Wolfgang Michel
VorbemerkungStandesbewußte Mediziner mögen dem wenig Geschmack abgewinnen, aber die Vorläufer unserer heutigen praktischen Ärzte waren nicht die Doctores der Universitäten sondern die in Stadt und Land werkelnden Barbiere und Chirurgen. Nur begüterte Patienten konnten in Mittelalter und der frühen Neuzeit einen studierten Kopf bemühen, falls in der Nähe überhaupt einer seiner Profession nachging. Daß sie dann stets auch die bestmögliche Versorgung genossen, darf bezweifelt werden. Denn ob ihrer klassischen Gelehrtheit mochten sich die erlauchten Herren die Finger nicht besudeln. An der Chirurgie, insbesondere der niederen Wundchirurgie hatten sie kaum Interesse. Die galt im Sinne des Wortes als profanes Handwerk. Kein Wunder, daß das Heilen in weiten Kreisen des Volkes als eine freie Tätigkeit galt und viele sich berufen fühlten, die von der Ärzteschaft gelassene Lücke zu füllen: Barbiere, Wundärzte, Bader, Feldscher, Steinschneider, Okulisten, Starstecher, Zahnbrecher, Salbenmänner, Segenssprecher, Kindermütter, Kräuterweiber und Muhmen. Auch Apotheker, Materialisten, Wasserbrenner, Theriakhändler und mit Heilmitteln schachernde Kleinkrämer beschränkten ihre Geschäfte nicht immer auf den bloßen Verkauf von Drogen und Arzneien. Vom stillen Gewölbeladen bis zur wandernden Schaubühne, vom Kräutermütterchen bis zum examinierten Meister, ein jeder wetteiferte mit der wachen Konkurrenz um die Gunst des an allerlei Gebrechen laborierenden Volkes. Auf einem solch bunten und umkämpften Markt waren Quacksalber, Scharlatane und andere Gauner nicht selten. Doch auch unter den Zünften, die sich hier etablierten, gönnte die eine der anderen die Butter, ja oft gar das trockene Brot nicht. Am Anfang stand der mittelalterliche Bader. In seinem Badehaus spielte sich ein großer Teil des öffentlichen Lebens (bzw. ein großer Teil des Lebens öffentlich) ab. Die Bäder wurden in geheizten Räumen genommen, einzeln oder in Gesellschaft. Später kamen Dampfschwitzbäder hinzu, und wenn der Gast den ermatteten Leib ruhen ließ, schnitt man eingewachsene Nägel aus, entfernte Hühneraugen, öffnete Abszesse, zog faule Zähne, setzte Schröpfköpfe oder nahm zur Anregung des Kreislaufs einen Aderlaß vor. In diesen Häusern arbeiteten Gehilfen, welche als Barbiere oder Scherer die Bärte scherten, rasierten und schröpften. Mit der Zeit wurden sie den Badern eine gefährliche Konkurrenz. Während die Bader im allgemeinen wenig Ehrgeiz entwickelten, rissen die Barbiere nach und nach die gesamte 'niedere Chirurgie' an sich.[1] In vielen Städten kam es im fünfzehnten Jahrhundert zur Trennung beider Berufsgruppen. Die Barbiere und Wundärzte, welche in der chirurgischen Versorgung ihre Hauptaufgabe sahen, versuchten in der Folge, den Badern derlei Aktivitäten verbieten zu lassen. Dank ihrer Zahl und ihres wachsenden Ansehens gelang ihnen das hier und dort, doch selten mit andauerndem Erfolg, so daß der Hickhack kein Ende nehmen wollte. Ein gut ausgebildeter Barbier-Chirurg kannte sich in der menschlichen Anatomie einigermaßen aus, in Schuß-, Schnitt- und Stoßwunden, in Brüchen, Entzündungen, Geschwulsten. Er wußte, wie man zur Ader läßt, Blut stillt, Salben und Plaster bereitet und anwendet. Auch hatte er allerlei Kräuter und Pulver zur äußerlichen oder innerlichen Therapie parat. In Kriegszeiten erwarben diese Barbiere als Feldscherer bzw. Feldscher weitere Erfahrungen beim Zusammenflicken oder Amputieren gräßlich zugerichteter Soldaten.[2] Dies war - in knappen Federstrichen - die Welt von Matthias Gottfried Purmann, dessen Erkundung der Moxibustion, d.h. des Brennens mit Moxa, ich nachfolgend beschreibe. Anlaß hierzu war die Feststellung, daß ihn auch namhafte Wissenschaftshistoriker nicht kannten oder aber nur flüchtig streiften.[3] Doch steht ihm nach Umfang und Inhalt seiner Abhandlungen eigentlich ein prominenter Platz im Reigen der 'Moxa-Therapeuten' seiner Zeit zu. Biographischer AbrißPurmann wurde zum Ende des Dreißigjährigen Krieges im schlesischen Lüben geboren. Nach einer Lehre beim Wundarzt Paul Rumpelt in Groß-Glogau ging er 1667 nach Frankfurt an der Oder, später nach Cüstrin. Hier trat er 1670 als Feldscherer in den brandenburgischen Militärdienst und nahm an mehreren Feldzügen teil, durch die er in den Elsaß, nach Westfalen und 1678 nach Stralsund kam. Nach dem Frieden 1679 ließ er sich als Stadtwundarzt in Halberstadt nieder. Schon ein Jahr darauf faßte er seine langjährigen Erfahrungen zusammen: Der rechte und wahrhafftige Feldscher, oder die wahrhaffte Feldscherkunst (Halberstadt 1680, 1682; Frankfurt / Leipzig 1690, 1693, Jena 1705, 1721).
