Lippische Mitteilungen aus Geschichte und Landeskunde, 66. Band 1997 (Detmold 1997), pp. 57 - 74.

 

Gen'emon Eisei Imamura und Engelbert Kaempfer


von Kazuo KATAGIRI

 Das lange Rätsel

Engelbert Kaempfer (1651 - 1716) kam als Arzt der niederländischen Ostindischen Kompanie am 25. September in Nagasaki an und verbrachte bis zur Abreise am 31. Oktober 1692 zwei Jahre in Japan. In dieser Zeit nahm er an den beiden Reisen des niederländischen Leiters der Handelsniederlassung Deshima (Dejima)[1] zum Hofe des Shôgun teil. Sowohl in Nagasaki als auch während der Fahrt nach Edo, heute Tokio, betrieb dieser, dank langer Reisen im Vergleichen erfahrene Beobachter umfassende Studien zu Land, Fauna und Flora, Gesellschaft, Politik, Geschichte, bisweilen bis in kleinste Bereiche des Lebens und der Erziehung der Japaner. Obwohl Kaempfers Aufenthalt in Japan nur zwei Jahre dauerte, nötigen uns die reiche Materialsammlung wie auch die systematische Forschungsweise großen Respekt ab. Dieser wächst um ein weiteres, wenn man bedenkt, daß er kein Japanisch sprach und sein Leben in der Faktorei der Verenigden Oostindischen Compagnie (VOC) vielerlei Beschränkungen unterlag.

Lange Jahre war die Identität seines japanischen Gehilfen, ohne den er eine solche Ernte nicht hätte einfahren können, in Dunkelheit gehüllt. Erst 1990 entdeckte man Belege im Tagebuch der Faktorei Deshima wie auch im Kaempferschen Nachlaß, die dieses Rätsel endlich lösten. Kaempfers Assistent Gen'emon Eisei Imamura (1671 - 1736) war japanischen Forschern nicht unbekannt. Schon zuvor hatte er als Dolmetscher und Übersetzer in einigen bedeutsamen Angelegenheiten des frühen 18. Jahrhunderts das Interesse der Historiker auf sich gezogen.[2] Der nun zutage getretene zweijährige Umgang des jungen Imamura mit Kaempfer ist für das bessere Verständnis der Aktivitäten und Reifung beider Persönlichkeiten von großer Bedeutung.[3]

 

 

 Kaempfers Plan zur Materialsammlung und seine japanischen Kontaktpersonen

Im Vorwort zum "Heutigen Japan" beschreibt Kaempfer unter anderem den Charakter und Wissensdurst der Japaner:

"Zudem sind Sie, ohngeachtet ihres Hochmuts und kriegerischen Art, eine freundseelige conversable und so neugierige Nation, als eine auf der Welt zu finden, und daher zur Gemeinschafft und Vertrauligkeit, mit auswertigen Völckern, von Natur geneigt, und insonderheit dero Historien, Künste und Wissenschafften sehr begierig."

Und weiter heißt es zur Lage des Personals der niederländischen Handelsniederlassung und zu deren Wahrnehmung durch die Einheimischen:

"Da wir aber nuhr Kauffleüte sind, die sie in die unterste Range der Menschen stellen; über daß, als verdächtige Gäste unter ihnen in Verhafft leben, so ist nötig umb diese Gebuhrt ihm verbindlich zumachen, daß man allerdings nach dero hochmütigen und nutz süchtigen Geiste sein Comportement einrichte, und in ihrer Sucht sich wilfertig und liberal erweise."[4]

Kaempfer, der unter diesen Verhältnissen Informationen zu sammeln suchte, erkannte, daß er "ihren Wünschen sich gefällig und zuvorkommend bezeugen" mußte, wenn er "diese so stolze Menschenart sich verbindlich machen, und etwas von ihr erhalten" wollte. Und so wandte er denn "diese Mittel" an und erwarb sich "dadurch die Vertraulichkeit" der "Vorgesetzten und Dolmetscher". Was dazu führte, daß sie Deshima und "besonders" "sein Haus täglich" besuchten, und er "so glücklich gewesen" ist, "mit ihnen in eine so genaue Verbindung zu kommen, als noch kein Europäer", seit der Einrichtung des niederländisch-japanischen Handels "sich rühmen" konnte. Nach dieser von Eigenlob nicht ganz freien Einführung beschreibt er die konkrete Form der Kontakte:

