge und Kommentar", herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für Natur- u. Völkerkunde Ostasiens (OAG), Tokyo 1980.

6) Siegerist, H.E.: Anfange der Medizin. Deutsche Ausgabe, Zürich 1963.

7) E. Kaempfer / Ph. F. von Siebold. Supplementband XXVIII der Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens. Tokyo 1966.

8) Lu, Gwei-Djen, Needham, Joseph: Celestial Lancets. A History and Rationale of Acupucture and Moxa. Cambridge UP 1980.

 

 

  Referenzmaterialien:

1) Tanba Yasuyori: Ishinpô. 982 n.u.Z. ( 丹波康頼' 醫心方). Philologisch bearbeitet von Nakamura Shunya (中村俊也), erläutert von Takashima Bun' ichi (高島文一) unter der Aufsicht von Kamada Tadashi (鎌田正), Tokyo 1982. [ISP]

2) Hongô Masahô: Shinkyû-chôhôki (本郷正豊' 鍼灸重寶記)

(a) Originalausgabe 1719.

(b) dto., Neubearbeitung von Ono Fumie (小野文恵), Yokosuga (横須賀) 1959. [SC]
(alle Seitenangaben beruhen auf der Neuausgabe, die Abbildung 5 wurde der Originalausgabe entnomnen)

3) Diderot, D., d'Alembert, J. B.: Encyclopé die ou Dictionnaire Raisonné des Sciences. Paris 1751- 1772.

4 ) Walch, J.G.: Philosophisches Lexicon. Leipzig 1775.

5) Larousse, P.: Grand Dictionnaire Universel. Paris 1865.

6) Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft. 1897.

7) Porkert, M.: Die theoretischen Grundlagen der chinesischen Medizin. Stuttgart 1982, 2. Aufl.

 

 

Nomenklatur der Akupunktur- und Moxameridiane
intern.
engl.
jap.
deut.
1 Pulmo P L LU Lu 手太陰肺経
2 Intestinum crassum IC LI LI Di 手陽明大腸経
3 Gaster G S ST M 足陽明胃経
4 Lien LP SP SP MP 足太陰脾経
5 Cor C H HT H 手少陰心経
6 Intestinum tenue IT SI SI Du 手太陽小腸経
7 Vesica urinaria VU B BL BI 足太陽膀胱経
8 Ren R K KI N 足少陰胃経
9 Pericardium PC CX HC KS 手厥陰心包経
10 Tricalori T T TH 3E 手少陽三焦経
11 Vesica fellea VF G GB G 足小陽胆経
12 Hepar H LV LV Le 足厥肝経
13 Toumo TM GV GV LG 督脈
14 Jenmo JM CV CV KG 任脈

 

 