Gelegenheit zur Bewährung und Materialien für zwei weitere Publikationen lieferte eine noch im selben Jahr ausbrechende Pestepidemie: Der auffrichtige und erfahrene Pestbarbirer
(Halberstadt 1683; Frankfurt / Leipzig 1690, 1705; Liegnitz 1705, 1715, 1721;
Breslau 1738),
Anweisung pestilentialische Brüche zu kennen und zu curiren (Leipzig 1686) 1685 erwarb er eine Offizin in Breslau, wo er dann ab 1690 das Amt des Stadtarztes innehatte und im Laufe der Zeit noch weitere Bücher veröffentlichte: Neu
herausgegebener Chirurgischer Lorbeerkrantz, oder große Wund=Artzney
(Halberstadt 1684, 1685; Frankfurt 1692, 1705; Breslau 1705, Liegnitz 1722),
Chirurgia curiosa ( Frankfurt / Leipzig 1699, 1716, 1739), Fünfundzwanzig sonder- und wunderbare Schusswunden-Curen (Breslau 1687), Fünfzig sonder- und wunderbare Schußwundencuren (Frankfurt / Leipzig 1693, 1703; Liegnitz 1703; Frankfurt 1721). Dank seiner operativen Begabung und zahlreichen Schriften, in denen Haeser französische Einflüsse ausmachte,[4] genoß Purmann besonders in Norddeutschland einen guten Ruf. Er hatte als erster in Deutschland 1668 eine Transfusion und bis 1684 insgesamt vierzig Trepanationen durchgeführt. Seine Werke wurden häufig wieder aufgelegt. Erster Ansatz 1692Purmann war ein fleißiger Leser und um Aktualität bemühter Autor. So entging ihm auch nicht jene enthusiastische Abhandlung über die Moxa, welche der in Batavien tätige niederländische Pastor Hermann Buschof nach eigenen außerordentlich eindrucksvollen Erfahrungen zusammen gestellt hatte. Diese erste längere Beschreibung der fernöstlichen Heilkunst des Brennen mit Moxa-Kegelchen wurde 1675, rund ein Jahr nach dem Tode des Verfassers, in Amsterdam verlegt: Het Podagra, nader als oyt nagevorst en uytgevonden, midsgaders des selfs sekere Genesingh of ontlastend Hulp-Mittel. Wegen des starken Echos besonders unter deutschen Gelehrten, entschloß sich dann ein namentlich nicht bekanntes Mitglied des Collegio Naturae Curiosorum, der späteren Leopoldina, eine Übersetzung anzufertigen, die in einer kleinen Auflage 1677 in Breslau erschien: "Das genau untersuchte und auserfundene Podagra, Vermittelst selbst sicher=eigenen Genäsung und erlösenden Hülff=Mittels".[5] Abb. 1 Matthias Gottfried Purmann (1648 - 1721)
Purmanns erste Ausführungen zur Moxa erschienen 1692 im "Grossen und gantz neugewundenen Lorbeer=Krantz oder Wund=Artzney" (Frankfurt / Leipzig 1692). Für ihn war dies ein "köstliches und unschätzbares Hülff=Mittel" gegen die Fußgicht, auf das er genauer eingehen wollte, weil "derselben Operation auch in die Art der Fontanellen mit hineinlaufft".[6] Das geschah dann im letzten Kapitel: "Von der Moxa, was es sey / worzu sie gebrauchet werde / wie sie recht zu Appliziren / und nach verrichtetem Effect wie damit zu verfahren / wenn es gewünschten Nutzen bringen soll."[7] Knapp zwanzig Jahre nach der Publikation des Buschofschen Schrift heißt es hier: "Anfangs ist ein grosses Wesen von der Moxa
gemachet worden / sonderlich als sie bey einigen Personen / die das Podagra
noch nicht lange gehabt / wol angeschlagen / und die Schmertzen fast in
continenti weggenommen / welches auch bey vielen geschehen / die grosse Zahn=
und Haupt=Schmertzen gehabt / und die Arthritide Vaga Scorbutica an
Glieder=Schmertzen und dem Krampf offtmals laboriret. Als es aber nicht
allezeit angehen wollen / und zwar bey denn jenigen / welche das Podagra viel
Jahr gehabt / und schon eingewurtzelt gewesen / hat diese Indianische Kraut=
Wolle etwas unschuldig leiden / und denn Preiß verlieren müssen /
worzu noch kommen / wenn es nicht recht appliciret und offen gehalten worden /
von Leuten / die es nicht verstanden / und rechte Wissenschafft davon gehabt."[8]