"Durch dieses Mittel habe ich das Glück sothaner Vertrauligkeit beÿ den Vorstehern und Tolmetschen unserer Nation, welche unseren Wohnplatz Desima und mein Haus täglich besuchet, mir erworben und nach Wundsch genoßen; wahrlich vor anderen, so jemahlen beÿ unser so vieljährigen Ausschließung alhier verweilet haben. Dan, in dem ich ihnen mit meiner Profession, Artzneÿ und geringem Unterricht in Astronomia und Mathesi (: unter cordialer mittheilung europæischen Liquers :) willfertig und ohne Entgeld gedienet, habe ich im Fragen und Erkundigen ihrer einheimischen, natur- welt- und geistlichen Sachen, eine Vollkommene freÿheit gebraucht; und hatt keiner nach seiner besten Wissenschafft mir Nachricht Zugeben (: selbst in verbottenen Dingen, wan er allein beÿ mir gewesen :) niemahls geweigert."[5]

Die durch freien Unterricht und freundliche Bewirtung täglich erhaltenen Informationen haben ihm zwar "ein Vieles genützet", reichten aber nicht aus zu einer "gnugsahmen Beschreibung". Und so war es "ein ungemeines Glük", daß er einen etwa 24jährigen wißbegierigen Schüler fand, der ihm als Diener beigegeben wurde. Kaempfer begann unverzüglich mit der Holländisch-Ausbildung dieses fähigen jungen Mannes und setzte ihn mit großem Erfolg als Assistenten beim Sammeln, Untersuchen und Auswerten von Informationen und Materialien ein. Bis 1990 war der Name dieses japanischen Gehilfen nicht bekannt. Man vermutete aber bereits, daß es sich um den Sohn eines Dolmetschers handeln müsse. Kaempfer erwähnt zwar die Namen einiger Sprachmittler wie Shôdayu Motoki, Shingobe Narabayashi, Tarôemon Motoki, Rokuzaemon Nakayama, mit denen er wohl einen engeren Umgang pflegte, doch verschwieg ausgerechnet den Namen jenes jungen Mannes, der die Abfassung seines Japanwerkes erst möglich gemacht hatte. Wahrscheinlich tat er das aus der Sorge, daß die japanischen Behörden zu drakonischen Vergeltungsmaßnahmen greifen würden.

Im Dezember 1990, als man im Tokioter Santory-Kunstmuseum eine Kaempfer-Ausstellung "Die Genroku-Ära[6] aus der Sicht eines Deutschen"[7] veranstaltete, befand sich unter den von der British Library beigesteuerten Materialien ein handbeschriebenes Blatt (33,5 x 46,0 cm), das besagten jungen Mann als Gen'emon Imamura auswies.[8] Da es zu diesem Zeitpunkt noch niemandem gelungen war, die auch für Japaner überaus schwierige Pinselschrift zu erschließen, entzifferte ich den Text anhand des ausgestellten Originals in mühevoller Arbeit. Es handelt sich um eine Bürgschaft für Kaempfers Gehilfen, die an anderer Stelle publiziert wurde.[9]

 

 

 Zur Bürgschaft für Imamura Gen'emon

Aus der japanischen Angabe "Namensstempel" unter den Namen am Ende des Blattes erkennen wir, daß es sich bei diesem Text um eine Abschrift handelt, die anhand eines gestempelten Originals angefertigt worden war. Als Vater der Person, der die Bürgschaft gilt, wird Ichizaemon Imamura genannt. Seine Nachkommen dienten über Generationen hinweg bis zur Auflösung der Handelsniederlassung als Dolmetscher auf Deshima, und noch heute hütet die Familie zahlreiche Objekte aus vergangenen Zeiten. Dem "Stammbuch" der Imamuras zufolge hatte Ichizaemon damals die Position eines "Kleines Hauptes der Unterdolmetscher" inne. Die Zahl der Unterdolmetscher, die im Rang unter den offiziellen "Holland-Dolmetschern" standen, schwankte zwischen einigen Dutzend und etwa hundert Personen. Sie erhielten für ihre Dienste bei den Handelsgeschäften der Niederländer ein sogenanntes "Mundgeld". Jeweils zwölf von ihnen wurden zum "Kleinen Haupt" gewählt. Ichizaemon Imamura übte dieses Amt bis zum Jahre 1694 aus.