Fussnoten

[1]      J.G. Scheuchzer, übersetzer, in Lit.4, p.LXXXII.
[2]   Zur Biographie und Kaempfer-Forschung siehe Scheuchzers Einleitung in Lit. 4), Dohms Einleitung in Lit. 5, Lit. 7 sowie den Kommentarband in Lit. 5 (c).
[3]   Scheuchzer (Anm. 1) weiß überhaupt nur um drei Arbeiten: A. Cleyers " Specimen medicinae sinicae" (Lit.1), in denen es allerdings um China ging, eine Abhandlung zum Tee von W. T. Rhyne, die zu unserem Thema nichts enthält, und aus derselben Feder die " Dissertatio de Arthritide" (Lit. 2), in der an einigen Stellen etwas zur Moxibustion gesagt wird. Tatsächlich aber taucht das Wort in dieser Schreibweise schon während der siebziger Jahre des 17. Jahrhunderts in der europäischen Literatur auf. Doch sind dies kaum mehr als Reaktionen auf die Schrift von H. Buschof, der über so gute Erfahrungen bei der Behandlung seiner Podagra zu berichten wußte. Es dauerte auch einige Zeit, bis man erkannt hatte, woraus in Asien die Moxa hergestellt wird. Genaueres darüber und die ganze Breite ihrer Anwendungsmöglichkeiten sowie die Behandlungspunkte liefert indes erst E. Kaempfer. Nachfolgend ein vervollständigtes Verzeichnis des Schrifttums vor Kaempfer:
1674     Buschoff, Herman: Het Podagra, Nader als oyt nagevorst en uytgevonden, mitgaders des selfs sekere Genesingh of ontlastened hulpmiddel. Hermanus Buschof de Oude van Utrecht, Predikant op Batavia in Ostindien. Amsterdam.
1676      Geilfuß, P. W.: Disputatio inauguralis de Moxa. Marburg.
1677     Observatio D. Johann Sigismundi Elsholtii de Moxa sinensi, antipodagrica. Ephem. medic.-physic. curios. Decuria I, Ann.VI, 319. (Ephemeriden der Leopoldinischen Akademie der Naturforscher, deutsche Ausgabe Bd. VI; 390, Nürnberg)
1677     Observatio D. Erici Mauritii de novo conra podagram remedio. Ephem. medic.-physic. curios. Decuria I, Ann. VI, 319, 429.
1683     Andreae Cleyeri de Moxa. Ephem. medic.-physic. curios. Decuria II, Ann. IV, 1 ff. (Von der Moxa. Der römisch-kaiserlichen Akademie der Naturforscher auserlesene medizinische, chirurgisch, anatomisch, chemisch und botanische Abhandlungen, Deutsche Ausgabe, Nürnberg, Bd. XIV/1; auch Valentinis " Museum Museorum" beigebunden).
1682/1683 Gehema, Abraham Janus: Die eroberte Gicht mit der chinesischen Waffe der Moxa. Hamburg.
1683     Ten Rhijne,Wilhelm:Dissertatio de Arthritide: Mantissa schematica, de Acupunctura, & Orationes tres. I. De Chymiae ac Botaniae antiquitate & r Dignitate. II. De Physiognomia. III, De Monstris singula ipsius autorio notio illustrata. London.
1683     Observatio D. Johann Dolaei de Moxa antipodagrica Germanica. Ephem. medic.-physic. curios. Decur I, Ann. 9, 302.
1683     Observatio D. Georgii Wedelii de Moxa germanica. Ephem. medic.physic. curios. Decuria II, Ann. I, 14. (Von der teutschen Moxa. Der röm. kais. Akademie der Naturforscher auserlesene med., chir., anat., chem. und bot. Abhandlungen. Bd. XI, 10, Nürnberg 1762).
1684     Bonet, Theophile: 'They have a two-fold method of Cure (in gout) […] Acupuncture, and burning with their moxa' . Mercurius compitalitius, I, 33.
1684     Blankaart, Stephanus: Verhandelinge van het Podagra en Vliegende Jigt, om de sekerliik te genesen. Amsterdam, Bij Jan ten Hoor.
1685     Vos, Isaac: Variarum Observationem Liber. Scott, London. (besonders das Kapitel: De Artibus et Scientiis Sinarum, p. 69)
1686     Bayle, Pierre: Nouvelle de la Ré publique des Lettres. p. 1013.
1686     Valentini, M. B.: Historiae Moxae cum adjunctis medicationibus Podagrae. Leyden.
1689     Crasset, Jean: Histoire de l'É glise du Japon. Michallet, Paris. (deutsch: Augsburg 1738)
1692     Blankaart, S. : Accurate Abhandlung von dem Podagra und der laufenden Gicht, nebst des Herrn W. Ten Rhyne Beschreibung der Chinesen und Japaner Weise, wie selbige allerley Krankheiten durch das Brennen mit der Moxa und dem Stechen einer guldenen Nadel völlig und gewiß courieren. Leipzig.
1693     Temple, William: Een onderzoek over de genesing van het Podagra door Moxa in Miscellanea of verscheidene Tractaten door William Temple. Utrecht, 1 vol. m. 8, pag. 194
1693     Solingen, C.: Handgriffe der Wundarznei, S. 433
1694     Kaempfer Engelbert: Disputatio Medica Inauguralis, exhibens Decadem Observationum exoticarum a Carolo Drelincourt pro grado doctorali. publico examini subiecit Engelbert Kempfer. L.L. Westph. 22. April 1694. Lugduni Batavorum. Apud Abraham Elzevier.
1697     Blancard, S.: Eigentliche Abhandlung von dem Podagra und der laufenden Gicht, nebst des Herrn W. Ten Rhyne Beschreibung, wie die Chinesen vermittels des Moxa-Brennens und Gueldenen Nadelstechens alle Krankheiten, insbesonderheit aber das Podagra curieren. Leipzig.
1607     Floyer, John: The Physician's Pulse-Watch.
1712     Kaempfer, E.: Moxa praestantissima cauteriorum materia, Sinensibus Japonibus que multum usitata. In: Amoenitatum exoticarum, Fasc. V, Lemgo 1712. Vol. IV, pag. 589ff.
1717     Of the cure of the Colick by the Acupunctura or needle-pricking, as it is used by the Japanese. In: the History of Japan, London, p. 263ff.
[4]   Eine sehr eingehende Studie zur Wirkung des Kaempferschen Japanwerks im 18. Jahrhundert gibt Peter Kapitza im Kommentarband zu Lit. 5 (c).
[5]   Um einige Hinweise zu geben: C.de S. Montesquieu: Essai sui les Moeurs et l'É sprit des Nations. 1748; J.J. Rousseau: Discours sur l'origine et les fondements de l'iné galite parmi les hommes. 1755; F.M.A. Voltaire: Essai sur l'histoire gé né ral et sur les moeurs et l'é sprit des nations depuis Charlemagne jusqu' à nos jours. 1756; I. Kant: Physische Geographie; dito: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf, 1796.
[6]   Siehe Kaempfer (1777/79), Vorrede des Verfassers, Seite LXVII.
[7]   Andreas (Andries) Cleyer (1634-1698), Lizentiat der Medizin, lebte von 1665 bis 1697 in Batavia und war zweimal (1682-1683 und 1685-1686) in der holländischen Faktorei zu Nagasaki, auch 'opperhoofd' . Beschäftigte sich intensiv mit der naturkundlichen Erforschung Chinas und Japans. Mit dem kurfürstlichen Leibarzt Ch. Mentzel in Berlin führte er einen umfangreichen Briefwechsel. Seine Sendungen von Büchern u. ä. spielten eine wichtige Rolle beim Aufbau der chinesischen Sammlung in der 'Churfürstlichen Bibliothek' , heute Staatsbibliothek preussischer Kulturbesitz. Neben dem Werk " Specimen medicinae sinicae, sive opuscula medica ad mentum Sinensium" (Frankfurt 1682) publizierte er eine Reihe von Beiträgen in den Ephemeriden der Leopoldina (s. Anm.3, 1677) und gab weitere Werke heraus wie " Clavis medica ad Chinarum doctrinam de pulsibus" (1680).