Nach diesem Hinweis auf die sehr unterschiedlichen Behandlungsresultate, dem zunächst exorbitanten Preis,[9] der dann später verfiel, streift Purmann jenen seiner Meinung zufolge unergiebigen Streit "ob die Moxa bey den Alten schon bekannt und im Brauch" war. Er möchte ihn dahingehend entschieden wissen, daß "das Brennen selbst mit einem gewissen Instrument mit Flachs / Schwämmen und Spinnenweben / sonderlich bey Fontanellen / den alten genungsam bekannt gewesen" sei, "diese Art zu brennen aber mit der Moxa, wordurch der Fluß herzu gezogen und die Schmertzen gestillet" würden, hingegen nicht. Alsdann zeichnet er die Erkundungen zur Natur der indischen Brennwolle nach. Ihm zufolge war Wolfgang Wedels, in den Mitteilungen der Leopoldina unterbreiteter Vorschlag, aus dem gewöhnlichen Beifuß oder anderen einheimischen Kräutern eine preiswerte deutsche Moxa zu gewinnen,[10] ohne große Resonanz geblieben. Nachdem dann die vergleichsweise einfache Herstellungsweise bekannt wurde, sei das Ansehen der Moxa rapide gesunken. Und obwohl Buschof aufsehenerregende Fälle vorgestellt hatte, stimme es verwunderlich, "warum es hier in Deutschland nicht also glücklich angehen" wolle. Ungeachtet, daß "an vielen Orten fleißig / und vorsichtig genung experimentiret worden" wurde doch selten der erhoffte Effekt erzielt. Besonders bei "fürstlichen Personen" habe die Moxa laut Georg Horst "unglückliche Würckungen" gezeitigt.[11] Purmann ließ sich allerdings auf eine solche 'soziale Kontraindikation' nicht ein und weist auf einsichtigere Aspekte hin. Man müsse sehr vorsichtig therapieren: "denn bey sehr magern / trucknen und
ausgemergelten Schwind= und Lungensüchtigen Personen / ist die Moxa nicht
nötig / und bringet gemeiniglich Schaden; Bey denjenigen aber / welche
viel Serum bey sich haben / und mit Gicht / Podagra / Zahn= und
Glieder=Schmertzen / Schaarbock /[12] Schlag / fallende Sucht / Flüsse im Genick / und Juncturen etc. geplaget werden / da kan die Moxa das ihrige nach Wunsch ausrichten: Auch ist
sie denenselben sehr gut / welche mit kalten aedematosichen Geschwülsten /
so die gemeinen Leute weisse Rose und kalte Gicht nennen / belästiget
seyn: Solte aber schon einige Inflammation[13] darzu kommen seyn / muß es entweder unterlassen / oder mit
grosser Vorsichtigkeit gebrauchet werden."[14]
Alsdann wandte er sich der "Applicirung der Moxa" in Ostindien zu. Buschof, der hier ausgiebig zitiert wird, habe den Mund ein wenig zu voll genommen: "Wiewol ich nun diesem wackeren Manne gerne in
allen Stücken mit glauben wolte / so streitet doch die Erfahrung
darwieder; Bey einigen sind wol / da die gicht noch nicht grosse Macht gehabt /
die Schmertzen bald vergangen / daß sie aber ihre glieder so geschwind
solten wieder haben gebrauchen können / kan ich nicht sagen / sondern es
hat noch 14. Tage allezeit gewähret. Die aber / welche das Podagra schon
viel Jahre eingewurtzelt gehabt / verlieren zwar endlich auch / aber man
muß es bißweilen wiederholen / den Schmertzen: Die Bewegung und
Gebrauchung der glieder aber bleibet lange Zeit zurück / und vielen hilfft
es auch gar nicht / wie mir und dem Seel. Herrn D. Burgk mit einem vornehmen
des Raths / einer hiesigen Kauffmans Fr[au] und dem Cur Brandenburg. Residenten
wiederfahren."[15]
Dennoch müsse etwas Sonderbares in der Moxa stecken, was man aus der Art, wie sie wirke, erkenne, und diese wolle er zum Schluß in sechs Punkten zusammenfassend zeigen: "1. Darf man die Moxa fast an alle Oerter und Juncturen setzen / wo nur kein Principal-Glied / oder sonst etwas sehr zartes verhanden / auch wenn die
Schmertzen und kalte Geschwülste noch so groß sind.
