[S. 75] Wolfgang Michel
AllgemeinBiographisches[1]Der erste europäische Arzt, der in Japan Informationen über die dortige Medizin einholte und diese vor dem heimischen Publikum ausbreitete, war der Niederländer Willem ten Rhijne[2] aus Deventer.[3] Er hatte in der Hohen Schule von Franeker,[4]seit 1668 in Leiden studiert und Ende desselben Jahres mit einer Arbeit "De Dolore Intestionorum e Flatu" im Alter von 21 Jahren den Grad eines Doktors der Medizin erworben. Unter seinen Lehrern ist der aus Hanau stammende Franciscus Sylvius[5] hervorzuheben, dessen Chemiatrie auf den jungen Studiosus einen großen Einfluß ausübte. Nach der Promotion hielt er sich wahrscheinlich einige Zeit in Paris auf. 1669 erschienen aus seiner Feder eine "Dissertatio de Arthritide" (Leiden), kurz darauf die "Meditationes in magni Hippocratis textum XXIV de veteri medicina cum additamento de salium signis" (Leiden 1672).[6] Vier Jahre später, am 6. Februar 1673, trat er als Arzt in den Dienst der niederländischen Vereinigten Ostindischen Compagnie (VOC) mit der Besoldungsstufe eines Kaufmanns, d.h. einem Gehalt von 60 Gulden. Sehr wahrscheinlich war er eigens für den Dienst in Japan ausgewählt worden. Vor der Abreise mußte sich zudem mit der in Ostasien kaum entwickelten Technik des Glasblasens vertraut machen. Am 11. Juni stach sein Schiff Ternate von Texel aus in See. Ten Rhijne stand an zweiter Stelle in der Bordhierarchie. Mitte Oktober erreichten sie das Kap der Guten Hoffnung, wo die Niederländer seit 1652 eine Verfrischstation errichtet hatten, die allmählich zur Kapkolonie heranwuchs. Während des 26 Tage währenden Aufenthaltes studierte er eingehend die lokale Flora und Fauna. Dann, am 10. November, segelte man weiter in Richtung Batavia, wo die Flotte am 21. Januar 1674 vor Anker ging. Trotz der vergleichsweise raschen Überfahrt starben von den "152 zeevaerende, 106 militaires, 5 vrouwen ende 10 kinderen" auf der Ternate "51 zeevaerende, 47 militairen, ende 3 vrouwen", also insgesamt 101 Personen. Auch ten Rhijne wurde von einer "Pestilentiale koorts" befallen, die er aber glücklich überstand.[7] Jahreszeitlich bedingt lief bis zum Frühsommer kein VOC-Schiff das japanische Archipel an, so daß ten Rhijne einige Monate in Batavia verbringen konnte. Besonders den gebildeten unter den (nicht allzu zahlreichen) europäischen Bürgern dürfte die Ankunft dieses jungen, gelehrten Mannes einiges Vergnügen bereitet haben. Für den 13. März ist sogar eine Vorlesung ten Rhijnes in der 1673 durch den Kasselaner Andreas Cleyer eingerichteten Anatomiekammer vermerkt. In Batavia lernte ten Rhijne unter anderen den 'Predikanten' Herman Buschof kennen, dem er die Anregung zur Beschäftigung mit der japanischen Moxa verdankt. Buschof (1620~1674)[8] stammte aus Utrecht und stand seit 1654 im Sold der VOC, für die er zwischen 1655 bis 57 in Formosa, seit Januar 1658 in Batavia seelsorgerisch tätig war. Er hatte sich nach langem Leiden einer Ärztin aus Quinam anvertraut, die ihn durch das Abbrennen einiger auf die Haut gesetzter Moxakegel von einem heftigen Gichtanfall kurierte. Das für ihn sensationelle Erlebnis veranlaßte ihn, eine Schrift über die Podagra und deren Heilung durch die Moxa zu verfassen: "Het Podagra, Nader als oyt nagevorst en uytgevonden, Midsgaders Des selfs sekere Genesingh of ontlastend Hulp-Mittel". Durch diesen kleinen Text fand das eigentlich aus dem Japanischen stammende Wort Moxa [9] Eingang in die meisten Sprachen Europas. Im letzten Kapitel des zweiten Teils erwähnt er auch den "Doctor Wilhelmus ten Rhijne", der unlängst (d.h. am 21. Januar 1674), in Batavia angelandet sei.[10] Am 30. Januar 1674 brachte Buschof eine Widmung an die Bewindhebber der Compagnie zu Papier, die mit seinem Manuskript in die Niederlande geschickt wurde. [11] Ten Rhijne hatte dieses gelesen und später sicher ein gedrucktes Exemplar erhalten.[12] Als er sich im Juni auf den Weg nach Japan machte, war Buschofs Gesundheitszustand - schon im März mußte man eine Vertretung einsetzen - allerdings nicht mehr der beste.[13] Am 19. Juli starb er, so daß ihn der auf den 19. Oktober 1674 datierte Brief aus Nagasaki nicht mehr erreichte.[14] Die posthume Herausgabe des Buches bei dem Amsterdamer Drucker Jacobus de Jonge besorgte Buschofs Bruder Johann[es], Advokat und Konrektor der Latein-Schule in Utrecht.[15] Dieser vertrieb auch die aus Batavia bezogene Moxa samt den vorgeblich unentbehrlichen Räucherstäbchen zum Anzünden. Die Buschofsche Schrift, das Werk eines medizinischen Laien, wirkte auf die europäischen Gelehrten überaus anregend. Ten Rhijne widmete ihr in seinem Sammelwerk von 1683, "De Arthritide", eine ausführliche Kommentierung, bevor er seine eigenen Materialien und Ansichten ausbreitete. Am 20. Juni 1674 reiste Rhijne nun zusammen mit dem designierten Faktoreileiter, Martinus Caesar, auf der Yselstein in Richtung Nagasaki ab, wo ihr Schiff am 31. Juli ankam.[16] Nach und nach sammelten sich im Laufe des Sommers weitere Schiffe der Ostindischen Compagnie, die entladen dann mit den im Gegenzug erstandenen Gütern, insbesondere Kupfer und Kampfer, beladen wurden. Hier gab es für den Arzt ten Rhijne nichts zu tun, zudem hatte noch immer sein Vorgänger, Willem Hoffman, das Amt des Faktoreiarztes inne. Die Übergabe der Geschäfte fand wie üblich erst am Abreisetage des scheidenden Kontorleiters statt, in jenem Jahr am 20. Oktober, als sich Johannes Camphuijs zur Rückkehr nach Batavia anschickte. Der Aufenthalt in Japan verlief dann allerdings nicht so, wie sich das ten Rhijne und seine Vorgesetzten vorgestellt hatten. In Batavia wie auch im Mutterland glaubte man, der 'Kaiser' (Shôgun) persönlich hätte sich den Besuch eines qualifizierten Arztes erwünscht.[17] Nun wußte man in Nagasaki und Edo zwar ten Rhijnes Rat und ärztliche Hilfe durchaus zu schätzen, doch dachte niemand daran, ihm eine sonderlich herausragende Stellung zuzubilligen. Vom Rang eines 'Leibarztes des japanischen Kaisers', [18] den ihm wenig später Jacob Breyn, wohl wegen diesbezüglicher brieflicher Bemerkungen Rhijnes, zuschrieb, ganz zu schweigen.[19]
Als ten Rhijne sich nach über zwei Jahren am 27. Oktober 1676 mit Camphuijs, dem Faktoreileiter des zweiten Turnus, auf der Hus de Spyk einschiffte, verließ er Japan trotz allem nicht mit leeren Händen. Die erworbenen Materialien und Kenntnisse reichten für einige Abhandlungen, die in den folgenden Jahren nach und nach in Europa erschienen. Am 13. Dezember 1676 erreichten sie Batavia, schon einen Monat später, am 12. Januar 1677, übernahm er das Ehrenamt eines Diakons. Am 28. Juni folgte die Ernennung zum Außenregenten der Leprastation ("Buijtenregent van't Lasarushuijs"). Am 5. Juni 1678 wurde die ehrenamtliche, auf ein Jahr festgesetzte Mitgliedschaft im 'Kollegium für Ehe- und Kleine Angelegenheiten' ("Commissaris van Huwelijksche en Kleine Zaken") registriert. 1679 verfaßte er eine "Korte beschrijvinge der voornaemste kragten van Oost-Indische enkele geneesmiddelen" für die Compagnie, die der Gutachter Andreas Cleyer allerdings sehr kritisch beurteilte.[21] Ein flexibler Mann wie ten Rhijne bewährte sich auch als Mitglied des provisorischen Bergkollegiums ("provissioneel bergcollegie"),[22] das die Effizienz der Salidaschen Gold- und Silberminen an der Westküste Sumatras steigern sollte.