Gebürgt wird für den "Sohn Gen'emon". Dieser wurde am 5. Tag des 2. Monats im 11. Jahr der Regierungsdevise Kanbun (d.h. am 7.11.1671) in Nagasaki geborenen. Seine Mutter soll eine Tochter von Jirôemon Yamaguchi gewesen sein. Die Religionsgabe wird dadurch bestätigt, daß das Grab der Familie Imamura noch heute im Daion-Tempel der buddhistischen Jôdô-Sekte liegt. Entgegen dem in der Bürgschaft genannten Alter war Imamura im 5. Jahr Genroku, d.h. 1692, allerdings nicht zwanzig sondern zweiundzwanzig Jahre alt. Die Handelsniederlassung Deshima kannte er bis in die hintersten Winkel, denn seit seiner Kindheit durfte er wie alle Dolmetschersöhne frei ein- und ausgehen. Da er nun als "Diener im Zimmer von Kaempfer" angestellt war, darf man annehmen, daß er sich bereits auf holländisch unterhalten und auch dolmetschen konnte.

Als Bürge fungierte Yajirô Irako, ein Bekannter aus demselben Stadtviertel Motofurukawa. Irako bürgt für Imamura und verspricht dafür zu sorgen, daß letzterer diverse Gebote und Erlässe einhält. In der Bürgschaft sind diese in drei Abschnitten zusammengefaßt, die sich unter inhaltlichen Gesichtspunkten in zehn Punkte auflösen lassen:

1. Imamura ist kein Anhänger des verbotenen Christentums.
2. Imamura wird sich nicht gegen die der Faktorei Deshima auferlegten "Hohen Erlässe" wenden.
3. Imamura wird sogfältig auf die Brandverhütung im Zimmer des Holländers achten.
4. Imamura wird über welche Angelegenheit auch immer keine heimlichen Gespräche mit dem Holländer führen.
5. Imamura wird von Japanern weder Geld noch irgendwelche Güter and die Holländer weiterleiten oder vermitteln.
6. Imamura wird den Holländern keine verbotenen Güter verkaufen oder oder zulassen, daß die Niederländer solche Güter erwerben.
7. Imamura wird, auch wenn ihn die Holländer darum bitten, nicht die kleinste Menge an Dingen aus Deshima mitnehmen und in Nagasaki für sie verkaufen.
8. Imamura wird keinerlei Absprachen mit den Holländern treffen, keinerlei Mittel finden keine Güter verstecken, über die Umgebungsmauer bringen, in den Taschen nach außen mitnehmen oder während der Zeit des Ent- und Beladens der Schiffe beiseite schaffen.
9. Imamura wird den Holländern keinerlei Vorgehensweise empfehlen, die vor ihnen zu verbergen ist.
10. Falls ihn die Holländer um derartige Dinge angehen, wird Imamura dies unverzüglich melden.

Der Adressat der Bürgschaft ist der Ehrenwerte Herr Gibuemon Yoshikawa - wie man aus Kaempfers eigenhändig in die Abschrift eingefügte Notiz "Desima Ottona" ersieht, der damalige Vorsteher (ottona) von Deshima. In der Organisation der Stadt Nagasaki waren diese Personen für das ihnen unterstellte Viertel verantwortlich, weshalb die Europäer sie als Bürgermeister bezeichnete. Die in einer Flußmündung in der Form eines Fächers aufgeschüttete Insel Deshima, auf der die Ostindische Compagnie unter strenger Überwachung ihre Faktorei unterhalten durfte, galt verwaltungsmäßig als ein eigenständiges Stadtviertel. Es unterschied sich von den anderen Stadtteilen allerdings darin, daß hier die Häuser lediglich vermietet wurden.

Auf den ersten Blick scheint es, als ob die Bürgschaft auf den siebten Monat des fünften Jahres der Regierungsdevise Genroku datiert ist, was im westlichen Kalender dem August 1991 entspricht. Da Kaempfer am 31. Oktober jenes Jahres (im Mondkalener der 22.9.) Japan verließ, wäre dieser Text mithin nur zwei Monate vor der Abreise verfaßt worden. Bei genauerer Prüfung erkennt man jedoch, daß diese, von einer anderen Hand gepinselten Zeichen das ursprüngliche Datum überdecken. Eigentlich stand hier der "siebte Monat des dritten Jahres Genroku", was mit der Altersangabe von 20 Jahren übereinkommt und genau auf jenen August 1690 weist, in dem Kaempfer Japan erreichte.