2. Oeffnet nicht allein die Moxa, vermittelst ihres penetranten Einbrennens die Poros der Haut / sondern nimmt auch die Schmertzen und unleidliche Pein des Periostii[16] mit hinweg. 3. Wiederstehet sie dem bösen scharffen sero, zertheilet die kalten oedematosischen Geschwülste und desselben Dämpfe / und macht / daß solche zertrieben werden und ausdünsten können. 4. Stärcket es die angebohrne Wärme / oder das Humidum Radicale[17] mit seiner austreibenden Krafft / damit sie in dem leidenden Gliede meister werde / und das Übel von sich treibe. 5. Vertreibet und verzehret die Moxa durch ihre Hitze den bößartigen und Schmertzmachenden Dampf der Gicht; Welcher in Bein=Häutlein[18] stecket / und entlediget die Natur davon. 6. Ziehet es nicht allein wunderbahrer Weise den Dampf aus / sondern stärcket auch die geschwächten Glieder dergestalt / daß sich nicht leicht wiedergleichen Dämpfe hineinschleichen und ein Logiren können / welches das vornehmste Stück in der Sache ist." Insofern kam Purmann ungeachtet aller kritischen Anmerkungen zu einer wohlwollenden Gesamtbeurteilung. Die Therapie mit der Moxa sei im übrigen entgegen der Meinung vieler nicht mit größeren Schmerzen verbunden. Allerdings habe man den Ort der Einbrennung sorgfältig zu bestimmen. Es genüge nicht, sich mit der Gicht gut auszukennen, man müsse auch etwas von Anatomie verstehen. Das von Buschof eingeführte Brennen am Schmerzpunkt (locus dolendi) erhebt er zur Maxime: "An dem
Orte wo die Moxa hingesetzet werden soll / ist sehr viel gelegen / und
erfordert dahero einen Nachdenckenden und geschickten Chirurgum. Denn es
muß nicht allein derselbe eine vollkommene Käntnüß der
Gicht / uñ derselben Kranckheiten haben / wor wieder die Moxa gebraucht
werden soll / sondern er muß auch ein guter Anatomicus seyn / damit er
wissen könne / welchem Gliede es nützlich und welchem es Schaden
bringen könte. Vor allen Dingen aber / gebe man wol acht / wo der Schmertz
eigentlich ist / denn hieran ist sehr viel gelegen / treffet ihr denn Ort recht
/ wo solcher seinen Sitz hat / wird alles gewünscht / mit grösten
Nutzen von Statten gehen: Vielmals lässet sich der Ort leicht finden /
denn es weiset solches die Geschwulst und Einzündung / vielmal aber ist
diß gar nicht verhanden u. wo man hingreifft / sind Schmertzen zu
spühren. Zu mancher Zeit ist nur allein die Haut aufgelauffen / und
solches machet eine Härte / welches eine Anzeigung giebet / daß
Winde und Flatus darunter sind / und an diese Oerter darff die Moxa sehr wol
hingesetzet werden. Ubrigens wendet rechten Fleiß an / damit ihr den Ort
wol ausfinden möget / wo der Schmertz ist / sonderlich bey der Gicht /
müsset dahero so lange hin und wieder fühlen / biß ihr mit denn
Fingern auf den Platz kommet / wo die Pein und Schmertzen den Wohnplatz und
Sitz haben / und daselbst / recht an den Ort / es sey wo es sey / an Armen und
Schenckeln / setzet die Moxa hin und zündet solche an. Werdet ihr dieses
nicht mit rechtem Fleiß thun / wird es der Patient bald mercken / und der
Nutzen gar schlecht seyn. Buschhoff saget Part. 2. Cap. 12. pag. 112.[19] es möchte diese Einbrennung mit der Moxa überall / und ohne