[8]   Man hatte Cleyer später immer wieder der unrechtmäßigen Aneignung von Arbeiten aus fremder Feder bezichtigt, obwohl er im Werk " Specimen medicinae Sinicae" nur als Herausgeber auftreten war. Die einzelnen Beiträge stammen wohl von einem der Jesuiten, die während der sechziger Jahre des 17. Jahrhunderts in Südchina weilten. Genaueres hierzu bei Eva Kraft: Christian Mentzel, Andreas Cleyer und die chinesische Medizin. In: Fernöstliche Kultur (Wolf Haenisch Festschrift), Marburg 1975, 158196.
[9]   Hermann Buschof(f) bzw. Buscop, Buschofius (?-1674), "predikant" in Batavia. Er hatte am eigenen Leibe eine erfolgreiche Moxibustion erfahren und verfaßte darauf voller Begeisterung die in der Anm. 3 aufgeführte Schrift. Diese wurde kurz nach seinem Tode in Holland publiziert, später auch ins Englische, Deutsche und Lateinische übersetzt (Amsterdam 1674, 1677, 1678, 1679, Breslau 1677, London 1676). Von ihm stammt desweiteren die Einleitung zu Ten Rhijnes Dissertatio in der Form eines Lobgedichtes. Der Bruder Buschofs, der die genannte Schrift herausgegeben hatte, vertrieb zugleich die von ihm offenkundig importierte Moxa und muß über deren Anwendung ein wenig Bescheid gewußt haben; Da der Beifuß als Rohmaterial zunächst noch nicht ermittelt war, entspann sich um diese Frage eine kleine Disputation, vorwiegend in den Ephemeriden der Königlich-Leopoldinischen Gesellschaft der Naturforscher. Wegen des horrenten Preises suchte man überdies nach einheimischem Ersatz, was zur 'Moxa germanica' und anderem mehr führte.
[10]    Der immer wieder vertretenen These, das Wort Moxa komme eigentlich vom Portugiesischen mexa (Docht, Lunte) und sei insofern ein Rückimport, kann ich micht nicht anschließen. Philologisch liegt die Wurzel im japanischen mogusa (艾), das seinerseits ethymologisch mit dem Wort moekusa (燃[え]種), soviel wie Zündkraut, Brennkraut, verwandt ist. Als Name für die aus der Artemisia gewonnene Moxa ist mogusa jedoch vor mindestens einem Jahrtausend gebräuchlich. In einem 'Waka-Gedicht' von Fujiwara no Sanekata (藤原實方), das in die kaiserliche Sammlung von 1086, " Goshûiwakashu" (後拾遺和歌集) aufgenommen wurde, steht die nach außen kaum erkennbar glimmende mogusa aus Ibuki (伊吹), dem auch heute noch berühmten Herstellungsgebiet, für die brennenden Gefühle des Dichters: kaku to dani eya wa ibuki no sashi mogusa sashi mo shiraji na moyuru omoi wo. Diese Verse sind noch heute durch das traditionelle Kartenspiel weitverbreitet.
[11]    Willem Ten Rhijne (Wilhelm Ten Rhyne), 1647 in Deventer geboren, 1700 in Batavia gestorben, studierte in Leyden und promovierte 1668 mit einer Arbeit " De dolore intestinorun e flatu" . Als Arzt der Holländisch-Ostindischen Kompagnie gelangt er nach kurzen Studien am Kap der Guten Hoffnung (1673) über Djakarta nach Nagasaki (20.6.1674-27.10.1676). Zurück in Batavia übernahm er die Leitung des Leprosariums auf der Insel Pumerend und beschäftigte sich mit botanischen und medizinischen Forschungen, über die er einige bedeutende Arbeiten verfaßte. Erwähnenswert in unserem Zusammenhang ist die "Dissertatio de Arthritide" (s. Anm. 3, 1683) sowie eine der ersten Abhandlungen über den Tee: "Excerpta ex observationibus japonicis de fructice thee" (Danzig 1678). Auch in seiner "Verhandelinge van de Asiatise Melaatsheid na een naaukeuriger ondersock ten dienste van het gemeen" (Amsterdam 1687) leistete er Pinonierarbeit. Ähnlich wie Kaempfer hatte Ten Rhijne in seinem Leben immer aufs Neue mit Schwierigkeiten zu kämpfen.
[12]    " Ammoenitatum exoticum" , Fasc. III, Obs. XIII, p. 605 oder im Anhang V der " Geschichte und Beschreibung von Japan" (1777/79), S. 442.
[13]    Kaempfer hatte sich in Batavia um eine dort freigewordene Arztstelle bei der Holländisch-Ostindischen Kompagnie beworben, die ihm jedoch nicht gegeben wurde, so daß er schließlich nach Nagasaki ging. Es könnte durchaus Ten Rhijne gewesen sein, der hier seine Hände im Spiel hatte. Auch die Stelle in den " Amoenitates exoticae" (Fußnote 10) ist lesenswert.
[14]    Acus = Nadel, pungere = stechen. Zwar ließ der holländische Arzt Jakob De Bondt (1598-1631) nach einem mehrjährigen Ostasienaufenthalt im Dienste der Holl.-Ostind. Kompagnie schon 1658 im letzten Kapitel des 5. Buches " De Indiae utriusque re naturali et medica" ein paar Bemerkungen über das Nadelstechen fallen, verwendete aber noch das Wort stylo: Quod autem in Japoniae narrabo fieri, miracula ipsa superat. In doloribus c apitis ant iqui s, in obstruct ion ibus Hepatis, et Lienis, in Pleuritide quoque, pertereberant stylo argento, aut e chalybe confecto, non multo crassiori, quam cythararum chordae esse solent, transadigendo paulatinl et lente praedicta viscera, ut altera parte stylus exeat, quod et in Java fieri." (p.85) Auf diese Stelle bezog sich wiederum Ten Rhijne (1683, S. 185). Ein weiteres Werk, das nach Bontius, jedoch vor Ten Rhjine erschien (Les secrets de la mé dicine Chinois, consistant en la parfaite connoissance du Pouls. Grenoble 1671), war mir leider nicht zugänglich.
[15]    Eine englische übersetzung von J.Z. Bowers und R.W. Carrubba steht im Journal of the History of Medicine and Allied Sciences, Nr. 25, 1970, 270-310. Der Moxa-Teil ist dort jedoch überaus kurz, auch fehlt die Abbildung und der übersetzte Moxa-Spiegel.
[16]    Christian Wilhelm Dohm (1751-1820), aus Lemgo wie Kaempfer, studierte Theologie und Jura, vorübergehend Pagenhofmeister in Berlin, gründete mit Boie die Zeitschrift "Das Deutsche Museum". Prof. für Finanzwissenschaft und Statistik (1776), seit 1779 im preuss. Staatsdienst, in dem er bis 1810 eine steile Karriere machte. Freund von Moses Mendelsohn und Streiter für die Gleichberechtigung der Juden (über die bürgerliche Verbesserung der Juden. 1786). Schrieb im Alter eines der frühesten deutschen Memoirenwerke "Denkwürdigkeiten meiner Zeit oder Beiträge zur Geschichte vom letzten Viertel des 18. und vom Anfang des 19. Jahrhunderts" (Lemgo 1814-1819).
[17]    Zur Geschichte des Drucks siehe die detaillierte Schilderung von Hans Hüls im Band "Beträge und Kommentar" zu Lit. 5 (c), S. 65ff.
[18]    Für 1778 (7. Jahr der Devise Anei: 安永) ließ sich ein Exemplar im Besitz von Yoshio Kôgyû (吉雄耕牛) nachweisen. Siehe Numata, Jiro: Nihon ni okeru Kemperu to sono eikyô (日本におけるケンペルとその影響), Lit. 7, S. 177.