Nun finden wir in Kaempfers Japan-Buch unter anderem ein Kapitel über "Plakate, Pässe und Freibriefe".[10] Ein Vergleich mit unserer Bürgschaftsabschrift zeigt, daß ein Teil hiervon in den achten Abschnitt jenes Kapitels eingeflossen war. Kaempfer erläuterte hierzu, daß in einem Buche des Bürgermeisters des Stadtteils Deshima ein Eid stehe, den alle Bedienten der Insel Deshima abzulegen hätten. Sie würden sich damit verpflichten, folgende Punkte einzuhalten:

"1) Denen Holländern[11] nicht zu dienen, ohne bei Tage. In keinen Diskours oder Umgang sich einzulassen mit der verbotenen Sekte der Christen. Nicht entgegen zu handeln einem gemachten Gesetze oder Befehle, die Insel Deshima angehend. Sorgfältig fürs Feuer zu seyn, wenn es in eines Holländers Behausung angegangen.
2) Sich mit den Holländern in keine vertraute Freundschaft oder besondere Gespräche, über was für eine Sache es auch seyn möge, einzulassen. Wenn ein Japaner euch bitten solte, einiges Geld oder Güter nach Desima zu bringen oder desselben von besagter Insel hinwegzubringen, solt ihr euch genau hüten, ihm in dergleichen Bitten zu wilfahren. Keine Gotsiosimono oder Contrebandewaaren zu verkaufen, viel weniger einer dem andern ein Geschenk davon zu machen.
3) Wenn ein Holländer euch bitten würde, etwas für ihn in der Stadt Nagasacki zu kaufen oder nach Desima zu überbringen, dasselbe nicht zu thun, noch entweder für euch selbst dasjenige zu kaufen, noch auch bequeme Maasregeln mit demselben zu verabreden, wie dergleichen bequemlich zu verhehlen, noch dieselben über die Mauer zu werfen, welche die Insel einschließet, noch dieselben in eurem Busen zu verstecken, noch zuerlauben, daß einige dergleichen Güter zusammengepackt und an Bord gebracht werden, zu der Zeit, wenn die holländischen Schiffe abseegeln wollen, noch zu dulden, daß einige der letzern Sachen, welche den Holländern gehören, in die Stadt gebracht und daselbst verkauft werden: und im Gegentheil, wo ihr wisset von einigen dergleichen Bemühungen oder Bitten, alsofort dasselbe anzumelden."[12]

 

 

 Gen'emon Imamura im Urteil Kaempfers

Kaempfer beschreibt den bei ihm als Diener eingestellten Imamura wiefolgt:

"So hatt mir aber das Glück über jenes eine andere Gelegenheit und erwünschtes Werckzeüg eines gelehrten Jünglings bescheret, durch welchen ich zu meinem Augenmerck gelanget, und die notitz einheimischer Sachen mit voller Erndte einnehmen können. Dieser in Japan- und Sinescher Schrifft und Wissenschafft gelehrter und yugleich lehr gieriger Student von etwa 24 Jahren, wurde beÿ meiner Ankunfft mir zu einem Diener gegeben, damit er in der Artzneÿ kunst etwas lernen müchte. der Ottona oder Regent unser Insel (: weil er von Ihm als meinem Handlanger in seinem Gebrechen träulich bedient wurde :) hatt mir diesen klugen Gesellen die gantze Zeit meines 2jahrigen Verbleibens aus sonderbahrer Freündschafft gelassen, auch 2 mahl mit mir nach dem kaÿserlichem Hoffe, und also beÿnahe das gantze Reich in die Länge 4 mahl durch zu reisen, vergönnet; Da solchen alten und kündigen Gästen die Aufwartung beÿ den Holländern, wenigstens so lange, niemahlen gestattet wird."[13]

Bemerkenswert auch die Unterrichtung in der holländischen Sprache, die Kaempfer seinem "schlauen" Schüler "grammatisch" beibrachte. Schon am Ende des ersten Jahres konnte Imamura nach Ansicht des stolzen Lehrers diese Sprache "schreiben, und weit besser reden" "als jemahls ein Japonischer Tolmetsch" zuvor. Dazu kamen Unterweisungen in der Anatomie und Medizin sowie ein recht ansehnlicher jährlicher Lohn. Für seine Zuwendungen wurde Kaempfer reichlich entlohnt. Imamura mußte ihm "von der Gelegenheit ihrer Landen, der Regierung, und des Hoffes, die Religionen, Geschichte voriger Zeitten, ihrer Familien und täglicher Vorfälle, gute Nachrichten aufsuchen" und "eröffnen". Da war dann kein Buch, das Kaempfer zu sehen verlangte, welches er ihm "nicht zugebracht", "erklähret und verteutschet hätte". Und weil Imamura Vieles, was er selbst nicht wußte, "von andern Leuten erkundigen, entlehnen, oder ankauffen" mußte, gab ihm Kaempfer dann einen "silbernen Schlüssel" sowie eine besondere Belohnung für die "so gefährliche Mühe".[14] "So theuer", resümiert der Lemgoer Weltreisende diese Bemühungen, "schwer und oft gefährlich mus ein Liebhaber bey jetziger Verfassung die Nachrichten von diesem verschlossenen Reiche einsamlen". Und in der Tat war die Beschaffung von Materialien und Informationen in Japan nicht ohne Risiko für beide.