[23] Mindestens zwei längere Dienstreisen fanden zu diesem Zweck statt. [24] Außerdem war er 1680 für acht Monate Ältester des Kirchenrates. Auf Anordnung der Heeren XVII in Holland,[25] die er eigens in dieser Angelegenheit angeschrieben hatte, wurde er am 14. März 1681 zum Mitglied des Justitienrats[26] ernannt. Schließlich stieg sein Gehalt mit dem 24. August 1682 von 90 auf 100 Gulden, der Höchststufe für Nicht-Kaufleute in Ostindien. Während der rund acht Jahre seit seiner Einstellung hatte ten Rhijne eine bemerkenswerte Karriere gemacht, wobei die Patronage durch Pieter van Dam, Advokat und Rat der VOC in Amsterdam, gewiß eine Rolle spielte. Seit dem 19. August 1681 war er dann wieder für das Leprasorium auf der Insel Pumerend bei Batavia zuständig, ab Januar 1682 wirkte er zudem als Gutachter für Lepraverdächtige. Im selben Jahr heiratete er, doch starb seine Frau bereits 1686. Erwähnen sollte man noch die Tätigkeit als Schulrat der kirchlichen Volksschulen seit 1684, die erst mit seinem Tod am 1. Juni 1700 endete. Trotz all der Ämter und Aufgaben und des für Europäer mörderischen Klimas in Batavia brachte ten Rhijne einige Arbeiten zu Papier, die ihn in Europa nicht nur unter den Gelehrten bekannt machten.[27] In der Abfolge ihrer Publikationsdaten geordnet, wären zunächst zu nennen die "Wilhelmi ten Rhyne Medici, Botanici &Chymici quondam Magni Imperatoris Japonicæ, nunc veròMedicinæ & Anatomiæ Professoris in Batavia Emporio IndiæOrientalis celeberrimo Excerpta ex observationibus suis Japonicis Physicis &c. de Fructice Thee. Cui accedit Fasciculus Rariorum Plantarum ab eodem D.D. ten Rhyne In Promontorio Bonæ Speï et Saldanhâ Sinu Anno MDCLXXIII. collectarum, atque demum ex Indiâ Anno MDCLXXVII. in Europam ad Jacobus Breynium, Gedanensem transmissarum". Der als Botaniker berühmte Danziger Kaufmann Jakob Breyn (1637~1697) hatte diese Materialien zum japanischen Tee sowie anderen seltenen Pflanzen des Kaps bzw. der Bucht von Sardanha von Rhijne erhalten und sie unverzüglich seinem Werk "Jacobi Breynii Gedanensis Exoticarum aliarumque Minus Cognitarum Plantarum Centuria Prima" (Danzig 1678) einverleibt. Im Hinblick auf Japan ist hier vor allem die Beschreibung des Kampferbaumes ("Arbor Camphorifera Japonica") hervorzuheben, die Rhijne 1674 aus Japan übermittelt hatte.[28] Die ein Jahr darauf an Hieronymus Beverningk geschickte Abbildung einer Teepflanze gab Breyn seinem eigenen Kapitel "The Sinensium, sive Tsia Japonensibus" [29] bei.[30] 1683 erschien dann in London ein Buch, auf das ich genauer eingehen werde: "Wilhelmi ten
Rhyne M.D. &c. Transisalano-Daventriensis Dissertatio de Arthritide:Mantissa Schematica: De Acupunctura: Et Orationes Tres. I. De Chymiae ac
Botaniae antiquitate & dignitage: II. De Psysiognomia: III. De Monstris.
Singula ipsius Authoris notis illustrata. Londini MDCLXXX III".[31]
Dieses Werk enthält unter anderem die älteste westliche Beschreibung der chinesischen Heilkunst des 'Nadelstechens', für die ten Rhijne den Begriff "Acupunctura"wählte. Es liefert zugleich die früheste Schilderung der Moxibustion auf der Grundlage direkter Beobachtungen in Ostasien. 1686 gab der Schaffhausener Arzt Heinrich Screta [32] die Schrift "Schediasma de promontorio Bonae spei; ejusque tractus incolis Hottenttottis, accurante, brevusque notas addente Henr. Screta S. a Zavoriziz. Ampliss. Soc. Indiae Or. Medici & a consiliis Justitiae" heraus, in der Willem ten Rhijnes Beobachtungen am Kap der Guten Hoffnung während des kurzen Aufenthaltes von 1673 vorgestellt werden. Ihren Platz in der Medizingeschichte errangen schließlich auch die "Verhandelinge van de Asiatise Melaatsheid na een naaukeuriger ondersoek ten dienste van het gemeen" (Amsterdam 1687), eine Pionierarbeit auf dem Gebiet der Lepraforschung, welche die Erfahrungen seiner langen Tätigkeit in Batavia zusammenfaßt. Ten Rhijnes Aktivitäten in Japan[33]Rund drei Wochen nach der Abreise seines Vorgängers, am 12. November 1674, wurde ten Rhijne bereits in so sehr in Anspruch genommen, daß der Faktoreileiter Martin Caesar dies im Daghregister von Dejima vermerkte. Auf Anordnung des Gouverneurs (Bugyô) von Nagasaki, Ushigome Chûzaemon Shigenori, [34] erschienen Beamte und Ärzte des Gouvernats (Bugyôsho) mit einer Reihe von Fragen, die über die Dolmetscher zu beantworten waren. Für weitere 19 Fragen des Gouverneurs selbst sowie 190 seines Kollegen in Edo, Okano Magokurô, gestand man einen Monat Zeit zu.[35] Wahrscheinlich waren diese eher politischer Natur und an Caesar gerichtet, um einen Überblick über die Vorgänge im Ausland zu bekommen. Die Besucher hatten allerdings auch medizinische Werke bei sich und baten ten Rhijne um einige Auskünfte hierzu. Kurz darauf, am 17. November, brachte man eine neue Aufstellung, dieses Mal mit medizinischen Problemen, die ihm wenig bedeutsam und eher lästig schienen.[36] Durch einen glücklichen Zufall ist ein Abriß der ins Japanische übertragenen Antworten Rhijnes erhalten. Die Bibliothek der Kyôto-Universität hütet die Abschrift einer von Katsuragawa Hôchiku (1661~1747) [37] zusammengestellten Handschrift, Zenseishitsu-iwa, in der man neben vielen anderen Texten einen mit 165 medizinisch-phamazeutischen Problemstellungen findet.[38] Am Schluß heißt es, dies seien Fragen, welche der damit beauftragte Iwanaga Sôko [39] einem holländischen Arzt gestellt habe, samt den, durch die Dolmetscher ins Japanische übertragenen Antworten. Als Datum ist 1674 angegeben, also das Jahr, in dem ten Rhijne nach Japan kam.[40] Nachfolgend einige der Überschriften: [Nr.1]
Warum man nur den Puls der linken Hand
nimmt
[Nr.2]
Die Unterscheidung von Yin-Mustern und
Yang-Mustern bei Geschwulsten [41]
[Nr.3]Äußere Heilverfahren
[Nr.4]Pasten
[Nr.6]Medikamente für Yang-Muster
[Nr.7]Medikamente für Yin-Muster
[Nr.8]Innere Medikamente nach dem
Zusammenbruch
[Nr.9]Medikamente zur Stärkung von Herz
und Körper (Leib und Seele)
[Nr.10]Medikamente zur Stärkung von Milz und
Darm
[Nr.15]
Medikamente zur Förderung des Essens und Stärkung des Körpers
[Nr.21]Schmerzstillende Medikamente für
Metall-Schnittwunden
[Nr.26]Innere Medikamente
[Nr.27]Rezepte zum Schwitzen oder Abführen
[Nr.32]Gesundheitsstärkende Medikamente
[Nr.36]Medikamente zur Stärkung des Magens
[Nr.38]Verfahren zum Abführen
[Nr.52]Schweißtreibende Heilmittel
[Nr.71]Rezepte für Yang-Muster
[Nr.72]Rezepte für Yin-Muster
Begriffe wie Yin- oder Yang-Muster dürften, ungeachtet der Art ihrer Übertragung ins Niederländische, ten Rhijne erhebliche Verständnisschwierigkeiten bereitet haben. Die Antworten blieben, soweit man das aus der genannten Quelle erkennt, denn auch sehr anwendungsorientiert. Wie die meisten seiner Vorgänger und Nachfolger instruierte ten Rhijne medizinisch ambitionierte Dolmetscher, aber auch Ärzte - nicht nur in Nagasaki. Am 12. Februar brach der Faktoreileiter zur 'Hofreise' nach Edo auf, wo man dem Shôgun und anderen Würdenträgern die alljährlichen Aufwartungen zu machen hatte. Ten Rhijne durfte, wie es schon mehrere Jahrzehnte üblich war, als Arzt mit auf diese Reise, die bis zum 15. März dauerte. Nach der Ankunft nahm man Quartier im 'Nagasaki-Haus' (Nagasakiya). Drei Tage später ließ sich Nishi Genpo Kichibei, [42] einer der Leibärzte des Shôguns, melden. Einst Dolmetscher für Portugiesisch und Niederländisch auf Dejima, hatte er durch Faktoreiärzte und einheimische Mediziner eine Ausbildung erfahren und am 20. Februar 1668 von Arnold Dirckz ein ärztliches 'Diplom' erhalten, worauf er den Beruf wechselte und eine beachtliche Karriere machte. Er galt schließlich in Japan als einer der führenden Köpfe der 'Holländischen Medizin', die sich in Konkurrenz zur traditionellen chinesisch-japanischen Medizin allmählich entfaltete. Während des knapp vierwöchigen Aufenthaltes der Delegation in Edo suchte er ten Rhijne mehrere Male auf. Dieser wiederum wurde sogar zu hoch-gestellten Patienten gebeten, die er allerdings nicht in jedem Fall behandeln durfte.[44]