[19]    Von Siebold, Ph. F.: Nippon. Archiv zur Beschreibung von Japan und dessen Neben- und Schutzländern. Leyden 1832-1852. (Hier zitiert nach der Würzburg/Leipziger Ausgabe von 1897.) Für biographische Angaben usw. siehe wieder Lit.5, S. 63ff. Wie stark das Interesse Siebolds an der japanischen Medizin wirklich war, ist schwer abzuschätzen. Die diversen Ungenauigkeiten, der fast unreflektierte Rückgriff auf Kaempfer und die Kürze der Darstellung deuten eigentlich darauf hin, daß er sich wohl eher als Gebender denn als Nehmender empfand, was bei dem Aufschwung der Wissenschaften im 19. Jahrhundert wohl verständlich war. Immerhin ließ er sich von Schülern in Narutaki, seiner Lehrstätte bei Nagasaki, eine Dissertation zur Akupunktur und Moxibustion in holländischer Sprache anfertigen (Totsuka Seikai, Ishii Soken, Mima Junzo: De korte beschrijving over de manier der moksabranden en de gebrande naald) . Eine weitere Publikation in Batavia beruhte im wesentlichen auf einem Schreiben von Ishizaka Sôtetsu (Von Siebold, Ph. F. / Hoffmann, F.: Iets over de acupunctuur (Naaldensteekkunde); getrokken uit eenen brief van den Japanschkeizerlijken Naaldensteker Isi Saka Sotets. Verhandelingen van het Bataviaasch Gcnootschap van Kunsten en Wetenschappen. Batavia, Vol. 14, 179-389, 1833).
[20]    Ishizaka Sôtetsu (石坂宗哲), Akupunkturarzt aus Kôfu, heute Prafektur Yamanashi, lebte von 1764 bis 1840. 1789 von der Tokugawa-Regierung zum Hofarzt bestellt. Von 1796 bis 1800 baut er in Kofu eine medizinische Ausbildungsstätte auf. Zurück in Edo beginnt er 1804 mit dem Studium der westlichen Anatomie. Versuchte, die traditionelle asiatische Medizin mit der westlichen zu verschmelzen. Erste direkte Kontakte mit einem holländischen Arzt im Jahre 1822. 1826 trifft er sich mit Siebold bei dessen Aufenthalt in Edo. Verfasser einer Reihe von medizinischen Schriften. Nach ihm benannt sind heute noch "Fünf Nadelverfahren von Ishizaka Sôtetsu" (Ishizaka Sôtetsu Goshishinpô: 石坂宗哲五刺鍼法)
[21]    Siebold (1897), Abt. IV, Abschn. 3: über die Anwendung der Moxa. Siehe insbesondere S. 84 ff. Man kann hier leider Siebold und / oder seinen Herausgebern den Vorwurf nicht ersparen, im Detail schlampig gearbeitet zu haben. In der gesamten Abteilung IV über die japanische Medizin wurden viele japanische Ortsnamen und medizinische Termini unsauber notiert, von Kaempfer übernommene Wörter verschlimmbessert, obwohl es doch so leicht gewesen wäre, sie zu verifizieren. Drei kleine Beispiele aus der Wiedergabe des Moxa-Spiegels (Kaempfer, Siebold, heutige Lesung): Sjuitz— > Suikiu (jûichi 十— ); Fusi — > Bosi (fûshi 風市); Seomon— > Suimon (shômon章門).
[22]    Helikon: Name eines Gebirges in Griechenland, das als Sitz der Musen galt.
[23]    Brachmanen, Brahmanen, auch Brahminen, Braminen: nach dem altindischen 'Brahmana' , oberste Kaste der Hindus. Kaempfer selbst definiert sie an anderer Stelle als die "Weisen, Theologen, Aerzte der Indier".
[24]    Sinenser, Sineser: Einwohner von Sina. Ursprünglich für die Menschen im südlichen Teil des heutigen China verwandt im Gegensatz zum Norden, wo die Serer lebten. Diese Schreibweise hat in der Fachbezeichnung Sinologie überlebt und — kaum jemandem bewußt — in der Apfelsine (= Sinaapfel).
[25]    D.h. die Vereinigung von Feuer und Eisen zum Glüheisen, Cauterium.
[26]    Struthium: Gypsophilia Struthium, schon bei Plinius erwähnte Pflanze aus der Gattung der Karvophyllazeen, elnjährige und ausdauernde Kräuter bzw. Halbsträucher. Die Wurzel des in Spanien und Nordafrika verbreiteten Gewächses dienten dank ihres Gehalts an Saponin seit alters her als Seife-Ersatz. Sie kamen in Scheiben von 1 bis 3 cm Durchmesser noch Anfang des 20. Jahrhunderts als ägyptische oder levantinische Seifenwurzel in den Handel.
[27]    Aristolochia, im Deutschen Osterluzei, eine Pflanzengattung mit rund 500 Arten. Wahrscheinlich ist hier die Gemeine Osterluzei, A. clematitis, gemeint, die man bis in die Neuzeit zur Behandlung von Wunden, Geschwüren sowie Hals-, Nasen- und Ohrenleiden verwandte.
[28]    Mercatus: Louis de Mercado (* 1513 Valladolid, † 1599 Madrid), Leibarzt von Philippe II . und III. Als überzeugter Anhänger der galenischen Lehren verfaßte er eine Fülle medizinischer Werke, die ihm den Ruf eines der großen Mediziner seines Jahrhunderts verschafften.
[29]    Severinus: Marco-Aurelio Severino (* 1580 Tarsia, † 1556 Neapel), Professor für Medizin und einer der großen Zerstörer der Scholastik, um den sich Studenten aus ganz Europa versammelten. Popularisierte u.a. die Tracheotomie. Auch er hinterließ ein stattliches Opus. Kaempfer bezog sich vermutlich auf das 1646 in Frankfurt erschienene Werk "De efficiaci medicina", in dem Severinus die Anwendung des Feuers ausführlich beschreibt und dieses fast als Allzweckmittel ausgibt.
[30]    Mohammedanisches Reich der Mogulen in Indien von etwa dem 16. bis 18. Jahrhundert. Das Wort Mogul kam vom persischen mughul und bedeutet soviel wie Mongole.
[31]    Wayd, Waid: Gattung der Kruziferen, einjährige oder ausdauernde Pflanzen, etwa 50 Arten. Der Farberwaid, Isatis tinctoria, wurde im mittl. und südl. Europa sowie im Orient angebaut. Die fußlangen, luftgetrockneten Blätter wurden zermalmt, zu Klößen gepreßt, getrocknet und anschließend zur Gärung gebracht. Innerhalb einiger Wochen zersetzte sich das im Waid enthaltene Indoxyl u.a. zu Indigo. Seit alters her in Britannien genutzt. Das englische Glastum stammt aus dem Keltischen glaston (Vgl. W. Simpson Hydrol. Ess., 1670, p.140: Dyers Woad or Glastum). Im Mittelalter besaßen Erfurt, Gotha, Arnstadt, Langensalza und Tennstedt als Waidstädte das Anbauprivileg, Anfang des 17. Jahrhunderts dazu in mehr als dreihundert thüringischen Dörfern produziert.
[32]    Ähnliches berichtete später auch Prospero Alpinus (Med. Aegyptorium, Lib. III, Cap. XII, 1745). Die arabische Medizin folgt hier völlig der griechischen Vorstellung von der pepsis, der Kochung, d.h. Ausreifung des Krankheitsherds und dessen anschließender Derivation, Ableitung. Siehe hierzu auch Abschnitt 3 der vorliegenden Arbeit.
[33]    Juncus: Gattung der Junkazeen, d.h. (Mark-)Binsen, die in Sümpfen und Gräben gedeihen. Das Mark wurde zu Dochten u. ä. verwendet.
[34]    Lukonier: Bewohner von Lucon/Luzon, der größten Insel der heutigen Philipinen; Tungkiner: Bewohner der Region Tongking/Tonkin, dem nördlichen Teil des heutigen Vietnam; Cochinsinenser: Bewohner Cochinchinas, urspr. portugiesische Bezeichnung für den Südteil Vietnams