Unterscheid / Schaden und Gefahr / an= und aufgesetzet / und eingebrennet
werden / ob auch schon an selbigem Orte / Adern Arterien und Spann=Adern
darunter liegen / ja es ist vortheilhafftig / saget er ferner / geschwollene
aufgelaufne Blut= und Schlag= Adern durch diesen Einbrennen von ihren
dämpfen zu entbürden / wie solches bey denn Zahn=Schmertzen genungsam
zuersehen. Solte es einen Ort treffen / welcher mit Haaren überwachsen
wäre / muß man solche mit dem Scheer=Messer vorher abnehmen / und
alsdenn erst die Moxa aufsetzen / oder aber / wäre der schmertzhaffte Ort
fett und feuchte / muß man dieses ebenfalls abthun / und vorher rein
machen. Siehet man also / daß wo der Schmertz ist / (es wäre denn am
Gemächte / an den Augen / Ohren / und an der Nasen / da kan man es
unterlassen) da soll man die Moxa hinsetzen und solche einbrennen. Hoffe, es
wird hieraus der geneigte Leser genungsamen Nachricht finden / und in allen
Stücken genungsam durch kommen können."[20]
Mit seinem Hinweis auf Arterien übernahm Purmann eine weitere Fehlinterpretation Buschofs, der auch spätere europäische Forscher erlagen. Buschof hatte jene Leitbahnen der chinesischen Medizin, heute in einer etwas unglücklichen Terminologie auch 'Meridiane' genannt, als Arterien aufgefaßt. Da die traditionellen Brennpunkte in der ostasiatischen Therapie auf diesen Bahnen liegen, empfahl er die Adern als geeigenten als vornehmlichen Ort der Behandlung. Ausgerechnet das aber wurde im Fernen Osten als gefährlich erachtet und vermieden. Nun findet man in den medizinischen Publikationen zu Purmanns Zeiten keinerlei warnende Erfahrungsberichte, so daß die europäischen Ärzte solchen Empfehlungen entweder nicht folgten oder aber mit viel Glück gesegenet blieben. Eine Fallbeschreibung von 1699Sieben Jahre nach dem Druck des "Grossen und gantz neugewundenen Lorbeer=Krantz oder Wund=Artzney" erschien in Frankfurt und Leipzig "Matthaei Gotof. Pvrmanni, Chirurgi und Stadt=Artztes zu Breßlau Herausgegebene Chirurgia Curiosa". Eigentlich handelte es sich um eine Art Aufguß des "Lorbeerkranzes" - wiederum in drei Teilen. Das achtzehnte der insgesamt 73 Kapitel enthält "Einige kurtze Anmerckungen vom Brennen / welches bey unterschiedlichen Zuständen geschiehet und mit Nutzen gebraucht wird / absonderlich aber von der Moxa, wie solche recht zu appliciren / und was hernach ferner dabey in acht zunehmen?"[21] Hinsichtlich der Moxa erfahren wir nicht viel Neues, mit Ausnahme einer Fallbeschreibung am Schluß: "Ich muß allhier mein eigenes
merckwürdiges Exempel anführen / so mit mir bey Applicirung der Moxae
begegnet / das sich also verhält: Anno 1692. im Anfange des Martii, belegte mich unvermuthet der gnädige und gerechte Gott mit einem über
alle massen peinlichen Hüfftwehe / (Malo Ischiatico) an der lincken
Hüffte / das mich sonderlich bey der Nacht dergestalt mit den
allerempfindlichsten Schmertzen plagte / daß ich es fast nicht mehr
ertragen können. Der Hr. D. Preuß / und Hr. D. Pauli gebrauchten mit
embsigen Fleiß alle erdenckliche Mittel darwider / aber alles vergebens!