 

 

 Die im Gesuch enthaltenen Verpflichtungen und Imamuras Aktivitäten

All die von Kaempfer nach Europa gebrachten japanischen Bücher, Preßbilder, Japankarten, Pläne der Städte Nagasaki, Kyoto und Edo, die zahlreichen Routenkarten, Skizzen vieler Landschaften und Gebäude bis hin zur Audienzhalle im Schloß zu Edo, die übersetzten Exzerpte aus japanischen Büchern und viele andere detaillierte Notizen belegen immer wieder, daß die Forderungen der Bürgschaft nicht eingehalten worden waren. Zugleich stellt sich die Frage, welche Exporteinschränkungen es damals in Japan gab. Wenn man die in den Jahren 1681, 1683, 1689, 1763, 1792, 1794, 1796, 1804, 1806, 1814, 1819, 1826, 1827, 1828, 1830, 1832 ergangenen Verbote einmal sortiert, kommt man auf eine Liste von 58 Objekten. Hier finden wir vergleichsweise plausible Punkte wie einheimische Waffen, in Japan angefertigte Schwerter holländischer Art, Karten, bestimmte Seiden- und Baumwollwebwaren, Silber, Öl, Münzen, Waagen, Kupfergewichte, Bilder von Schlössern usw. Was das Exportverbot von anderen Gegenständen wie Bilder von Feuerbestattungen, erotische Bilder, Bilder von Falken, Puppenfiguren von Reisenden, Soldaten, bebilderte Druckausgaben der 'Geschichte vom Prinzen Genji' u.ä. ausgelöst hatte, läßt sich jedoch schwer nachvollziehen. Anhand historischer Aufzeichnungen stellte sich dann auch heraus, daß 24 der 58 Punkte später wieder freigegeben wurden.

Der verbliebene harte Kern war den Europäern bestens bekannt. So lesen wir im Tagebuch des schwedischen Arztes Carl Peter Thunberg, der von 1775 bis 1776 als Faktoreiarzt in Japan weilte:

"Folgende Sachen dürfen, einem sehr strengen Verbothe gemäß, gar nicht, weder von Privat=Persohnen, noch von der Compagnie, ausgeführt werden: Japanisches Geld, Japanische Landkarten und Risse von Städten, und Japanische Bücher, besonders solche, die Nachrichten vom Lande und dessen Regierung enthalten; ferner alle Arten von Waffen und Gewehr, insonderheit aber ihre vortrefflichen Säbel, die an Güte und Stärke, so wie an Werth, alle Säbel, die sonst irgendwo verfertigt werden, übertreffen."[15]

Wie immer man es auch drehen und wenden mag: Imamuras Aktivitäten standen in Widerspruch zu den Verpflichtungspunkten 2, 4, 6, 8, 9 und 10 der Bürgschaft. Im Falle der Punkte 4, 6 und 10 ist der Konflikt offenkundig. Hinsichtlich der Punkte 8 und 9 sind die Indizien ziemlich handfest, bei Punkt 2 gibt es eine Reihe von Verdachtsmomenten, und auch bei Punkt 5 und 7 wird man gewisse Zweifel nicht los.

 

 

 Einige Beispiele für Imamuras Dienste

Bezüglich der von ihm gewünschten Schriften schreibt Kaempfer, daß Imamura diese für ihn gekauft oder geliehen habe. Die erstandenen Exemplare gingen direkt in Kaempfers Sammlung ein. Bei ausgeliehenen Texten mußte man, falls Kaempfer ein Interesse daran hatte, Abschriften anfertigen. Wenn Imamura überfordert war oder aus anderen Gründen die Abschrift nicht anfertigen konnte, bat man wahrscheinlich weitere Personen um Hilfe.

Die Beantwortung der Fragen Kaempfers verlief sehr ähnlich. Falls es in seinen Kräften stand, gab Imamura sofort die gewünschte Auskunft. Ansonsten ging man Dritte um Rat an, wobei Kaempfers 'silberener Schlüssel' manche Pforte öffnete. Die meisten der japanischen Schriften in Kaempfers Sammlung hatte Imamura gekauft oder von anderen besorgt. Es bereitete ihm erhebliche Mühe, die verlangten zahlreichen Materialien durch die Torkontrollen in die Faktorei Deshima zu bringen, was Kaempfer nur allzu gut wußte. Nachfolgend einige Beispiele, welche die Art der Kooperation besonders gut dokumentieren.