[35]    Eigentlich yomogi (蓬). Futsu (ふつ) ist jedoch nur in Yamaguchi, Ky ushu, Tanegashima, Amami gebräuchlich. In den Amoenitates exoticae erwähnt Kaempfer noch die sinojapanische Bezeichnung gai: "Gai, vulgo Jamogi. Artemisia vulgaris major, quae junior vocatur Futz, ex qua fit Moxa, celebris stupa pro cauterio actuali."
Die Artemisia galt auch im Abendland seit alters her als heilkräftig. Laut Pauly (5. Halbband, Stichwort: Beifuss) stammt der Name nicht von der carischen Königin Artemisia, sondern von der Geburtshilfe leistenden Frauengöttin Artemis ab. Dafür spricht auch, daß man sie zur Verhinderung von Fehlgeburten und bei Frauenleiden anwandte. Gegen Epilepsie, als krampfstillendes und schweißtreibendes Mittel soll sie auch gewirkt haben. Mit der Artemisia vulgaris. die es in Griechenl and nicht gab, würzte man wegen der ätherischen Öle und Aromastoffe den Enten- und Gänsebraten. Daher auch der deutsche Name Beifuß: bîbôz, d.h. das, was (als Gewürz zur Speise) hinzugestoßen wird.
[36]    Eigentlich gogatsu gonichi (五月五日), der nach der chinesischen Überlieferung günstigste Tag, um den Beifuß zu sammeln. Zu einigen Gebräuchen an diesem, auch tango no sekku (端午の節句) genannten Festtag siehe Kaempfer (1777/79), S. 268, S. 270 f.
[37]    Kawakiri (皮切り), von Kaempfer korrekt beschrieben, heute selten gebraucht.
[38]    Dank der Beschreibung durch Buschof.
[39]    Gicht: ahd. gegihte, gijicht, die 'angezauberte' Krankheit, auch Zipperlein genannt, am Fuß Podagra (gr. Fußschlinge). Gicht entsteht durch Ablagerung von Harnsäure infolge von Stoffwechselstörungen. Bis ins 19. Jahrhundert sah man die Ursache in einer Störung der Körpersäfte ( 'humores' ). Vom Rheumatismus geschieden hatte sie Th. Sydenham 1683, auf die Harnsäure stieß W.H. Wollaston 1797, den Wirkzusammenhang erkannte A. Garrod 1848. Kaempfer stand dementsprechend noch ganz unter dem Einfluß der Humoraldeutungen, wie auch seine Ausführungen zeigen.
Rheumatismus: vom griech. rheo, 'ich fließe' . Ein 'Gliederreißen' , das meist mit 'Erkältungen' in ursächlichen Zusammenhang gebracht und entsprechend mit 'Wärme' behandelt wird. Der Rheumatismus-Begriff, der sich im Laufe der Geschichte häufig wandelte, ist auch heute nicht unumstritten.
[40]    Knochenhaut von griech. osteon = Knochen
[41]    M.B Valentini (1657-1726), Mediziner und Naturforscher aus Gießen. Nach Studienreisen durch Holland, England und Frankreich Professor. Verfaßte "Medicina novo-antiqua" (Frankfurt 1698), "Museum museorum" (1704), "Armentarium naturae systematicum" (Giessen 1709). Siehe auch Anmerkungen 3, 1686.
[42]    Gemeint sind die negriden Völker Südostasiens (Ostnegride), von den Spaniern damals auch Negrito genannt.
[43]    Gemeint sind die Punkte im Mittelabschnitt des Vesca-Urinaria-Trakts (太陽膀胱經; chin. Taiyang Pangguang Jing, VU), des Blasenmeridians, der in der Nasenwurzel beginnt, über den Schädel läuft und in je zwei Ästen rechts und links der Wirbelsäule zum Gesäß zieht, dann in einem Strang hinunter bis in die Spitze des kleinsten Zehen.
[44]    Senkô (線香), auch heute noch übliche Bezeichnung der Räucherstäbchen.
[45]    Tensashi (点刺), heute außer Gebrauch.
[46]    Tabu (椨) bzw. Tabu no ki, d.h. der Taab-Baum. Ausführlicher von Kaempfer beschrieben im Amoenitatum exoticarum, Fasc.V, S. 905.
[47]    Lignum agallochum, gr. agallochon, Adaptation eines nicht näher identifizierbaren orientalischen Wortes. Das Aloeholz wird schon im Alten Testament erwähnt (Hoheslied 4, 14; Psalm 45, 44, 9; Sprüche 7, 17). Es enthält eine geringe Menge eines wohlriechenden Harzes und galt im mittelalterlichen Europa als heilkräftig. Napoleon I. verwandte es als Parfum.
Seit der Erschließung der Seewege nach Ostasien im 16. Jahrhundert wurde aus Siam und Cochinchina ein Aloeholz unter dem Namen Callamback, Calambac, Calembuck, Calamba, Calambo, Calambao eingeführt. Die ethymologischen Angaben sind sebr unsicher: 'kalambak' (Malayisch) oder auch 'champa' (von der Region Campa in Anam). Die älteste Belegstelle, auf die ich stieß, stand in Joao de Barros " Asia" , 1, 9, 1 (Lissabon 1552).
[48]    Die beiden ersten Angaben sind zu allgemein, um den gemeinten Behandlungspunkt feststellen zu können, bei Zahnfäule jedoch empfiehlt die klassische japan. und chin. Literatur jedoch den Punkt he-gu (jap. gôkoku 合谷), IC4, auf dem Daumenmuskel wie beschrieben. (s. z.B. SC, S. 111).
[49]    Zahlmaß für das Brennen bzw. die Moxa-Portionen, chines zhuang, japan. sô (壮). In älteren japanischen Texten stößt man zuweilen auch auf das homophone Zeichen 草:, d.h. Gras). Die westliche übersetzung bedient sich verschiedener Umschreibungen: artemisialische Küchlein, Brennkegel, Portionen, Zylinder.
[50]    Diese Gefahr war ihm wohl aus der westlichen Praxis des Glüheisens bekannt, wahrscheinlich hat man ihn aber auch in Japan darauf hingewiesen, daß manche Stellen gefährlich sind. Siehe auch Kapitel 6 der vorliegenden Arbeit.
[51]    Die Formulierungen sind fast wortgleich mit asiatischen Vorschriften, z.B. des " Shinkyû Chôhôki" , S. 53.
[52]    Dasselbe schreibt auch das " Shinkyû Chôhôki" (S. 59). Daneben werden dort auch die angerösteten Fasern alter Strohsandalen (zôri, 草履) empfohlen (S. 58)! In beiden Fällen käme es nach drei Tagen zur Eiterung.
[53]    Dies waren die kyûshi (灸師) oder kyûtenshi (灸点師) gerufenen Moxa-Meister, die im Lande umherzogen und meist noch Horoskope oder ähnliche andere Dienste anboten, d.h. ohne breitere ärztliche Ausbildung praktizierten.
[54]     'Nackte Weise' , die griechische Bezeichnung für indische Asketen in der griechischen Literatur und Historiographie, z.B. im "Gespräch Alexanders mit den Gymnosophisten" des Kallisthenes.
[55]     "Non autem quivis ventris dolor dicto venit nomine, sed ille demum, qui dum intestina lancinat, in inguine simul motus excitat convulsionis. Nimirum, is est hujus Colicae vel gradus, vel genius, ut abdominis quoque musculos & membranas vellicet. Si doloris causam vel materiam quaerimus, ea ex sententiâ horum antipodum, cdm in praesenti morbo, tum in omni cruciatu ventris neutiquam intra intestini cavum hospitatur, nisi fortè in affectu leviori, sed in ipsâ haeret partis alicujus substantiâ membranosâ, puta musculorum abdominis, peritonei, omenti, mesenterii, intestinorum: in quibus illa per moram facessens in vaporem, vel, ut loquuntur, in spiritum saepe acerrimum, membranulas distendit, rodit & lancinat. Hujus igitur spiritûs rodentis effracto carcere, ipsoque angustiis, quas distendebat, exsoluto, cessabit momento citiûs acerbissimus extensionis sensus, quem ut perperam Latini ab intestino, saepius inno centi, Colicam, sic Gymnosophistae eum ad Japonum Sinensiumque mentem saniori judico amant suâ linguâ vocare Spasmum abdominis & intestinorum." (Lit.3, S. 582f.; deutsch: Lit. 5, S. 423f.)