die fast höllische Tortur ward nur ärger. Endlich / nach 14. Tagen /
fiel mir die Moxa ein / welche ich mir auch an einem Morgen früh / mit der
Hn. Hn. Medicorum Consens, recht an der Seiten und Gruben gegen der Junctur
über / (denn daselbsten war der gröste Schmertzen /) durch den Hn. Dietrich Meyern / vornehmen Chirurgum und Aeltisten allhier / in Beyseyn
vorgedachter Hn. Hn. Medicorum, wie auch des Hn. D. Tralles, und Hn. Hanen und
Hörnern / beyden Chirurg. allhier / auffsetzen und anbrennen ließ. So bald das Köpfgen der Moxae hinunter an die Haut gebrannt war / bekam
ich einen brennend= und stechenden Schmertzen / der meinem Bedüncken nach
wie ein Blitz biß in die Junctur hinein penetrirete / hernach war das Brennen
/ so lange biß die Wollen zu Aschen worden / gar leidlich / und konte es
wohl vertragen. Zu der Zeit ließ der Schmertzen also fort dergestalt nach
/ daß ich den gantzen Tag über nicht das geringste davon empfandt /
und gar wohl ruhen konte. Gegen Abend fandt sich die Pein umb die
äusserste Gegend des Knöchels unten am Fuß / auf selbiger
Seiten / welche auch mit der Nacht dergestalt zunahm / daß nicht allein
Convulsiones neben=bey mit darzu kamen / sondern ich auch noch einmahl zur Moxa
resolviren müssen. Diß geschahe auch den folgenden Morgen abermahls
in Praesentz der Herren Medicorum, durch Hn. Chirurgum Hanen seel. und wurde
solche einen Daumen breit über dem Knöchel / recht wo der gröste
Schmertzen war / hingesetzet. Die Operation gieng damahls wohl von statten /
und litte ich dabey nicht grössere Schmertzen / als wie bey der
Hüfft; der Schmertzen ließ auch bald darauff gantz nach / daß
ich gar wohl wieder schlaffen können. Ich ließ mir ebenfalls
Knoblauch und Wegerich=Blätter darauf legen / muste aber viel Schmertzen /
weil das Loch biß auff den Tendinem[22] gieng / und allzutieff hinein gebrannt war / bey dem Schaden
ausstehen; und diß hielte mich alleine auff / daß ich noch 5. Wochen des Bettes hüten müssen / war also vor mich eine sehr
schmertzhaffte / böse Kranckheit / davor mich und einen jedweden / der
grund=gütige Gott ferner gnädiglich bewahren wolle. Sehet! das that
bey mir die Moxa, so ich mit Gott bezeugen kan / und diß habe ich
deswegen mit anhero setzen wollen / damit deren gebührendes Lob nicht
allzusehr unterdrücket würde."[23]
Neue Beobachtungen 1710Weitere Fälle schildern die 1710 in Frankfurt und Leipzig herausgegebenen "Curiöse Chirurgische Observationes" im Kapitel "Sonderbares Exempel von der Indiani=Wolle / Moxa genannt / wovor sie gebrauchet worden / wie sie recht zu appliciren / wo / und auf was Art / und wie endlich die gebrandte Blase zu tractiren / und ein gewisser Patient dadurch wieder gesund worden sey":[24] "Ein Chirurgus allhier / mein Freund / 45. Jahr
alt / bekam Anno 1693. im Monat May ein so grosses und horribles Malum
Ischiaticum (Hüfftwehe) auf der lincken Seite der Hüffte / daß
ein jeder meynete / der diese plage hörete und ihn sahe / er würde
endlich drüber crepiren müssen / absonderlich in der Nacht war der
Schmertz so groß und hefftig / daß er es fast nicht mehr ausstehen
können / und fanden sich auch Convulsiones[25] und andere gefährliche Zufälle mehr bey ihm ein / bey Tage
war es zwar nicht so arg / und noch auszustehen / aber doch verlohren sich mit
der Zeit die Kräffte dergestalt nach und nach mehr und mehr / daß er
endlich resolvirte / ihm die Indianische Wolle (Moxa) appliciren zu lassen; Der
Herr D. Preuß / numehr unser Herr Ober= Physicus, wie auch der Herr D. Pauli und ich selbst waren mit dabey. Es geschahe des Morgens früh Glock
9. Uhr / durch den seel. Hahn / an eben der lincken nothleidenden Hüffte /
recht über der Junctur, wo gleichsam wie eine Grube im mittlern Theile des
Ossis Ischiatici[26] ist / daselbst ward ein zusammengedrückt und gedrehetes
Pöpgen eines Finger= Gliedes lang von gedachter Moxa, auf die blose Haut
gesetzet / und mit einer gewissen und angezündeten Kärtze (Pastillo)
oder kan auch seyn mit einem Stiehl und Stengel von der Lavendula oben
angestecket / damit die Moxa anfänget zu glümmen / welches leicht
geschiehet / diese angezündete Wolle lässet man hernach so lange
glimmen und glühend wie Kohle werden / biß daß sie recht auf
die Haut kommet / und etwas einbrennet / welches der Patient bald empfindet /
denn der brennende Schmertz penetriret biß in die Junctur hinein / ob er
sie schon nicht beschädiget / so bald diß geschehen / blaset die
Kohle von dem Orte weg / wobey sonderlich wohl zu mercken / daß man diese