 

 

 "Rot-Siegel-Dokument" und "Iroha-Silbenalphabete"

Im Jahre 1609 hatte der erste Shôgun der Tokugawa-Dynastie, Ieyasu Tokugawa, der Ostindischen Compagnie eine durch einen roten Siegelstempel beglaubigte Urkunde ausstellen lassen, die den niederländischen Schiffen die Landung in Japan gewährte und die Grundbedingungen ihres Handels und Wandes im Lande festlegte. Auch Kaempfer wurde auf dieses für die Faktorei überaus wichtige Dokument aufmerksam. Zunächst ließ er den in chinesischen Charakteren abgefaßten Text in einfachere japanische Katakana-Silbenschriftzeichen umschreiben. Eine Analyse dieser Zeichen ergab, daß sie von Imamura geschrieben waren. Neben diesen Silbenzeichen notierte Kaempfer nun die jeweilige Lautung in lateinischen Buchstaben und versuchte aufgrund der Erklärungen Imamuras eine deutsche Übersetzung.[16]

Unter dem in London aufbewahrten Kaempfer-Nachlaß findet man desweiteren ein nach den ersten drei Zeichen des traditionellen japanischen Silbenalphabets i, ro und ha benanntes Büchlein "Iroha". Auch hier steht neben den gedruckten Zeichen die von Kaempfer beigefügte Lesung in lateinischen Buchstaben, woraus wir ersehen, daß Imamura seinen Holländisch-Lehrer in die Grundzüge der japanischen Sprache und Schrift eingeweiht hatte.[17]

 

 

 Edo-Kagami ("Edo-Spiegel")

Dieses alljährlich überarbeitete und neu aufgelegte Büchlein verzeichnet für die Spitzenbeamten und Fürsten der Tokugawa-Regierung in Edo den jeweiligen Rang, das Einkommen, den Sitz, das Familienwappen und die Residenz in Edo.[18] Es war für Kaempfer eine überaus wichtige Quelle, um die Organisation der japanischen Gesellschaft zu verstehen. In seiner nach Europa gebrachten Ausgabe findet man u.a. das groß abgedruckte Wappen der Tokugawa-Familie. Dieses stand eigentlich an erster Stelle der Gegenstände, welche unter keinen Umständen aus dem Land gebracht werden durften.

 

 

 Miniatur-Schrein mit Tausendhände-Kannon

Die in einem 8,5 cm hohen Miniatur-Schrein aufbewahrte Tausendhände-Kannon strahlt in ihrem Blattgoldüberzug eine große Würde und Heiligkeit aus.[19] Das Interesse des Pfarrersohnes Kaempfer an religiösen Dingen war groß. Schon auf der langen Reise nach Ostasien hatte er sich allerorten um Materialien und Informationen zu den einheimischen Religionen bemüht. In seinem Japan-Werk beschreibt er besonders den Shintoismus und Buddhismus überaus eingehend.

Auf der Rückreise von Edo nach Nagasaki fertigte er in Kyoto von der großen Buddha-Statue des Hôkô-Tempels eine Skizze an und versah sie mit Anmerkungen zu deren einzelnen Komponenten.[20] Der einzige, der in der zur Verfügung stehenden knappen Zeit dabei helfen konnte, war Imamura. Buddha-Abbildungen wie auch Statuen standen auf der oben erwähnten Ausfuhrverbotsliste, so daß Kaempfer mit deren Besitz und Herausschmuggeln ein außerordentliches Risiko einging.

 

 

 Karten und Bilder

Auf der von Kaempfer angefertigten Karte Nagasakis erkennt man die Namen der wichtigsten Einrichtungen von Stadt und Bucht sowie der Verteidigungslokalitäten und Einrichtungen. Ein wenig verwunderlich ist es doch, daß Imamura, der eigentlich verpflichtet war, stets ein Auge auf Kaempfer zu haben, selbst über derartige, geheim zu haltende Angelegenheiten Auskunft gab. Kaempfers systematisches Verständnis der geographischen Verhältnisse Japan, der Verkehrswege zu Land und zu Wasser und der Lage der Städte wäre ohne den Erwerb zahlreicher einheimischer Materialien kaum denkbar gewesen. Für seinen Entwurf der Japankarte benutzte er die "Neue Groß-Japan-Karte" (Shinpan Nippon koku ôezu), für die Karte der Reiseroute von Osaka nach Edo das "Edo-Reisebuch" (Edo dôchûki), die "Reiseillustrationen" (Dôchu– kaibun ezu), die "Bilder der Land- und Meer-Sehenswürdigkeiten in allen Fürstentümern" (Sho-koku kairiku anken ezu), die erweiterte Neuausgabe des "Großbildes von Kyôto" (Shinsen zôho kyô ôezu) und anderes mehr.[21] Alle diese Materialien hätten eigentlich nicht in seine Hände gelangen dürfen.