[56]    Zitiert nach G. Feucht: Die Moxabenhandlung in Europa, Heidelberg 1977, S. 5f.
[57]    Qi, japanisch ki (気). Infolge der fundamentalen Rolle dieses philosophisch-naturkundlichen Begriffs enthalten noch heute zahlreiche chinesische, japanische, koreanische Wörter und Wendungen im Umfeld von Gesundheit, Krankheit, 'seelischen Vorgängen' diesen Bestandteil. Zum Qi im allgemeinen siehe Porkert, S. 138ff., von dessen übersetzungsvorschlagen ich mich anregen ließ.
[58]    Seminales Qi: jing-qi, jap. sei-ki (精気); defensives Qi: Wei-qi, jap. ei-ki (衛気).
[59]    In der westlichen Literatur hat sich der Begriff Meridian eingebürgert, begünstigt dadurch, daß man bislang noch kein physiologisches Substrat dieser 'Energieleitbahnen' ausfindig machen konnte. Dem historischen Charakter des System wird man jedoch durch die Begriffe 'Trakt' (Jing, jap. kei, 經) und 'Kanal' (luo, jap. raku, 絡), die ich im Anschluß an Lu / Needham (S. 24ff.) verwende, gerechter. Daß dies für die praktischen Fragen der modernen Akupunkturmedizin keine Rolle spielt, sei unbenommen.
[60]    Sanguinisches Qi: xue-qi, jap. kekki (血気); konstruktives Qi: Ying-qi, jap. ei-ki (営気)
[61]    Große Vereinigung: da-hui, jap. tai-kai (大会); cun-kou: japanisch sun-ko (寸口).
[62]   Fülle: ji, jap. jitsu (実) Leere: Xu, jap. kyo (虚).
[63]    Japanisch in-yo (陰陽), das Männliche und Weibliche, Kälte und Wärme, Gebende und Empfangende etc., grundlegendes kosmisches Polaritätsprinzip. Detaillierte Erläuterungen findet man bei Porkert, S. 8ff.
[64]    William Harvey (1578-1657), Arzt, Anatom, Physiologe, Studium in Cambridge und Padua, ab 1602 Arzt in London, ab 1615 Professor am Royal College of Physicians, 1618-47 königlicher Leibarzt. Nach langen experimentellen Studien publizierte er 1628 die "Exercitatio Anatomica de Motu Cordis et Sanguinis in Animalibus", in der er seine Entdeckung des großen Blutkreislaufs beschrieb und damit die antike Blutbewegungslehre widerlegte. Harvey, der auf Erkenntnissen von Ibn An Nafia, M. Serveto (Lungenkreislauf) wie auch A. Vesal, R. Colombo, H. Fabricius ab Aquapendente (Herzscheidewand, Venenklappen) aufbauen konnte, wurde zunächst heftig angefeindet. Später versuchte man, ihm den Entdeckerruhm streitig zu machen.
[65]    Pierre Brissot (1478-1522), Philosoph und Arzt, machte sich in Paris viele Feinde, als er die hippokratische Medizin gegen die arabische durchzusetzen trachtete. Entgegen der seinerzeit vorherrschenden Auffassung postulierte er die direkte Behandlung am Krankheitsherd. Schrieb unter anderem "Apologetica disceptatio de vena secanda in pleuritide." Basel 1529. Die Analogie der arabischen Aderlaßvorschrift zu Ostasiatischem kommt wahrscheinlich nicht von ungefähr. Die arabischen Mediziner hatten nachweislich eine gewisse Kenntnis der chinesischen Anatomie (s. z.B. Lu / Needham S. 35ff.). Mithin könnte der Revulsionsgedanke sehr gut ein schwacher Reflex der chinesischen Medizin gewesen sein.
[66]    Das wu-yun liu-qi (五運六気), d.h. etwa 'Fünf Transporte Sechs Qi' , genannte kosmologische System der Chinesen, welches in Japan kaum modifiziert übernommen wurde, umfaßte vielfältig aufeinander bezogene Zyklen der 'Fünf Elemente' (wu-xing:五行) Feuer, Wasser, Erde, Metall, Holz, der 'Sechs Qi' (liu-qi:六気), der 'Himmlischen Stämme' (tian-gan: 天干) und 'Irdischen Äste' (di-zhi: 地支), den Himmelsrichtungen und Aspekten des 'yin' und 'yang' u.a.m. Jeder Ort im Kosmos ist zu jedem Zeitpunkt durch die aktuelle Konstellation bestimmt. Da sich Mikro- und Makrokosmos durchdringen, gibt es eine Fülle von 'Knoten' mit besonderer Bedeutung.
Eine nach allen Regeln der Kunst vorgenommene Behandlung von Kranken erforderte demgemäß umfangreiche Kalkulationen, bei denen man sich oft spezieller Diagramme bediente. Für Einzelheiten siehe Lu / Needham (S. 137ff.) oder M. Porkert (S. 49ff.), dessen Terminologie jedoch zuweilen verwirrt.
[67]    Siehe hierzu das Huangdi Neijing Suwen (Kap. 69) in der Wang Bing zugeschriebenen Ausgabe (Song-Zeit, 1050 n.u.Z.), enthalten im Yibu quan tushu jicheng, Peking 1959 (醫部全録圖書集成)
[68]    Ambroise Paré (1510-1590), zunächst Feldchirurg, dann Leibarzt von Karl IX und Heinrich III. Vorzüglicher Wundarzt, der zahlreiche Methoden der Blutstillung, Gefäßunterbindung, Trepanation, der Behandlung von Verrenkungen etc. schuf bzw. verbesserte.
Der Dolmetscher Narabayashi Shoingobe (楢林新五衛), den auch Kaempfer erwähnte, publizierte 1706 eine japanische Version der holländischen Ausgabe "De Chirurgie ende Opera van alle de Werken van M. Ambrosius Pare. Dordrecht 1649" als Kôi Geka Sôden (紅夷外科宗伝). Siehe Numata Jirô (沼田次郎): Nihon ni okeru kenperu to sono eikyô (日本におけるケンペルとその影響), S. 175 f.(Lit. 7).
[69]    Galen, lat. Claudius Galenos, römischer Arzt griechischer Herkunft. Anfangs Gladiatorenarzt, später ab 161 Arzt der römischen Aristokratie, auch des Kaiserhauses. Er kombinierte die Humoralpathologie und diagnostisch-klinische Kunst der Hippokratiker mit der Anatomie und Physiologie des Aristoteles und der alexandrinischen Ärzte zu einem riesigen System. Neben den zahlreichen medizinischen Schriften verfaßte er auch Mathematisches und Philosophisches. Genaueres siehe z.B. Pauly.
[70]    Ich habe die zweisprachige griechisch-englischen Ausgabe "Hippocrates with an English translation by W.H.S. Jones (Vol.11, p. 227-253, London 1966) zu Rate gezogen.
[71]    Siehe die übersetzung von Jones (Anm. 69), S. 229-231.
[72]    Der Gedanke des Pneumatischen selbst taucht bei vielen Philosophen und Ärzten auf, unter Pneumatikern versteht man jedoch eine griech. Ärzteschule in den beiden Jahrhunderten um die Zeitwende. Als Gründer gilt Athenaio von Attaleia, hinzu gerechnet werden außerdem Magnus, Aretaios, Agathinos aus Sparta bis etwa Archigenes aus Apamei und Heliodoros
Von der Stoa stammt das Pneuma, das zum wichtigsten Faktor für Gesundheit und Krankheit aufgewertet und ins Herz lokalisiert wird. Im Laufe der Zeit entwickelte sich ein System, in demMikro- und Makrokosmos parallel aufeinander bezogen sind. Auch die Einflüsse von Poseidon waren vergleichsweise groß. (Genaueres s. F. Kudilien in Pauly, Suppl.11, 1968).