Am 10. April trat man die Rückreise an, die bis zum 15. Mai dauerte. Danach einige Zeit zum Ausruhen. Mit dem Sommer tauchten wieder die lang erwarteten Schiffe aus Batavia auf, die der widrigen Winde wegen Japan über ein halbes Jahr nicht anzulaufen pflegten. In jenem Herbst 1675 wurde der Faktoreileiter abgelöst, ten Rhijne blieb für einen weiteren Turnus. Sein Vorgesetzter war nun der Oberkaufmann Johannes Camphuijs. Während des Novembers verließen die letzten Schiffe Japan, und Dejima versank in einen gewissen Dämmerzustand, denn viel zu tun gab es nun nicht. Von einigem Interesse für uns ist lediglich der Besuch dreier japanischer Ärzte im Januar 1676, die in Begleitung des Dolmetschers Tominaga Ichirôbei[45] erschienen, um ten Rhijne das 'Anatomie Boek ofte Opera Spiegely'[46] zu zeigen und ihn dazu zu befragen. Zur Ausführung der offenbar geplanten japanischen Übersetzung kam man dann allerdings nicht.[47] Allmählich wurde es wieder Zeit für die Hofreise, deren Beginn die japanischen Behörden auf den 27. Februar 1676 festsetzten. Wieder erwies Nishi Genpo kurz nach der Ankunft in Edo am 14. April ten Rhijne die Ehre eines Besuches. Es folgten wie im Vorjahr Aufwartungen von Ärzten und Visiten bei hochgestellten Patienten. Nach der am 27. April endlich gewährten Audienz beim Shôgun Tokugawa Ieyasu wurde es Zeit für die Vorbereitungen zur Rückkehr nach Kyûshû. Doch noch am 5. Mai, einen Tag vor dem Aufbruch, bat einer der kaiserlichen Leibärzte ten Rhijne um dessen kollegialen Rat. In Nagasaki erging es ihm kaum besser. Bereits fünf Tage nach der Ankunft, d.h. am 12.Juni, erschien der Bugyô persönlich, um bestimmte Erkundigungen einzuziehen. Offenbar suchte er seine dahingegangene Jugend zurückzugewinnen. Denn kurz darauf, am 28. Juni, kam es zu einem zweiten Besuch, bei dem er Rhijne nach Mitteln ausfragte, um das Herz zu stärken und das Blut aufzufrischen. Das Tagebuch des Kontors vermerkt hierzu, dies sei nicht weniger lächerlich als die Fragen der Hofärzte in Edo nach Wegen, wie man Tote zum Leben erwecken könne. Die Behandlung, die ten Rhijne in Japan zuteil wurde, war gewiß nicht schlecht, doch hatte er die Strapazen der langen Reise in dem Bewußtsein auf sich genommen, daß man ihn an höchster Stelle erwarte. Dies stellte sich - nach hartnäckigen Hinweisen und mehrmaligem Nachfragen des Faktoreileiters - als grandioses Mißverständnis heraus. Zwar waren in der Tat einige Würdenträger in Edo, allen voran der Reichsrat Inaba Mino no kami,[48] sehr an einem qualifizierten holländischen Arzt interessiert, doch hatten entweder die Dolmetscher oder aber die Niederländer die Dringlichkeit wie auch die Urheber dieser 'Anregungen' falsch interpretiert. Inzwischen wußte man nun in Edo und Nagasaki, daß dies kein gewöhnlicher Barbier-Chirurg, sondern ein hochgebildeter, in den Niederlanden eigens für Japan ausgewählter Mediziner war, und die einheimischen Ärzte nutzten die kostbare Gelegenheit nach Kräften. Doch 'protokollarisch' ließ sich die Angelegenheit für ten Rhijne nicht mehr zufriedenstellend lösen, denn jedes Eingehen auf die Erwartungen der Compagnie hätte einen Gesichtsverlust der japanischen Seite impliziert. Diese achtete sehr darauf, die Kontrolle über die Umstände des Handels und der Beziehungen zueinander nicht aus der Hand zu geben. Den Kaufleuten der VOC gewährte man ohnehin schon mehr Aufmerksamkeit als einheimischen Kaufleuten, die in der sozialen Hierarchie Japans eine miserable Stellung hatten. So teilten die japanischen Behörden schließlich nur mit, daß der japanische Verantwortliche für dieses Mißverständnis bestraft würde, und damit dürfte ten Rhijne der Entschluß zur Abreise leicht gefallen sein. Mit dem Ende des Stationierungsturnus 1675/76 verließen er und Camphuijs das Inselarchipel. Zur 'Dissertatio de Arthritide'Im Unterschied zu seinen Vorgängern auf der Insel Dejima war ten Rhijne ungeachtet aller Enttäuschungen ernsthaft an der japanischen Medizin interessiert, zunächst einmal an der Moxibustion, auf die ihn der Batavische Prediger Buschof aufmerksam gemacht hatte. Dann aber geriet auch das Stechen mit der Nadel in sein Blickfeld. Die diesbezüglichen Beschreibungen machten sein 1683 in London gedrucktes, w.o. erwähntes Buch sehr berühmt. Der etwas verwirrende Titel löste bis in dieses Jahrhundert diverse Mißverständnisse aus. Genaugenommen handelt es sich um eine Sammlung von sechs Arbeiten: 1. Dissertatio de Arthritide[S. 86]
2. Mantissa Schematica
3. De Acupunctura
4. De Chymiæ ac Botaniæ antiquitate
& dignitate
5. De Psysiognomia
6. De Monstris
Diesen sind noch diverse Briefe und andere kürzere Texte vorangestellt, die sich vorwiegend auf die Dissertatio de Arthritide bzw. Herman Buschofs Buch beziehen. So wird in der auf den 30.1.1679 datierten "Epistolæ Dedicatoria" Buschof über mehrere Seiten hinweg reichliches Lob zuteil.[49] Apart ist das darauf folgende, lange Gedicht "Podagra Spreeckt"aus dem Besitz der tugendreichen Witwe Buschofs, das die Gichtschmerzen des Batavischen Predigers lebhaft nachfühlen läßt.[50] Als Vorbild diente wohl das "Gesprächsbuechlein her Vlrichs v. Hutten das erst Feber". In wohlgereimten Versen stellt Buschof die Podagra als 'Prinzessin aller Qualen' vor. Jeden zwänge sie in die Knie, und die Ärzte, wie berühmt sie auch sein mögen, 'stecke sie zusammen in ihren Sack'. Doch der geplagte Mensch ist nicht von Gott verlassen. Der Autor tritt auf 'mit dem Kraut in seiner Hand', welches so unvergleichlich sei und 'beim Anstecken die Pein in einem Rauch verschwinden läßt'. Das lange Gedicht steigert sich zu einem hymnischen Ende. Ungeachtet aller Dienstschuldigkeit war ten Rhijne jedoch ein kritischer Leser, wie wir in den sich anschließenden zwölf Seiten mit "Objectiones extemporaneæ" zu Buschofs Buch erkennen.[51] Es folgt ein Auszug aus einem Brief, 'geschrieben an den ehrwürdigen Herrn Herman Buschof, Diener des Göttlichen Wortes zu Batavia' vom 19. Oktober 1674 aus Nagasaki.[52] Das kurz nach Rhijnes Ankunft in Japan verfaßte Schreiben zeigt, daß ihm der Zugang zu Informationen nicht leicht gemacht wurde: Ich habe bis jetzt allen Fleiß angewandt,
um von den Japanern zu erfahren, was sie davon wüßten, aber die
Beziehung, die sie wegen der Edlen Compagnie Handel haben, haben sie insofern
unwillig gemacht, daß sie von selbst schwerlich durch harte Erpressungen
oder freundliche Angebote von Vergütung, sehr wenig von ihren
Wissenschaften oder Kunsten mitteilen. Ich will zu gelegener Zeit mein Bestes tun, um
was möglich ist, zu untersuchen und nicht nachlassen, Ihnen alles zu
offenbaren, auch gleichzeitig, auf Ihr Begehren, Sie unterrichten, was für
einen Vorteil diese Einbrennung dem Gichtigen einbringt. Doch darin sind sie
kundig genug und gebrauchen die Einbrennung beinahe als allgemeines Hilfsmittel
in ihren meisten Krankheiten und in allen äußerlichen Gebrechen,
weshalb man sie über ihren ganzen ganzen Körper allenthalben gebrandt
sieht. Die geschorenen Köpfe [53] sind vielen Katarrhen unterworfen, welcher Verursacher (die Winde und
Dämpfe) das Feuer durch die edle Moxa austreibt.