 

 

 Zum beiderseitigen Nutzen

Wie oben gezeigt, hat Kaempfer dank seines Geschicks im Umgang mit Menschen von den Beamten und Dolmetschern in Nagasaki zahlreiche Informationen und Materialien über Bräuche, Religionen, Pflanzen und Tiere Japans erhalten. Dank des fähigen, jungen Gen'emon Imamura konnte er die Materialien nicht nur planmäßiger sammeln sondern auch systematisch und umfassend auswerten. Gleiches gilt auch für die vielfältigen Beobachtungen während der Reise zum Hofe. Die so gewonnenen Einsichten und Informationen gingen in einen Teil der "Amoenitates Exoticae"[22] sowie in das Manuskript "Heutiges Japan" (History of Japan)[23] ein.

Für Imamura gab es zunächst eine ansehnliche finanzielle Entlohnung sowie allerlei Kenntnisse und Techniken zur westlichen Medizin und Pharmazeutik. Doch wichtiger als dies waren letztlich die erworbenen Holländisch-Kenntnisse. Zwar geschah das im Interesse der Kaempferschen Forschungsvorhaben, doch lernte Imamura die holländische Sprache direkt und auf grammatische Weise. Die Früchte dieser Ausbildung liegen in großer Zahl und Anschaulichkeit vor: wie Imamura Kaempfers vielerlei Wünsche und Aufträge entgegennahm, schwierige und systematische Fragen verstehen lernte und beantwortete, wie er unablässig und unter erheblicher Gefahr großer Mengen an Materialien sammelte. An Imamuras sprachlichen Fähigkeiten, besonders in der mündlichen Kommunikation sowie beim Übersetzen von Texten gibt es keinerlei Zweifel.

In einer "Japanisch-Holländische Sprechweisen" (Oranda shôi) betitelten Abschrift eines alten Glossars finden wir für das japanische Wort "bugyô" die Übersetzung "gôfuruniuru" (gouverneur), für "daikan" den "rentemeisutoru" (ndl. rentmeester), für "ôtsu–ji" das Wort "oppurutoruku" (ndl. oppertolk). Solche Stichworte fehlen in dem berühmten, ab 1796 anhand François Halmas "Nederduits Woordenboek" verfaßten ersten niederländisch-japanischen Wörterbuch völlig. Offenbar handelt es sich bei der Handschrift um eine Art Dolmetscher-Notizbuch, in das die für den Verkehr zwischen den Niederländern und Japanern nützlichen Vokabeln eingetragen wurden.[24] Unter der Rubrik "Religionen" stößt man auf einige in japanischen Silbenzeichnen notierte Wörter wie "heiden" (ndl. heiden), "yôden" (ndl. juden), "kirisuten" (ndl. christen), "makometto" (Mohamed) und "sokoratesu" (Sokrates). Dies alles sind Termini und Namen, welche Japaner in jenen Zeiten des Reichsabschlusses und Christenverbotes als gefährlich erachteten und in ihren Gesprächen vermieden. Besonders bemerkenswert die Erklärung zu Sokrates, zu dem es heißt:

Sokrates@ Seine Lehre kommt vom Himmel und ähnelt der Lehre von Konfuzius, sagt Kenfuru.

Der Gewährsmann kannte sich offenbar in der ostasiatischen Philosophie und Religion aus. "Kenfuru" ist kein anderer als Kaempfer und der Verfasser des Glossars Gen'emon Imamura. Man sieht, daß die beiden allerlei Termini und deren Übersetzung besprochen haben mußten. Die von ihnen gefundenen Übersetzungen wurden unter den Dolmetschern und später auch unter den japanischen "Holland-Gelehrten" (rangakusha) kopiert und übten seinerzeit einen großen Einfluß aus.So brachte die Begegnung zwischen Kaempfer und Imamura auch einen Nutzen für Dolmetscher und andere gebildete Japaner.