[73]    Eigentlich Theophrast von Hohenheim (1495-1541), stellte sich als Paracelsus neben den römischen Arzt Cornelius Celsius. Im Laufe eines abenteuerlichen Lebens verfaßte er über zweihundert Schriften in frühneuhochdeutsch und latein mit einer Fülle sprachlicher Neuschöpfungen, von denen einige bis heute überlebt haben (Gnom, Undine). Er glaubte, daß im menschlichen Organismus bestimmte chemische und vitalistische Kräfte wirken (Schwefel, Salz, Quecksilber), die vom 'Geist des Lebens' dem 'Archeus' gesteuert werden. Im Makrokosmos existiert noch eine zweite Kraft, das 'Chaos' . Weiter unterschied er drei Seinszustände der göttlichen, seelischen und materiellen Sphäre und machte auf eine Reihe seelischer Erkrankungen aufmerksam. P. predigte eine naturgemäße Lebensweise und einfache, einheimische Heilmittel. Seine Distanz zu den traditionellen Autoritäten, wohl auch seine Person und Lebensweise führten zu heftigen Auseinandersetzungen schon zu Lebzeiten. Als "Lumpazivagabundus" (J. Nestroy) u.ä. wurde er auch in der deutschen Literatur mehrfach verewigt.
[74]    Georg Ernst Stahl (1660-1734), Arzt, Chemiker, 1694 Professor für Medizin in Halle, 1716 Leibarzt des preussischen Königs. Stahl vertrat die Theorie des Animismus, derzufolge die unsterbliche Seele alle normalen und krankhaften Vorgänge im Körper durch ihre immaterielle Bewegung steuert (Theoria medicavera. 1707). Bekannt ist er zugleich auch als Verfechter der Phlogiston-Theorie in der Chemie.
[75]    Siehe hierzu Siegerist, S. 734 ff.
[76]    Hermann Boerhave (1668-1738) : seit 1709 Prof. für Medizin und Botanik in Leyden, 1714 für prakt. Medizin, 1718 für Chemie. Er versuchte eine Synthese der Iatrochemie, d.h. der ärztlichen Chemie, der Iatrophysik und des Vitalismus zu einem universellen Hippokratismus. Seine medizinischen Grundauffassungen und seine didaktischen Schriften ‑ er war der erste, der am Krankenbett lehrte ‑ wirkten bis zum Ende des 18. Jahrhundert auf die Schulmedizin. Boerhave hielt die damals enge Bindung der Chemie an die Medizin für falsch.
Die Lehre von den sauren und alkalischen Schärfen des Blutes hatte der aus Hanau stammende Francois Deleboe, Franciscus Silvyus (1614-72), eingeführt, der ab 1658 in Leyden als Prof. der Medizin lehrte. Dieser galt als Hauptvertreter der Iatrochemie, die im menschlichen Organismus vor allem chemische Wirkkräfte ins Auge faßte und in der Fermentation den Grundvorgang alles Lebendigen sah.
[77]    Lympha, eigentlich soviel wie klares Wasser.
Caspar Aselli (1581-1626), italienischer Arzt. Er entdeckte bei der Sektion eines Hundes 1622 die Lymphgefäße, schrieb aber aus Bescheidenheit diesen Verdienst Hippokrates, Aristoteles und Galenos zu. Bekannt wurde seine Beobachtung erst durch das posthum von Freunden publizierte Buch "De lactibus, sive lacteis venis, quarto vasorum mesaraicorum genere, novo invento" (Mailand 1627).
[78]   Siehe Lit. 8, S. 287ff., insbesondere S. 290f.
[79]    Kyûsho-Kagami (灸所鑑).
[80]    Viele der chinesischen Akupunktur- bzw. Moxibustionsanleitungen waren aus mnemotechnischen Gründen in Reimform angelgt, offensichtlich auch die von Kaempfer benutzte Vorlage.
[81] Kopfweh: im lat. Text "Cephalalgia", von gr. kephale = Kopf, algos = Schmerz.
Schwindel: im lat. Text "Vertigo", urspr. Drehung.
Ohnmacht: im lat. Text "Lipothymia", von gr. Leipo = ich lasse, thumo = Seele. Phlegmon: von gr. phlegma, Brand, Schleim.
Scorbut: lateinische Ableitung aus den niederdeutschen Wort Scheurbuik, das soviel wie 'rissiger Mund' bedeutete. Im Mittelalter sprach man auch vom Scharbock.
Engbrüstigkeit: im lat. Text "asthma", was aus dem Griechischen stammt und soviel wie'schwierige Atmung'bedeutete. Das SC (S. 106) erwähnt unter anderem eine Art Tuberkulose, die dem entsprechen könnte.
[82]    Jô-ki, chines. shang-qi (上気): Ein Aufsteigendes Qi mit den von Kaempfer beschriebenen Symptomen. Es wurde bereits im Ishinpô aus chin. Quellen zitiert (ISP, S. 154).
[83]    Kô-kô, chin. gao-huang (膏肓), VU 38: Behandlungspunkt für "Qi-Krankheiten, Augenerkrankungen (SC, S. 106, S. 157) .
[84]    Diarrhoe: stammt aus dem Gr. dia=durch, rheo=ich fließe.
[85]   Hinter dem "Nachtsehen erwachsener Personen" ( "nyctalopia adultorum hominum" ) könnte könnten sich Pollutionen beim Träumen (chin. yijing, jap. i-sei: 遺精) verbergen, die unter den Anwendungsmöglichkeiten dieses Punktes immer wieder genannt wurden (s. z.B. SC, S. 171). In chinesischen Texten verwandte man oft auch den Begriff meng-yi (夢遺), soviel wie Traumverlust. Kaempfer hatte das entweder nicht klar verstanden oder aber dezent angedeutet.
[86]    Jû-ichi (十一): Gemeint ist der Punkt hi-yu, chin. bishu (脾腧 ), VU 20. Sowohl im Ishinpô (ISP, S. 158) als auch dem Shinkyû Chôhôki (SC, S. 208f.) findet man fast gleichlautende Angaben.
[87]    Sun, chines. cun (寸), neben shaku, chines. chi (尺) eines der gebräuchlichsten traditionellen Längemaße. Zehn sun ergeben ein shaku, das als gewöhnliches Maß (kanejaku 曲尺) 30,3 cm entspricht. Als Tuchmaß (kujirajaku 鯨尺) wird es mit 37,88 cm ein wenig länger. In der Medizin wiederum nimmt man als sun die Läge des mittleren Glieds des Mittelfingers der linken bzw. bei Frauen der rechen Hand (s. a. den Moxa-Spiegel, Kap.2, Abschn. 10).
[88]    Shaku (癪): alte umgangsprachliche Bezeichnung für heftige Schmerzen in Bauch und Brust, besonders bei Frauen. In Kaempfers Akupunkturabhandlung taucht dieser Begriff auch auf, wird dort jedoch 'Saku' geschrieben.
[89]    Senki, chines. xian-qi (疝気): In der frühen westlichen Literatur meist mit Colic übersetzt, wurde dieses Leiden überaus gerne als Exempel für die Akupunktur- und Moxatherapie angeführt. Tatsächlich jedoch ist dieser Terminus schon in der asiatischen Medizin verworren. Seit dem chinesischen Huangdi Neijing (黄帝内經) unterscheidet man sieben Arten, doch wechseln deren Namen fast von Schrift zu Schrift. (s. a. SC, S. 181f.) Sunbaku, auch sunpaku (寸白): Eine auf Bandwürmer zurückgeführte Krankheit bzw. die Würmer selbst. Der Name weist auf die gewöhnliche Länge dieser Würmer, nämlich ein sun hin. Als sunbaku, subaku, subako zuweilen auch allgemeine Bezeichung für Unterleibserkrankungen von Frauen verwandt. (SC, S. 136f.)
[90]    Ten-sû, chines. tian-shu (天枢), G 25. (ISP, S. 210; SC, S. 182). Von diesem Punkt "Tensu" spricht Kaempfer auch kurz im Akupunkturtraktat.
[91]   Weißer Fluß, heute Weißfluß, Leukorrhoe: eine dem sinojapanischen hakutaige (白帯下) sehr ähnliche Prägung.