Dann erlebte Rhijne etwas, daß ihn, falls er noch Zweifel gehabt haben sollte, von der Heilkraft der Moxa überzeugte: Einer der Oberdolmetscher[54] der Edlen Compagnie kam mich, kurz bevor das Fluitschiff Saxenburg
hier anlandete, hinkend besuchen, und sagte, daß er das
Fußübel hätte, so daß er die Treppen nur schwerlich auf
und ab konnte und genötigt war, mit einem Stock zu gehen. Des andern Tags
kam er wieder, unbehindert in seinem Gang. Welche Ursache und schnelle
Veränderung ich untersuchte und sein Knie an mehr denn zwanzig Stellen
gebrannt und bepflastert fand. Darauf wurde ich je länger je mehr in den
wundersamen Wirkungen dieses heilsamen Heilmittels bestärkt.
Schon zu diesem Zeitpunkt faßte ten Rhijne den Entschluß zu einer eigenen Arbeit über die Gicht. Natürlich würde er dabei nicht umhinkommen, Buschof an einigen Stellen zu korrigieren: So Gott Kraft und Gelegenheit gibt, will ich mich
befleißigen, Ihr Büchlein auf einen geneskundigen Leisten[55] zu bringen, nicht weil es ihm an Fasson gebricht, sondern dasselbe
nach den weisen Austüftelungen [56] der Modernen [57] etwas einzurichten, da mich die Alten von größerem Gewicht
zu sein dünken.
Es folgen weitere sechs Seiten mit kritischen "Postscripta", abgeschlossen am '10. Febr. 1677 auf der Insel Dejima in der Stadt Nagasaki.'[58] Hier konzentriert sich ten Rhijne auf den zweiten Teil der Buschofschen Schrift, d.h. die Eigenschaften und Anwendung der Moxa.
Schließlich beginnt er mit der ersten großen Abhandlung, der Dissertatio de Arthritide, die als unmittelbare Resonanz auf Buschofs Buch "Het Podagra" zu verstehen ist. In ihrer Konzeption der Gicht lagen beide erstaunlich dicht beieinander. Der medizinische Laie Buschof sprach von der Gicht als einer 'gegennatürlichen, innerlichen, tief steckenden kleinen Geschwulst in den Knochenhäutchen', die 'von einem trockenen, kalten, unartigen und übel gestalten Dampf' herrühre, 'aus den Schlagadern durch die austreibende Kraft des Herzens zwischen den Knochen und das Beinhäutlein getrieben' werde, 'meist aber in die Gliedmaßen um die Gelenke, wo besagter Dampf eingepackt und verschlossen' sei, 'die überaus empfindlichen Häutchen ausdehnt und spannt und so große Schmerzen verursacht und neben anderen zufälligen Leiden die Beweglichkeit des betreffenden Gliedes' verderbe.[60] An anderer Stelle führt er 'Winde' bzw. eine 'fuligineuse Materie', [61] einen 'rauchenden subtilen Dampf oder ein geisthaftiges Wesen' an.[62] Dieser Dampf sei trocken, kalt und mit böser Fäulnis vermischt. Der Mediziner ten Rhijne nennt nun einen trockenen, kalten und bösartigen Wind, den die Arterien zum Ort des Leiden trieben, wo er die Knochenhaut (Periost) abtrenne und so heftige Schmerzen verursache. Aber auch Kopf- wie Zahnschmerzen, Pleurisie, Koliken, Epilepsie etc. hätten in diesem Wind ihre Ursache. Hierbei beruft er sich auf die hippokratische Schrift über die Winde ("De Flatus"), reiht sich mithin in die Tradition der Pneumatiker ein, was angesichts seiner Inauguraldissertation kaum überrascht. Zugleich weist er auf das Brennen mit der Moxa hin, wodurch der eingeschlossene Wind herausgelassen werde. Die Royal Society of London For The Promotion Of Natural Knowledge, [63] auch um die Pflege der englischen Sprache bemüht, gab in ihren Philosophical Transactions eine längere Zusammenfassung des Inhalts,[64] unter anderem auch drei Seiten mit den wichtigsten Angaben zur Natur, Herstellung, Behandlungstechnik und zu den Anwendungsmöglichkeiten der Moxa. Ein Leser in Fernost allerdings war besonders hinsichtlich der Ausführungen zur Moxa ziemlich ungehalten. In einem Brief an den Frankfurter Arzt Sebastian Scheffer empörte sich Andreas Cleyer,[65] Lizentiat der Medizin und Oberkaufmann der VOC: Daß aber ein gewisser Medicus allhier[66] in Ost=Indien von diesem Cauterio[67] auch etwas in Druck gegeben / und dasjenige / was er nur aus meinen an
ihn geschriebenen Brieffen genommen / vor seine auff der Jappanischen Reise
gefaßte Observationes halten will / thut mich nicht wenig verdriessen /
zumahlen viele von ihm erdichtete Sachen darinnen / welche eben so wahr sind
als die Observationes Botanicæ, welche D. Jacobi Breynii Cent. I. Exot.
angehänget worden. Was solte man wohl vor Observationes auff der
Japponischen Reise machen können / wo alle wie Gefangene tractiret werden
/ und nicht aus dem Hause gehen dörffen? Daß er sich aber des
grossen Käysers allda Archiatrum nennet / ist wohl Lachens werth / indem
er denselben niemahlen mit Augen gesehen / ja wider die Gesetze solches Reiches
lauffet / sich eines Christens Artzneyen zu bedienen.[68]
Cleyer leitete von 1682~83 sowie von 1685~86 die Faktorei in Nagasaki, und das ohne Datumsangaben von Michael Valentini abgedruckte Schreiben dürfte zwischen 1684 und 86 verfaßt worden sein. Die harten Vorwürfe lassen sich jedoch schnell entkräften. Zum einen erfreute sich ein Faktoreiarzt in Nagasaki wie auch in Edo stets größerer Spielräume als das kaufmännische Personal, da er oft zu Patienten gerufen, von japanischen Kollegen um Rat gebeten und durch viele, am medizinischen Austausch interessierte Personen mit Informationen versorgt wurde. Überdies bieten die Cleyerschen Ausführungen zur Moxa, soweit sie publiziert sind, [69] nur einen Bruchteil dessen, was Rhijne zu berichten weiß. Und dessen botanische Beobachtungen erwiesen sich schließlich auch im Urteil späterer Autoren als durchaus solide. Ten Rhijne revanchierte sich in seinem Buch über die Lepra mit einer Randbemerkung zu 'einem gewissen' Kollegen, der zum gleichen Thema nur wenige Zeilen mit schlechten Bildern publiziert habe. Zwar zielte sie ebenso wie Buschofs Schrift primär auf die Behandlung der Gicht, doch bot die "Dissertatio de Arthritide" zum Zeitpunkt ihres Erscheinens die bei weitem detailliertesten Auskünfte über das Brennen mit der Moxa in Japan. Auch Engelbert Kaempfers oft gelobte Abhandlung "Von der Moxa, dem vortreflichsten Brenmittel, das bei den Sinesern und Japanern sehr häufig gebraucht wird"[70] zehrte beträchtlich von ten Rhijnes Vorarbeit. Steven Blankaarts BearbeitungEs blieb dem Amsterdamer Arzt Steven Blankaart vorbehalten, eine Übersetzung in die Gemeinsprache herzustellen.[71] Diese fügte er seiner "Verhandeling van het Podagra en Vliegende Jicht" (Amsterdam 1684) bei, und auf diesem Wege erlebte ten Rhijnes Text eine beachtliche Popularisierung. Das in mehreren Auflagen gedruckte und 1692 auch ins Deutsche übertragene Buch[72] enthielt am Schluß zusammengefaßte Auszüge aus der Rhijneschen "Dissertatio de Arthritide" sowie seiner Akupunkturabhandlung unter dem Titel "Der Chinesen und Japaner Manier, wie selbige alle Kranckheiten durch das Moxa-Brennen und Guldene Nadel=Stechen vollkommen curiren".[73] G. Lu und J. Needham, die ohnehin die Bedeutung der "Dissertatio de Arthritide" im Hinblick auf die Tradierung der Moxibustion nach Europa übersehen hatten, meinten, es handele sich hierbei um einen 'nicht veröffentlichten Brief oder ein Memorandum ten Rhijnes'.[74] Doch in der vorangestellten "Zueignungs=Schrift" dieser "Accuraten Abhandlung von dem Podagra und der Lauffenden Gicht" lesen wir: [75] Weil mir aber eben zu dieser Zeit des
vortrefflichen und Grund=gelehrten Herrn Wilhelm ten Rhyne, Med. Doctoris,
&c. auf Batavia in Ost=Indien / curieuser Tractat, so er von der Art und
Weise / wie die Chinesen und Japaner alle Kranckheiten vermittelst des
Moxa-Brennen und guldenen Nadel=Stechen glücklich curiren / ordentlich
beschrieben / ungefähr zu handen kommen / so habe ich solchen / zumahlen
darinnen viel neue und ungemeine Curen entdecket werden / gleich einer
sonderbaren Rarität diesem Werck anhängen wollen.