Kohle von der Moxa auf der Hüffte nicht über 2. Vater Unser lang /
und an andern Orten / wo weniger Fleisch ist / kaum halb so lang stehen lassen
muß / denn hieran ist die gantze Sache und sehr viel gelegen / liesse man
ihr länger Zeit / würde diese Kohle / so in ihrer Würckung sehr
penetrant ist / an solchen magern Oertern / wie auch hier geschehen /
allzutieff hinein brennen / und einen übelen Schaden verursachen / welcher
/ wie ich unterschiedliche Exempel weiß / hernach schwer zu rechte zu
bringen ist. So bald die Operation vorbey gewesen / hat der Patient sofort
Linderung seiner Schmertzen bekommen / und die folgende Nacht wohl geruhet;
Aber siehe / was geschiehet / den andern Morgen kommt diese Plage mit der
grösten Hefftigkeit wieder / und zwar unten an selbigem Fusse / 2. quär Finger breit auswärts über der Knöchel=Junctur, welche
den Patienten also angriff / daß er nicht gewust / was er vor grossen
Schmertzen anfangen / und wo er sich lassen sollte. Die 2. Herren Doctores Hr. Preuß und Hr. Pauli nahmen den Hn. D. Tralles auch darzu / auf mein
Bitten / und schlossen mit einander / den Feind auch an diesem Ort mit
Applicirung der Moxa ebenfals zu verfolgen / das auch Glock 11. Uhr geschahe;
Aber / weil der ehrliche Hr. Hahn eben damahls nicht bey der hand war / muste
es ein anderer hiesiger ordinairer Chirurgus an statt dessen verrichten / der
zwar das Seinige / sonderlich Anfangs / in der Application gethan; Aber nicht
weiß ich warum: Ob er den Ort nicht genau consideriret / denn die
Hüffte hat mehr Fleisch / als hier die Knöchel / oder ob er nicht
gewust und bedacht / da er es doch gar wohl bedencken sollen / daß hier
bald unter dem wenigen Fleisch ein grosser und breiter Tendo (Haarwachs) recta
über die Knöchel gehet / denn er ließ bey dieser andern
Operation die Kohle von der Moxa allzu lange an dem applicirten Orte stehen;
Welches der Krancke selbst entweder nicht observiret / weil er gar zu attent[27] auf der Herren Medicorum Discurs gewesen / oder er hat es geschehen
lassen / damit zu beweisen / daß er was ausstehen könte. Hier
durffte der Chirurgus bey so gestalten Sachen nicht / wie bey der Cur gemeldet
worden / und allezeit zu geschehen pfleget / erst gestossenen Knoblauch auf die
Blase legen / und selbigen Ort eine Zeitlang offen halten / denn es war hier
gar nicht nöthig / und hatte nicht allein diese Kohle von der Moxa durch
alle die eußersten Decken / sondern auch durch den gantzen und dicken
Tendinem hindurch gebrannt; Die Schmertzen von der Hüffte und dem Fusse
liessen zwar etwas nach / aber wenn der Herr Chirurgus Hörner auf dem
Hünermarckte noch leben sollte / würde der zeigen und recht sagen
können / was der Patient 10. Wochen über / ehe dieser Schade und
grosses Versehen wieder curiret werden können / vor Plage und Schmertzen
ausgestanden. Hier ist nöthig / nach solcher Operation auch zu melden /
was in so langer Zeit vor Medicamenta gebrauchet worden / denn obschon das
Haupt= Medicament das seinige nebenbey genungsam gethan / so kan man doch
nechst Gott keinem andern Dinge / als der applicirten Moxae diese fast
augenscheinliche Hülffe zuschreiben."[28]
Der Patient erhielt überdies auf Verordnung der Herren Medici eine "spiritualische Mixtur" zum Bestreichen, die anfangs etwas Linderung verschaffte, aber ohne Bestand blieb, so daß der Schmerz nach kurzer Zeit mit Heftigkeit wiederkehrte. Man habe dann ein von Doktor Bohne aus Leipzig entwickeltes Pflaster aufgelegt, welches aber ebenfalls nur für kurze Zeit half. Beide Rezepte rückte Purmann in seine Abhandlung ein und zieht folgenden Schluß: "Wer geringe und nicht gar zu grosse
Hüfft=Schmertzen hat / kan durch diese 2. sehr gute und edle Medicamenta
die Schmertzen im Anfang neben einem Anodyno[29]wohl
vertreiben / absonderlich / wenn der Patient die Beschwehrung schon vorher mehr
gehabt / wenn aber dieses Malum seinen Anfang erst nimt / und der Patient zum
ersten mahl damit überfallen wird / da halten diese Medicamenta, so gut
sie auch sind / nicht den Stich / sondern die Moxa, oder eine dergleichen
penetrante Operation müssen den Übel und grossen Marter abhelffen. Hat also die Moxa bey diesem Patienten das ihrige mit grossem Lobe gethan /
wenn nur bey der Application über der Knöchel=Junctur, das Versehen
des andern chirurgi nicht vorgegangen wäre. Endlich ward der Freund mit
Mühe wieder curiret / und ob er zwar nach der Zeit fast ein viertel Jahr
Anfangs an der Krücke gehen / und hernach hincken müssen /
überwand dennoch dessen gute Natur / daß er wieder vollkommen gesund
ward."
