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Leserbrief, Frankfurter Rundschau No. 210, 9.9.1996, p.19
Wolfgang Michel

Betriebsführung im japanischen Stil war wohl eher eine Schönwetterveranstaltung


Mag sein, daß die redaktionellen Kürzungen des Berichtes von M. Ehrke eine Rolle dabei spielten. Doch das Bild eines japanischen Managements, das eher eigene Bezüge kürzt als die "(Stamm-)Belegschaft" (!) zu entlassen, spiegelt die Realität nur in Ausschnitten wider (FR vom 30. 8. 1996 "Manager kürzen eher eigene Bezüge, als die Belegschaft zu entlassen").

"Lebenslange Beschäftigung" - in kleinen und mittleren Betrieben nie die Norm - bedeutete seit eh und je die Verabschiedung in einem Alter um 53 bis 55 und damit zugleich die Suche nach einem Zweitjob für die Jahre bis zum Beginn der Rentenzahlung.

Doch schlägt die Firma gegebenenfalls auch schon früher zu. Wer nicht mehr gebraucht wird, findet sich plötzlich an einem Schreibtisch, wo es nichts zu tun gibt ("Fensterplatzvolk") -- in einer Gesellschaft mit hohem Arbeitsethos und starker psychischer Abhängigkeit von der Gruppe ein kaum erträglicher Druck.

Ähnlich beharrlich und wirkungsvoll die Gespräche zur Förderung des vorzeitigen freiwilligen Ausscheidens. Die Wunden, die den bis dato loyalen Arbeitnehmern auf die sanfte Weise geschlagen werden, sind nicht minder tief als die im Westen.

Vergessen sollte man auch nicht das "Verleihen" von Firmenangehörigen an "befreundete Firmen", natürlich zu schlechteren Konditionen, sowie die besonders im Dienstleistungsbereich allerorten tätigen Teilzeitkräfte, die stündlich disponibel sind. Und wer denkt an die unzähligen kapitalschwachen Kleinstbetriebe, die als Sub- oder Subsub-Zulieferer einem Großbetrieb ausgeliefert sind, dann aber über Nacht keine Aufträge mehr bekommen?

Gewiß, in einer auf Konsens ausgerichteten Gesellschaft spielen Aspekte wie Verantwortung, Dialog, Behutsamkeit, Ausgleich, Fairness eine wichtige Rolle. Doch -- in der einheimischen Tagespresse wird die Leserschaft bereits eingestimmt -- die Betriebsführung im japanischen Stil war wohl eher eine Schönwetterveranstaltung. Inzwischen höhlt der ökonomische Druck der internationalen Konkurrenz auch in Japan die traditionellen Werte zusehends aus -- leider.

Prof. Wolfgang Michel, Staatliche Universität Kyushu, Fukuoka (Japan)l

 

 

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