Ein Vergleich beider Texte zeigt denn auch schnell, welche Abschnitte des lateinischen Originals Blankaart ausgewählt und übersetzt hatte. Da die Blankaartsche Version in den Niederlanden wie auch im deutschen Sprachkreis rezeptionsgeschichtlich sehr wichtig wurde, gebe ich nachfolgend zunächst den deutschen Text von 1692 wieder.[76] [S.320] Der Chinesen und Japaner Manier / wie selbige alle Kranckheiten durch das Moxa-Brennen und Guldene Nadel=Stechen vollkommen curiren.I.Die Moxa ist bey denen Chinesen und Japanern nicht alleine im Gebrauch / sondern auch das Stechen mit einer Nadel / als welches sie auff denen Stellen / so mit einigen Windigkeiten[77] angefüllet / gewöhnlich vornehmen / inmassen solch Zustand bey diesen Nationen sehr gemein ist. Ich dörffte also schier daher schliessen / daß die Ursach des [S.321] Zipperleins oder Podagra ebenfalls in einer windigen Geschwulst bestehe. Die Chinesen sagen / daßdrey Dinge sind / so unsern Leib regiren und im Leben erhalten / nemlich die angebohrne Wärme [78] / dann die natürliche Feuchtigkeit[79] / und endlich der Geist.[80] Nach Unterschied der Nationen ist auch das Brennen verschieden: Man findet aber in Japan sehr viel Leute / welche vom Haupt biß auff die Fußsohlen mit solchen Brandmählern bezeichnet sind. In Japan ist keine Pest / aber wohl die Kinder-Pocken oder Blattern / von welchen sie am meisten angefochten werden / zumahlen man daher sehr viel blinde bey ihnen findet / gleichwohl hat sie die gütige Natur mit dem grossen Schöl-Kraut [81] in grosser Menge versehen / dessen herrliche Tugenden ihnen doch gäntzlich unbekant sind; Inmassen sie dann auch von denen Brenn=Mitteln / so aus denen Metallen zubereitet / ebenfalls nicht das geringste wissen. Ihre Chirurgische Curen geschehen mehrentheils vermittelst des Nadel=Stechens / und Moxa=Brennen / dann in diesen beyden bestehet beynahe ihre gantze Kunst. Sie haben ein allgemeines Menstruum, [82] so Wasser ist / und welches sie entweder aus Kräutern / Thieren oder Mineralien machen: Es ist keine so gefährliche Kranckheit / die nicht durch Unerfahrenheit ihrer Aertzte verursacht / oder doch wenigstens wäre verändert wurden / so daß die meiste / und zwar nicht allein die Arme / als welche ohne alle Hülffe sind / sondern auch die reichste [S.322] elend dahin sterben müssen. Ihre eintzige Zuflucht ist die Artemisia oder Beyfuß=Kraut / so daselbst in gröstem Uberfluß wächset / und ist niemand / der sich nicht desselbigen bedienen sollte. Sonsten sind sie in Erkäntnüß der Kräuter und deren Gebrauch gar wenig erfahren: Die Japaner nennen den Beyfuß insgemein Jomongi oder Nophouts,[83] wann er aber gedörret ist / Moxa.[84] Es ist aber nicht leichtlich einer von dieser Nation zu finden / der nicht mit Moxa gebrandt wäre / und zwar jederzeit in der Cur der windigen Geschwellung: allermassen es bey ihnen so dann das allergewöhnlichste Artzney=Mittel ist. II.Die Weise nun die Moxa zu bereiten / ist sehr schlecht: [85] Dann sie nehmen nur die dünnste Blätgen und Aestgen von dem Beyfuß / so breite Blätter hat / (dann der schmalblätterige ist bey ihnen nicht zu finden) diese sammlen sie / und trucknen sie so dann in dem Schatten / und dermassen werden solche wie allbereit erwähnet / Moxa genennet. Wann sie nun dürre sind / so zerreiben sie solche mit beyden Händen / und werffen die grobe Stiel und Fußergen davon hinweg / bewahren aber die Wolligkeit davon alleine zu dem Gebrauch. III.Sie machen nemlich mit dem Daumen und vordersten Fingern kleine Stückgen in der Grösse einer kleinen Erbsen oder etwas darüber / welche oben spitzig und unten breit sind: Oder [S.323] sie legen diese Moxa in Papier / und rollen es mit der flachen Hand / damit selbige gleich werden möchte / zusammen / alsdann schneiden sie es mit einem Messer in viel Stücken / so etwan ein baar Schreib=Griefel dicke sind: Solche Stücke legen sie also auff den Schmertzenden Ort / jedoch machen sie selbigen zuvorab mit ein wenig Speichel naß / dann zünden sie solchem mit einem Kertzen=Licht oder einer andern Art Feuer an / so daß immer ein Brand=Stücke von der Moxa das andere ferner anfeuert / von welchem Brennen der Schmertzen gäntzlich gestillet wird. Sie legen aber / um ihre eigene Manier zu melden / diese Stückgen von der Moxa mit der flachen Hand / oder mit den äussersten Finger=Theilen auff das beleidigte Glied / [86] zuvorab fühlen sie iedoch nach der Puls=Ader: Im übrigen muß der Patient nach des Artzts Verlangen seinen Leib in einer gewissen Positur unverrückt halten.[87] IV.Solche Brenn=Stückgen oder die Moxa tragen die Chinesen in Form eines Feuer=Zeugs jeder zeitbey sich / in dem obern Theil davon sind einige Feuer-Höltzgen[88] / welche die Reiche Chinesen (jedoch die Japaner nicht so sehr) wohlrüchend machen / und zwar mehr um des guten Geruchs / als der Cur halber. V.Die angezündete Brenn=Stückgen brennen nicht völlig ab / sondern es bleibet annoch ein [S.324] dünnes Stückgen davon über / und die Haut wird nur davon ein wenig grau / ungeacht sie mehr als auff einer Stelle brennen / das davon zurückgebliebene Mahl aber heilen sie endlich nach der Kunst völlig auß: Es thut anbey nicht sonderlich wehe / dann es brennet gantz sachte und beschädiget die Haut gar wenig. An denen zarten und dünnen Orten wiederholet man es gemeiniglich biß zum vierdten mahl / aber auff denen Gliedern / welche es besser vertragen können / oder wann die Winde tieffer liegen / gleich als in dem Hüfftwehe (da sie grosse Stücke dicht bey einander anzünden) brennen sie wohl zu zwantzig / dreißig / ja zu funfzig und mehrmahlen / nemlich biß aller ungesunde und böse Dampf völlig ausgeflogen. VI.Durch solches Brennen werden sie auch an ihren Kräfften stärcker / ja sie lassen sich wohl zu Zeiten / da sie annoch gantz gesund seyn / brennen / damit sie nemlich allen ins künfftige zu besorgenden Kranckheiten dadurch vorkommen möchten. Magere Leute dörffen nicht so sehr / als wohl die starck von Gliedern und fleischig sind / gebrandt werden. Nachdeme das Brennen gedachter massen verrichtet / sondern sie den daher verursachten Grind ab / und legen zerquetschten Knoblauch / zu oberst aber die Häutgen von solchem Knoblauch darauf / welches also an statt eines Pflasters dienet; dergestalt pflegt gemeiniglich ein dünnes und durchscheinendes Häutgen [89] / selten aber ein [S.325] rundes Blätterlein hervorzukommen;Solches Häutgen eröffnen sie mit einem kleinen Zängchen / damit die böse Materie einen freyen Ausgang haben möge.