Purmann war, und das unterscheidet ihn von späteren Gegnern der Moxibustion wie Heister und Junker, kein studierter Gelehrter, sondern ein Mann der Praxis, ein Erfahrungsmediziner. Ihn kümmerte es wenig, ob Hippokrates die Moxa bzw. ein ähnliches Brennmittel bereits kannte oder nicht. Er brauchte auch nicht darüber zu philosophieren, ob es nun das Feuer sei, das helfe, oder aber irgendein ätherischer Dampf, den die Beifußfasern beim Verglimmen vielleicht abdampften. Er ließ sich nicht von Mißerfolgen entmutigen, sondern experimentierte, verbesserte, revidierte - stets um respektable Zeugen bemüht. Marktschreierische Lobpreisungen und Hymnen waren nicht seine Art. Bei ihm verliert das von Buschof in leuchtenden Farben gepinselte Bild des ostasiatischen Wundermittels einiges an Glanz. So schrieb er zu einem hartnäckigen Fall, daß er die Behandlung dieses Frauenzimmers Anno 1697 allezeit im Frühjahr vier Jahre nacheinander "continuiren und wiederhohlen" mußte, "weil der Schmertz oder das Malum Ischiaticum um selbige Zeit netto" wiederkam.[30] Doch ungeachtet solcher Abstriche war das, was blieb, eindrucksvoll und reichte für den Griff zur Schreibfeder. Der ruhige Blick und die reiche praktische Erfahrung heben Purmann stellen Purmann in die erste Reihe der Moxa-Autoren jener Dekaden. LiteraturFeucht (1977) Gerhart Feucht: Die Moxabehandlung in Europa. Heidelberg 1977. Haeser (1881) Heinrich Haeser: Lehrbuch der Geschichte der Medizin und der epidemischen Krankheiten. Band 2. Jena 1881. Kallmorgen (1936) Wilhelm Kallmorgen: Siebenhundert Jahre Heilkunde in Frankfurt am Main. Frankfurt am Main 1936. Lu / Needham (1980) Lu Gwei-Djen, Joseph Needham: Celestial Lancets. A History and Rationale of Acupuncture and Moxa. Cambridge 1980. Michel (1993) Wolfgang Michel: Hermann Buschof - Erste Abhandlung über die Moxibustion in Europa. Heidelberg 1993. Wehrli (1927) G. Ä. Wehrli: Die Bader, Barbiere und Wündärzte im alten Zürich. In: Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich, Bd. 30. Heft. 3, Zürich 1927. Wehrli (1931) G. Ä. Wehrli: Die Wundärzte und Bader Zürichs als zünftige Organisation. In: Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich, Bd. 30, Heft 8, Zürich 1931. Anmerkungen
[1] Kallmorgen (1936), S. 52
[2] mehr hierzu bei Wehrli (1927, 1931)
[3] Lu / Needham (1980) kannten
ihn nicht, im Gegensatz zu Feucht (1977).
[4] Haeser (1881), S. 442
[5] Edition bei Michel (1993)
[6] Purmann (1692), 3. Teil, Kap. 29 (Von den Fontanellen), S. 249
[7] dto., S. 286 - 296
[8] Purmann (1692), S. 286
[9] 1699 nannte er die Summe von 12 Reichstalern für das Lot.
[10] Miscellanea Curiosa, Decuria II, Annus I, Observatio 6, S. 14
[11] "Specimen anatomiae practicae in adademia Giessena aliquot philiatris exhibitum. Adjecta sunt quaedam de moxa" (Giessen 1678)
[12] Skorbut (> niederl. scheurbuik, rissiger Mund)
[13] Entzündung (> lat. inflammatio)
[14] Purmann (1692), S. 289
[15] ibid., S. 294f.
[16] Periost, Knochenhaut
[17] "Grundlegende Feuchtigkeit", eine fettige, balsamartige Substanz, welche allen festen Teilen des
Körpers Geschmeidigkeit verleiht, deren Austrocknung verhindert und auch
die natürliche Wärme alimentiert.
[18] Knochenhaut
[19] siehe Edition Michel (1993), S. 133f.
[20] Purmann (1692), S. 296
[21] Purmann (1699), S. 720 - 730
[22] Sehne (> lat. tendon)
[23] Purmann (1699), S. 728ff.
[24] Purmann (1710), S. 351 - 356
[25] Krämpfe
[26] Sitzbein (> lat. os ischii)
[27] aufmerksam (> lat. attentus)
[28] Purmann (1710), S. 351ff.
[29] schmerzstillendes Mittel
[30] Purmann (1710), S. 355f.
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