Gueldene Ader: Hämorroiden, aus dem griechischen haima = Blut und rheo = ich fließe. Schon Hippokrates widmete diesem Leiden ein ganzes Buch.
[92]    Tekagami (手鏡), eigentlich 'Handspiegel' . Als Bezeichnung für eine Krankheit konnte ich dieses Wort leider nicht belegen. Vielleicht handelt es sich um einen seinerzeits umgangsprachlichen Gcbrauch in der Gegend von Nagasaki, mit dem man auf den vom Nasenwischen ständig feuchten Handrücken anspielte (?).
[93]    Kishô no ketsu (気衝穴), d.h. 'der Punkt ki-shô' . Eigentlich hatte die Angabe ki-shô (chin. qi-chong; G 30) analog zu den vorangegangenen Beisspielen auch genügt. Kaempfer scheint sich nicht über die allgemeine Bedeutung des Wortes ketsu, synonym zu tsubo (穴) klar gewesen zu sein. (siehe auch ISP, S. 213, 463; SC, S. 99, 198)
[94]    Dort liegt der Punkt shi-in, chines. zhi-yin (至陰), VU 67, (SC, S. 201)
[95]    Dieser Punkt dan-chû, chin. shan-zhong (膻中), JM 17, wird oft 'Frauen-danchû' (婦人膻中 = fujin-danchû) genannt (ISP, S. 449; SC, 94, 201).
[96]   Arthritide: von gr. arthron = Gelenk und dem Suffx 'ite' , das soviel wie Entzündung bedeutet. Schiatucus: von griechisch ischiadikos, ischion = Magenkrämpfe; Strangurie: von griechisch strag = Tropfen, ouron = Urin; ein schmerzhaftes Harnträufeln bei Entzündungen von Harnblase oder -röhre.
[97]    Drei Sun über dem Knie liegt der Punkt in-shi, chin. yin-shi (陰市), G33, der zur Behandlung der angegebenen Krankheiten empfohlen wird, aber z.B. im SC (S. 128) hinsichtlich der Moxibustion als verbotener Punkt gilt. Gceignet wäre hingegen der nur einen Sun tiefer gelegene Punkt ryô-kyû, chines. liang-qiu (梁丘), G34, mit fast dem gleichen Therapiebereich.
[98]    Fontanelle: ein in eine künstliche Wunde eingführter Fremdkörper, z.B. ein mit Werg umwickeltes Lederscheibchen (Lederstecken) oder ein Stück weißer Nießwurz (Wurzelstecken). Ziel ist eine ableitende Eiterung in ganz ähnlicher Weise, wie man bei der eitererzeugenden asiatische Moxibustion (danôkyû: 打膿灸) über den Hitzereiz hinaus eine Ableitung durch Eiterung zu erreichen suchte. Siehe auch Kaempfers Kapitel VII.
[99]   Im lat. Text Cardialgia, cardia = Magenmund, Herz, algos = Schmerz. In diesem Abschnitt werden u. a. auch explizit Flatulenzen aufgeführt !
[100]   Dort liegt der Punkt chû-kan, chin. zhong-wan (中脘, JM 12, mit den beschriebenen Charakteristika (ISP, S. 192, 454; SC, S. 95, 178).
[101]   Fûshi, chines. feng-shi (風市), VF 31 (ISP, S. 229; SC, S. 136, 180). Das " Shinkyû-Chôhôki" beschreibt das Suchverfahren fast wortgleich (S. 136).
[102]   Faulfieber: febrium putridarum, ein Fieber, das durch Aufnahme 'fauliger' Stoffe ins Blut entsteht, namentlich bei Wunden oder im Kindbett.
[103]   Shômon, chines. zhang-men (章門), H 13 (ISP, S. 221, 464; SC, S. 100).
[104]   Diese Beobachtung kann man bei manchen japanischen Sprechern auch heute noch machen.
[105]   Gonorrhae: von griechisch gonos = Samen, rheo = ich fließe.
[106]   Hier war die Aussprache nicht korrekt notiert. Der Therapiemöglichkeit und Lokalisation zufolge handelt es sich um den Punkt Seki-mon, chines. shi-meng (石門), JM 15 (ISP, S. 197, 456; SC, S. 96, 170).
[107]   Katarrh, Catarrh: von gr. kata = nach unten, rhein = fließen. Als Begriff noch im 19. Jahrhundert überaus schillernd und vieldeutig.
[108]   Fû-mon, chines feng-men (風門), VU 12 (ISP, S. 153, 439; SC, S. 103).
[109]   Hier befindet sich der Punkt 'yô-yu' , chines. yao-shu (腰腧), TM 2 (ISP, S. 151, 438; SC, S. 173).
[110]   Os coccygis: In Ostasien sprache man früher vom Schildkrötenschwanz-Knochen (bideikotsu, kamenoonohone; chines. gui-wei-di-gu 亀尾■骨)
[111]   Gemeint ist der Punkt chô-kyô, chines. zhang-qiang (長強), TM 1 (ISP, S. 152, 438; SC, S. 102, 173).
[112]   Nen-jin, chines. nian-shen (年神): jin, eigentlich Gott, Geist, ist eine Art Wirkkraft im Körper, die ihren Schwerpunkt mit den Zeitzyklen verlegt und als eine Art Wächter den Organismus belebt und schützt. Schon im " Ishinpô" (S. 343ff.) wurden die langen Reihen aus dem Chinesischen aufgenommen, in denen man für jede Doppelstunde, Tag des Monats, Lebensjahr usw. aufführt, wann das Brennen oder Stechen fatal wäre.
[113]   Im " Shinkyû Chôhôki" werden die Abschnitte vier, fünf und sieben in genau dieser Reihenfolge und fast gleichlautend angegeben (S. 52).
[114]   Sake, im lateinischen Text Sakki geschrieben (酒), der landesübliche Reiswein.
[115]   In der lateinischen Urausgabe verwandte Kaempfer das Wort spiritus, vielleicht ein Reflex auf das Qi. Der Umlauf bezieht sich genauer gesagt auf die Säfte, nicht nur das Blut ( "circulare humores" ).
[116]   Venerische Krankheiten, d.h. Geschlechtskrankheiten, von denen ja einige erst durch die Europäer eingeschleppt wurden.
[117]   Zur chinesischen Pulsdiagnostik hat Kaempfer nicht viel zu sagen, obwohl diese eine zentrale Rolle in der Diagnostik spielte und er in A. Cleyers "Specimen medicinae sinicae" (1682) "De Pulsibus Libros quator e Sinico translatos" und den "Tractatus de pulsibus ab erudito Europaeo collectos" gelesen haben müßte.
[118]   Dort befindet sich der Punkt shin-ketsu, chines. shen-que (神闕), JM 8 (SC, S. 200). Dieser Hinweis steht in einem Buch vom Anfang des 18. Jahrhunderts! Kaempfer war auch sonst nicht prüde, wie seine sorgfältige Beschreibung eines die Männer stärkenden Mittels am Schluß der Abhandlung über die Ambra zeigt (1777/79, S. 470).
[119]   Hier handelt es sich um den Punkt jin-yu, chines. sheng-shu, (腎腧) VU 23 (SC, S. 200).
[120]   Die Abbildung zum Moxa-Spiegel ist zwar unsigniert, auf der Illustration zum Akupunktur-Text in der lateinischen Ausgabe von 1712 findet sich hingegen seine Signatur. Lit. 3, S. 583.
[121]   fundoshi (褌)
[122]   Yôryôsen (陽陵線), chines. yang-ling-quan.
[123]   「不得灸」、「不可灸」、「不宜灸」、「禁灸」、「忌灸」.
[124]   Kinkyûten (禁灸点).
[125]   (a) Anon.: Huangdi Neijing (黄帝内經), ed. von Wang Bing (王冰) 762 n. u.Z.
(b) Huang Fu-Mi (皇甫謐): Zhen-jiu jia-yi-jing (針灸甲乙經). zwischen 256-282 v.u.Z.
(c) Anon.:Tong-ren zhen-jiu-jing (銅人針灸經), zwischen 620-990 n.u. Z.
(d) Tanba Yasuyori (丹波康頼): Ishinpô (醫心方), 982 n.u. Z.
(e) Wang Wei-Yi (王惟一): Tong-ren shu-xue zhen-jiu tu-jing (銅人腧穴針灸圖經), 1026 od. 1027n.u.Z. - 4
(f) Xi Fang-zi (西方子): Ming-tang jiu-jing (明堂灸經), 1050 n.u. Z.
(g) Wang Zhi-Zhong (王執中): Zhen-jiu zi-cheng-jing (針灸資重經), 1220 n.u. Z.
(h) Hongô Masahô (本郷正豊): Shinkyû Chôhôki (針灸重寶記), 1719 n.u. Z.

 

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