[90] VII.Vor allen andern gewaltsamen Mitteln enthalten sie sich gäntzlich; Wiewohlen die so genannte Hottentotten an den Vorgebürg guter Hoffnung in Affrica[91] / da sie an einigem äusserlichen Glied Schmertzen empfinden / nichts als nur gelinde Medicamenten darwider gebrauchen / (sonderlich weilen sie keine andere Mittel als nur das Unschlicht[92] von Schafen / Ochsen und Kühen haben:) mit ihren spitzigen Pfeilen aber unterstehen sie sich allen innerlichen Schmertzen zu vertreiben;Dann nachdeme sie den beleidigten Theil starck damit zerstochert / so bemühen sie sich alsdann mit dem Mund die Ursach solches Ubels völlig auszusäugen / und ist bey ihnen der beste Wund=Artzt / wer am stärcksten säugen kan. VIII.Den von dem Moxa-Brennen entstandenen Grind kan man gar leicht mit einem Blat vom Wegerich / (als welches die Bauren in Japan gemeiniglich in ihren Geschwähren und Wunden gebrauchen /) rothen Rüben / Kohl / Syri[93] und dergleichen völlig ausheilen / nemlich man läßt solche Blätter über dem Feuer wohl trucken werden / da man sie mit Händen / um solche in etwas lind zu machen / reibet / und dann mit ihrer [S.326] aderigen Seite / daselbe annoch warm und feucht sind / auff das Glied leget. Wann aber dermassen das gebrannte wohlgereiniget ist / so legen sie vorerwähnte Blätter auff ihrer glatten Seiten über / und lassen es also gäntzlich ausheilen; Dieses wiederhohlen sie alle 24. Stunden / und bedienen sich auch wohl der rothen und Kohl=Rüben / Huf=Lattig / Epheu und dergleichen darzu / als welche Kräuter bey ihnen in grossem Uberfluß wachsen. IX.In denen Fiebern darff man das Moxa-Brennen nicht vornehmen [94] / dann anderes verärgert sich solches samt seinen Zufällen.[95] X.Sie verbieten gleichfalls dieses Brennen / so man den Schnuppen hat / dann sonsten verärgert sich solcher in ein gefährliches Fieber. XI.Schwangere Weibs=Personen brennen sie auch nicht / es sey dann / daß solche allbereit über die hundert Tage ihre Frucht tragen.[96] Jedoch hab ich wohl gesehen / daß solche so bald sie geboren / gleichwohl gebrandt worden.[97]
XII.Gleich nach verrichtetem Brennen machen sie ihre Finger oder ein Tüchlein in ein wenig gesaltzenem Wasser naß / und rühren also den gebrandten Theil an: Allein solches Wasser mußnicht allzuviel gesaltzen / noch / wie auch ihre Finger zu kalt seyn. Obwohlen sie nun dieses nicht [S.327] allezeit vornehmen / so pflegen sie es doch insgemein / um die eyterige Materie desto eher zum Fluß zu bringen / zu verrichten. XIII.Die jenigen / so sich / um die Moxa vorerwähnter massen zubereiten / keine Zeit nehmen wollen / die drehen oder Rollen die gedörrte oder truckene Beyfuß-Blätter etwan eines Fingers lang zusammen / ausgenommen daß solche Rolle nicht so dick ist. Mit diesem langen Brenn-Stück rühren sie den schmertzenden Theil / so sie brennen wollen / etwan 8. oder 10. mahl gelinde an / iedoch das letzte mahl drücken sie etwas steiffer darauff. [99] Diese / wie auch die vorige Operation nennen sie Sinkii,[100] welchen Nahmen sammt dem Gebrauch die Japaner von denen Chinesen bekommen haben. XIV.Damit aber solches Brennen nach den Regeln der Kunst geschehen möge / so haben die Chinesen und Japaner gewisse geschnitzte Bilder / an welchen alle Stellen / so gebrandt können werden / bezeichnet sind.[101] XV.Solches Brennen nehmen sie gemeiniglich des Jahres ein= zwei= oder mehrmahlens vor / als welcher gestalt sie vielerhand Kranckheiten vorzukommen trachten.[102] XVI.Die Japanische Aertzte haben annoch in sehr schweren und langwürigen Seuchen / als [S.328] Schwindsucht und dergleichen Kranckheiten / eine gantz sonderbare und Geheime Weise zu brennen / welche sie wegen ihrer Vortreffigkeit die Brennung der vier Stellen heissen:Solche wird eben so wohl mit der Moxa und zwar auff denen Lenden nechst bey dem heiligen Bein [103] verrichtet; Allwo sie nemlich an beyden Seiten des Rückgraths zwey Brenn-Stücken / und dann ein von dar wiederum ein anderes paar davon anzünden. Hierdurch sollen sich ihrem Sagen nach die Kräfften vermehren / und die Geburts-Glieder gleichsam verjüngern: Daher ist es / daß die Geile Personen von diesen beyden Nationen gemeiniglich an diesen Stellen einige Brandmähler haben.[104] XVII.Sie sind grosse Feinde des Aderlaßens / dann sie sagen / daß man so viel von dem Leben verliere / als man Blut ablasse / auch daß das gesunde Geblüt so dann eben so wohl als das ungesunde auslauffe. XVIII.In einem Empyemate oder inwendigen Brust-Vereyterung [105] wird von ihnen das Indianische Feigen=Blat[106] gebraucht / so sie zuvorab überzwerchs zerkerben / und ein wenig in einer Pfanne über dem Feuer schwelck werden lassen / alsdann zerreiben sie es in den Händen / und legen es auf die Brust / wovon dann solcher Zustand aus dem Grund geheilet wird. Ich hab gesehn / daß das Eyter durch das Fleisch durchgebrochen / und [S.329] zwar in einer solchen Menge / so daß nur von einem einigen mahl ein gantzer Wasser=Topff hätten können angefüllet werden / dann diese Feigen-Blätter ziehen mit einer solchen Krafft / als ob sie das gantze Eingeweid aus dem Leib reissen wolten. Bey Ermanglung der monatlichen Reinigung[107] gebrauchen sie gleichfalls solche Blätter / und zwar auff die eigentlichste vorige Weise zubereitet / als welcher gestalt es alle ungesunde Feuchtigkeit hinunterwärts ziehet / und so man es nicht wieder bey Zeiten hinweg nehme / würden die Patienten in grosse Gefahr kommen / inmassen wegen des starcken Ausziehens aller Feuchtigkeit nothwendig der Tod folgen müste. XIX.Ob zwar das gemeine Volck solches Brennen selbst ins Werck stellet / so gibt es doch gleichwol eigene Meister / so nicht allein von dem Moxa=Brennen / sondern auch dem Stecken mit der Nadel ihre Profession machen: Diese werden bey ihren Farawyts Tenηas @[108] genennet / und ihre Wohnung oder Werckstatt kan man an denen Bildern / auff welchen / alle die Stellen / so da gebrant müssen werden / verzeichnet stehen / leichtlich erkennen; Eben gleichwie man bey uns die Barbier=Stuben an den ausgehangenen Becken vor andern Wohnungen wohl zu unterscheiden weiß. Es ist aber sehr viel daran gelegen / an was vor einer Stelle man brenne / so daß es zu einer sonderbaren Kunst worden. [S.330] XX.In einer Gonorrhæa oder Saamen=Fluß / und da die Saamens=Gefässe sehr geschwächet sind / brennet man auff denen Lenden und dem heiligen Bein:[109] Aber was noch mehr zu verwundern / so ist auff dem Unter=Bauch eine gewisse Stelle / und zwar nicht ferne von dem Nabel / so man selbige gedachter massen brennet / werden die Manns=Personen unfruchtbar davon / und ist ihnen hernachmals nimmer zu helffen.[110] XXI.Eine gewisse Frau hatte von Jugend auff an ihrem Nacken ein knorrichtes Gewächs gehabt / welches die Japanische Aertzte nicht heilen konten / sie ließ es demnach ein altes Weib besehen / die / so bald mitten auff der Fuß=Solen die Moxa brennte / wovon solches knorrichte Gewächs zur Stund vergienge: Man siehet also / daß sehr viel an Auslesung der Brandt=Stellen muß gelegen seyn. Dergleichen Exempel aber geschehen allda in grosser Anzahl. XXII.Auff dem Ruckgrad zubrennen ist gefährlich / daher sie es dann wohl gäntzlich unterlassen / oder doch gar selten vornehmen; Ingleichen brennen sie auch die inwendige Seiten der Füsse / als auch den obersten Theil von denen Armen / allwo nemlich die Senn= und Spann=Adern / auch übrige Bänder mit wenig Fleisch bedecket sind / gar selten; Hingegen aber den andern Theil von Händen und Füssen desto öffter. Wann nun [S.331] einer vermeynen möchte / als ob nicht so viel an der Brand=Stelle gelegen wäre / der lasse sich nur einmahl auff vorerwähnter Stelle des Bauchs drey Finger breit / oder einen Finger lang unter den Nabel / und zwar gerad gegen solchen über auff der weissen Linie brennen / so muß er gewiß unfruchtbar werden. Hieraus erhellet ja deutlich / daß denen Patienten durch das Brennen / so auff einer unrechten Stelle geschiehet / grosser Schade kan zu gezogen werden. Die Japaner brennen derowegen weder auff dem Unter= noch Ober=Bauch / daß ist / weder ober noch unter dem Nabel in einer geraden Linie / sondern jederzeit ein wenig seitwärts; Das Brennen / so ein wenig oberhalb des Nabels geschiehet / bringet allen verlohrnen Appetit wieder. [111] Ebenermassen da man auff dem Knien brennet / vertreibet es den Zahn=Schmertzen.[112] XXIII.In einer Wasser= (Ascites)[113] und Windsucht (Tympanites) [114] - als auch in einem Schambruch (Scrotocele) so da zu Land gar ein gemeines Ubel ist / brennen sie den Pall=Sack /[115] und die grosse Zähen von dem einen Fuß oben auff dem Knöchel oder Gelenck [116] / das sehr empfindlich ist; Gemeiniglich aber brennen sie so dann zwischen der grossen und nächstfolgenden Zähen.[117] So man auff denen Schulter=Blättern brennet / so nimmt es die Ursach hinweg / welche die Essens=Lust verderbet.[118] Ja selbst in der Colic oder Bauch=Grimmen / als die in gantz Asien sehr [S.332] gemein ist / nehmen sie gleichfalls das Moxa=Brennen vor. Die Portugesen / wann sie grossen Schmertzen von solcher Quaal erleiden / stehen wohl gar mit blossen Füssen auff ein glüendes Eisen / und zwar so lange / biß es zischet / so daß sie vor großen Brand=Schmertzen nicht mehr bleiben können / aber hernach empfinden sie so bald an ihrem Bauch=Grimmen eine grosse Erleichterung. XXIV.Wer da etwa zweiffelt / daß in dergleichen Zustand einige Winde in dem Leib verschlossen wären / der muß solches auff der Bengaler Experiment nothwendig glauben. Dann diese pflegen in dem grausamsten Bauch=Grimmen den Bauch sehr starck zu zerreiben und zu drucken / so daß die Winde mit einem grossen Geräusch durch den Nabel recht / daß man es eigentlich hören kan / heraus bringen: So aber dieses nicht angehet / so nehmen sie einen grossen Topff voll Wasser / den sie Cojang nennen / und setzen solchen auf den Nabel / da er dann durch Gewalt der verschlossenen Winde starck beweget wird / so daß er / wie man deutlich siehet / hin und wieder wancket / und also von seinem eingefüllten Wasser etwas abfliessen lässet. XXV.In eben dieser Qvaal (damit wir annoch dieses eintzige melden) gebrauchen unsere Solldaten auff Ceylon die Holtz=Aschen / so auff dem Heerd liegen bleibt / welche sie mit Wasser [S.333] mengen und also austrincken / davon ihnen auch gar bald besser wird.[119] [S.101 ] XXVI.In Indien pflegen auch ihrer viele in einer Cholera oder Magen=Brech=Sucht sich auff den Füssen brennen zu lassen / welches ihnen dann gute Hülffe schaffet. XXVII.Die Singalesen, eine Nation in Indien / haben eine artliche Cur / dann wann sie etwan auf der Jagt ungefähr von einem gifftigen Thier gebissen worden / und sie sich also daher des Todes besorgen / so schneiden sie da der Schaden unterhalb des Nabels ist / eine breite Wunde in die Fuß-Sohlen; Wann sie aber verspüren / daß der Gifft oberhalb des Nabels / so schneiden sie nicht allein dermassen in die Fuß-Sohlen / sondern auch selbst auff dem Würbel[120] des Haupts / und dann nimmt ein anderer etwas Citronen-Safft in den Mund / und säuget an beyden Wunden / so wird dem Patienten dadurch völlig geholffen. XXVIII.Die Japaner nehmen auch die grünen Blätter von dem Beyfuß / iedoch ohne die Stiele / legen solche in warm Wasser / rühren sie wohl darinnen herum / und waschen sie sauber aus / so daß alle Unreinigkeit und Bittrigkeit davon komme / das Wasser giessen sie alsdann hinweg. Die abgekochte und gereinigte Blätter aber pressen sie aus / und zerstossen so dann / was übrig bleibt / in einem höltzernen Mörser / wann [S.334] solches zerstossen / thun sie halb so viel Reiß mit ein wenig Zucker darzu / so daß sie einen Teig daraus machen / und solchen zu Kuchen formiren [121] / diese gebrauchen die Weiber vor ein Artzeney=Mittel wider die Mutter=Auffsteigunge Unrichtigkeit ihrer monatlichen Zeit[122] / und andere dergleichen Weiber=Kranckheiten. XXIX.Ich selbsten hatte ein schweres=Hertz=Klopffen mit einem Fieber bekommen / welches ein gantzes Viertel Jahr bey mir anhielte / jedoch immer eine Zeit stärcker als die andere war; Weilen ich nun solches vor Winte [123] hielte / und sonsten erbärmlich davon abgemattet wurde / liesse ich mich auff die Japanische Manier mit der Moxa brennen / und also auff beyden Seiten des Nabels [124] / und zwar auff jeder Stelle 3. grosse Brandstücke setzen / und dann an beyden Seiten der Lenden auf 2. Orten dergleichen vornehmen / wornach ich so bald kräfftige Linderung empfunden. Des andern Tags machte ich die davon entstandene kleine Geschwärgen mit ein wenig Saltz-Wasser naß / da dann ein Uberfluß von eyteriger Materie heraus gienge / und also wohl in die 20. Tage fort währete / biß ich es letztlich mit dem Stiptico Paracelsi[125] gar zugeheilet. XXX.Die Chinesen / ungeacht sie in der Anatomie schlecht erfahren / sind iedennoch schon von einig hundert Jahren her den Umlauff des Geblüts genau zu untersuchen weit mehr als die Europäer beschäfftiget gewesen. Zu [S.335] solcher Kunst=Ubung lassen sie nicht einen iedwederen zu. Sie legen die Sache durch einige dunckele Gleichnüsse / nemlich auff mechanische Weise auß: Dann sie erklären ihren Lehr=Schülern die Bewegung des Geblüts vermittelst einiger Wasser=Wercke / (Machinae Hydrostaticae) oder durch einige andere dergleichen gestaltete Figuren / so sehr alt sind.[126] Wann man ihre Regeln recht verstehen will / so muß man zuvorab die verschiede Bewegung [127] recht kennen lernen. Alleine solche ihre Kunst halten sie sehr verborgen / so daß man schwerlich dahinter kommen kan. XXXI.Die Japaner und Chinesen haben dreyerley Aertzte: die erste Art nennen sie Phondo,[128] welche nur allein die innerlichen Kranckheiten auff eine richtige Weise curiren. Die zweyte Art hat bey denen Chinesen den Nahmen Xinkien,[129] bey denen Japanern aber Farriwyts Tenηas,[130] und diese sind die ienige / so mit der Moxa brennen und Nadel stechen. Die dritte Art heisen die Chinesen Backsieu Sinkai,[131] solche gehen alleine mit denen Augen=Mängeln um; bey denen Japanern werden selbige Meesia [132] genannt. Gergua[133] ist ein Japanisches Wort / und bedeutet so viel als einen Wund=Artzt. XXXII.Sie sind der Meynung / daß man durch den Pulß / so sie Miakph [134] nennen / alle Beschaffenheit des inwendigen Leibes erfahren könne / zumahlen [S.336] aber sie sich gäntzlich einbilden / als ob alle / zum wenigsten doch die vornehmsten Puls=Adern nach der Hand zu giengen. In einer iedwederen Hand beobachten sie dreyerley Pulß=Schläge / welche die Beschaffenheit des Eingeweyts zu erkennen geben: Ein jeder von solchen Pulßschlägen bedeutet zwey innerliche Leibs=Glieder / daher wann man die 6. wegen zweyer Hände doppelt nimmt / siehet man / daß sie 12. innerliche Leibs=Glieder statuiren. Solche Pulß=Beobachtung ist gleichsam ihr gantzes studium, worauff sie sich beynahe eintzig und alleine legen / und wornach sie in der Anatomie / ungeacht sie alle andere Dinge in dieser Kunst verabsäumen / am meisten forschen [135] / aber insgemein / iedoch nicht allezeit / nehmen sie die Blut= und Pulß=Adern sonder Unterschied vor einander. XXXIII.Die Meister nun / die sich auff das Moxa-Brennen legen / bedienen sich auch einer guldenen Nadel / so in China Xinkieu, [136] und in Japan Farritatte [137] genennet wird. Soche Nadel wird zum öfftern in sehr gefährlichen Kranckheiten gebraucht. Die Meister davon haben / wie allbereit oben gemeldet / in ihren Werckstätten Bilder hangen / auff welchen nicht allein alle Stellen / wo sie brennen / sondern auch stechen müssen / nach Unterschied der Farben ordentlich abgezeichnet stehen. [S.337] XXXIV.Sothane Nadel ist lang scharff und rund / und ist anbey oben an dem Hefft etwas Schnecken=weise gedrehet. Sie ist insgemein von Gold / selten aus Silber / niemals aber von einigem ander Metall gemacht. Die besten davon verkaufft man auff dem Eyland Corea und in Japan zu Kio oder Miaco,[138] nicht daß etwan just so viel an der Kunst gelegen wäre / sondern / wie ich vermeynte / weilen die Temperirung des Metalls das meiste dabey thut. XXXV.Die Einwohnder von Arcan[139] und Indostan gebrauchen beynahe eben dergleichen Nadel. Die von Japan gebrauchen sie mehrentheils in dem Bauch= Magen= und Haupt=Wehe / so sie von Winden entstehen / wie auch zu Anfang des Augen=Staars. Sie thun es aber eintzig darum damit die verschlossene Winde dadurch einen Ausgang bekommen möchten. XXXVI.Die Nadel stechen sie demnach in das beleidigte Glied ein / und solches geschiehet entweder in einem einfachen Stich / oder durch drehen / so vermittelst des Daumens und fordersten Fingers verrichtet wird[140] / oder es wird diese Nadel mit einem kleinen Hämmergen allegemach und sachte eingeschlagen. Dergleichen Hämmergen sind aus Helffen=Bein[141] / Eben=Holtz / oder einer andern harten Materie gemacht; Die runde Fläche davon ist zu Zeiten gantz glat / mehrentheils [S.338] aber sind auff solchen Oberflächen kleine Löcher / damit der obere Theil der Nadel sich in dem Schlagen darein fügen könne: Der Stiel von solchen Hämmergen ist hohl / um nemlich die Nadel darinnen zu verwahren; Da es dann entweder mit einem seidenen Band umwunden / oder sonsten mit einem gewissen Ring zugeschlossen wird.[142] XXXVII.Nachdeme der Wind in dem beleidigten Glied tieff verschlossen ist / nachdem stecken sie auch die Nadel tieff.[143] Wo Sennadern liegen / pfleget man nicht so tieff als wohl in denen fleischichten Theilgen zu stechen. Insgemein aber wird sie etwan eines Fingers breit sachte eingedrücket. Auff dem Haupt zuweilen biß auff die Hirn=Schalen. In einigen Mutter=Kranckheiten wird selbst die Beer=Mutter[144] gestochen / sonderlich da sich das Kind nicht recht wenden will.[145] XXXVIII.Wann es der Patient vertragen kan / wird solche Nadel / nachdem sie in das schmertzende Glied gestecket worden / wohl so lange / als etwan der Patient ein und ausathmen kan / in der Wunde gelassen;[146] So er es aber nicht erleiden kan / wird sie so balden nach verrichtetem Stich wiederum ausgezogen. Gleichfalls wird der Stich zu drey / vier / zuweilen fünff oder sechs mahl wiederholet / so ferne es nemlich der [S.339] Patient erdulden mag / oder die Kranckheit gar zu hartnäckig ist. XXXIX.Wann diese Operation soll verrichtet werden / so muß der Patient nüchtern seyn: Und wann die Kranckheit sehr gefährlich ist / so pfleget man auch tieffer / als sonsten insgemein zu stechen. Die jenige / welche allbereit bey mittelmäßigen Jahren / werden tieffer dann die Jünglinge / und die alte oder betagte wiederum tieffer als diese gestochen. Ingleichen die fett und starck vom Fleische sind / müssen ebenfalls weit tieffere Stiche als die Magere aushalten. Solches Nadel=Stechen dienet vornemlich in denen Haupt= Kranckheiten und Schmertzen des Unter=Bauchs: Also pflegen sie das in grossen Haupt=Schmertzen / Schlaff= und fallender Sucht / Entzündung der Augen / und anderen Schwachheiten / so aus bösen Winden entstehen / stechen zu lassen: [147] Den Unter=Bauch sticht man in grossen Colic=Schmertzen / rother Ruhr / Unlust zu essen / Mutter=Wehen / auch wann der Leib durch vieles Wein=Saufen verderbet / und alle Gelencke der Glieder und die übrigen Bauchs=Theile grossen Schmertzen erleiden. XL.Die Gebährmutter eines schwangern Weibes wird gestochen / wann sich das Kind vor der gebührenden Zeit allzu viel beweget / so daß die Mutter davon grosse Pein erleidet / oder wohl [S.340] gar in Leben=Gefahr schwebet. Ja sie stechen so gar das Kind in Mutter=Leib mit einer langen und scharffen Nadel / auff daß es nemlich durch solchen Stich erschröcket / von der allzugrossen und gefährlichen Bewegung abstehen möge. XLI.Es wird demnach solches Nadel=Stechen / kurtz und überhaupt zu melden / in folgenden Kranckheiten vorgenommen / nemlich in grossem Haupt=Wehe / Schwindel / rinnenden Augen / Anfang des Staars / Schlag=Fluß / Krampff / und allen andern dergleichen Spannungen / sie mögen vor oder hinterwärts geschehen / gichterischen Bewegung in denen Senn=Adern / fallender Sucht / Schnuppen und kalten Flüssen / allerley Fiebern / Miltz=Sucht / Würmern in denen Gedärmen[148] / und allem Schmertzen / so daher entstehen / gemeinen Bauch=Fluß und der rothen Ruhr / in denen Winden und Blästen / vornemlich aber in den Colic Schmertzen / auch allen andern Darm=Kranckheiten / so aus Winden entstehen / gleichfalls so grosse Mattigkeiten von daher entspringen / Aufspannung der Ballen / Zipperlein und Podagra / und endlich in dem Saamen=Fluß. XLII.Bey solchen Zuständen muß man iederzeit den ienigen Theil alleine mit der Nadel stechen / in welchem die Kranckheit vornemlich beruhet / oder woher sie ihren Ursprung hat. Die [S.341] schwach vom Leibe werden in dem Bauch / die aber starck von Kräfften / in dem Rücken oder Lenden gestochen. Wann man keinen Pulß oder doch gar wenig davon vermercket / so sticht man in denen Armen neben denen Adern.[S. 107] XLIII.Ein gewisser Japanischer Soldat / so aus einer warmen Stuben / worinnen er sich sehr erhitzet / kommen that einen ziemlichen Trunck kalten Wassers / um seinen Durst zu löschen: Aber hierauff bekame er in seinem Magen / wiewohlen sonder einiges Seiten Wehe / einen grossen Schmertzen / so daß er davon etliche Tage hintereinander sich starck erbrechen muste. Er gebrauchte zwar warmen Japanischen Wein[149] mit Ingwer vermischt / aber sonder[150] einige Hülffe / endlich ließ er sich mit der Nadel stechen / um der verschlossenen Winde loß zu werden / und dieses ward in meiner Gegenwart folgender massen verrichtet: Er legte sich auff seinen Rücken / der Artzt stach ihn mit der Nadel oberhalb des Pylori[151] oder vorderen Magen=Mundes an vier unterschiedlichen Stellen. Er hielte aber die Spitze der Nadel mit dem vorteren Theil seiner 4. Finger sehr vorsichtig / biß er endlich die Nadel mit dem Hämmergen hinein triebe / da inzwischen der Patient dem Athem so viel möglich an sie halten muste. Als er sie nun ungefähr einen Daumen breit hineingetrieben hatte / drehet er das Hefft einmal um / den durchbohrten Ort hielt er mit [S.342] seinen Fingern zu / und nachdeme er die Nadel wiederum ausgezogen / folgte nicht das geringste Blut darnach / ja man kunte kaum vermercken / daß ein Stich daselbsten geschehen wäre: und solcher gestalt wurde dieser Mensch von seinem übeln Zustand gäntzlich befreyhet. Ende. Literatur
Anmerkungen
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