 

Imamura Genemon Eisei
Abb. 1  Imamura Gen'emon Eisei (Hängerolle im Besitz von Hideaki Imamura)[25]

 

 

 

 Die Geburt der Dolmetscher-Dynastie Imamura

In den Jahren 1697/98 richtete die Tokugawa-Regierung in Nagasaki das sogenannte "Nagasaki-Versammlungshaus" (Nagasaki Kaisho) ein, eine Institution, die sich mit dem Handel, den Finanzen und Problemen des Transports befassen sollte. Sozusagen am Vorabend dieser bedeutenden Entscheidung, am 22.9.1695 (15.Tag, 8. Monat, 8. Jahr Genroku), wurde auf Deshima eine Prüfung in holländischer Sprache und westlicher Chirurgie durchgeführt, um junge, fähige Dolmetscher einzustellen. Nach langen Dekaden des Hin und Her, in denen das Interesse der Regierung an der Ostindischen Compagnie immer wieder zu schwinden drohte, hatte man sich in Edo schließlich doch zu ein wenig mehr Engagement in den niederländisch-japanischen Beeziehungen durchgerungen. Vor den Augen der japanischen Prüfer, des Faktoreileiters Hendrik Dijkmans und des Arztes Matthijs Racquet erzielte der junge Gen'emon Imamura hervorragen Ergebnisse, was Dijkman in seinem Diensttagebuch am 26.9.1696 festhielt.

Vier Tage darauf wurde Gen'emon zum "Übungsdolmetscher" (keiko tsûji) ernannt, was angesichts seines bisherigen Werdegangs und Alters den gewöhnlichen Rahmen weit überschritt. Diese Berufung in ein offizielles Amt markiert die Geburt der Dolmetscherfamilie Imamura, deren männliche Nachkommen über Generationen hinweg auf Deshima als beamtete Dolmetscher dienten. Nicht nur die Umstände der Prüfung und Ernennung waren außergewöhnlich, auch Gen'emons weitere Karriere machte rasche Fortschritte und zeigte, wie wichtig inzwischen die holländische Sprache und das Amt der Dolmetscher immer wichtiger wurden. Nicht ganz außer acht lassen sollte man allerdings auch das gute Verhältnis Gen'emons zu Herrn Yoshikawa, jenem Vorsteher des Viertels Deshima, der seinerzeit den jungen Mann an Kaempfer vermittelt hatte und gewiß seine guten Beziehung spielen ließ.

 

 

 Der "Sidotti-Zwischenfall" und Imamuras Dienste für Hakuseki Arai.

Im Oktober 1708 wurde auf der Insel Yakushima ein Europäer festgenommen und nach Nagasaki transportiert, wo der Gouverneur der direkt der Zentralregierung unterstellten Stadt nun überlegte, wer die Vernehmung dieses gegen alle Verbote angelandeten Missionars Giovanni Battista Sidotti (1668 -1715) übernehmen soll. Die Entscheidung fiel schnell auf den sprachbegabten Imamura. Denn der Italiener Sidotti verstand kein Holländisch, und niemand in Japan sprach italienisch. Wie sich gezeigt hatte, blieb als einzig mögliches Medium die lateinische Sprache. Auf Anordnung des Gouverneurs mußte Imamura nun so intensiv wie nur irgend möglich sich in dieser Sprache unterweisen lassen. Zum Lehrer bestimmte man den Niederländer Adriaen Douw, einen der wenigen Europäer auf Deshima, die eine bessere Schulbildung genossen hatten. Die Angelegenheit eilte derart, daß Imamura nach den am Tage wohl unter größten Schwierigkeiten durchgeführten Anhörungen Sidottis, seine Lateinstudien des Nachts fortzusetzen pflegte.[26]

Im folgenden Jahr verlegte man Sidotti nach Edo, wo der konfuzianische Gelehrte Hakuseki Arai (1657 - 1725) die weiteren Vernehmungen leitete.[27] Natürlich reiste Imamura als hauptverantwortlicher Dolmetscher mit. Konnte er in Nagasaki noch bei dem einen oder anderen Europäer der Faktorei nachfragen, so gab es in der Hofstadt keinerlei Unterstützung dieser Art. Mehr noch, in Edo saßen sich zwei hochgebildete Gelehrte gegenüber, was das Dolmetschen zu einer kaum erträglichen Strapaze machte. Arai zeigte denn auch tiefen Respekt und großes Mitgefühl für den überlasteten Mittler.

Imamura mußte auf Anforderung Arais mehrfach über viele Stunden dessen zahlreichen Fragen aufzeichnen und die Antworten Sidottis schriftlich zusammenfassen. Diese Aufzeichnungen nutzte Arai bei der Abfassung des berühmten "Vom Westen Gehörtes" (Seiyô kibun) wie auch der "Untersuchung der Angelegenheiten des Auslandes" (Gaikoku no koto shirabegaki). Imamura, der offenbar mit einem solchen Auftrag gerechnet hatte, nahm in kluger Voraussicht aus Nagasaki bereits seine in Nagasaki angefertigen diversen Aufzeichnungen mit und nutzte diese bei der Durchführung der Vernehmungen wie auch der Abfassung des Berichts.[28]

Nach dieser mühevollen Arbeit kehrte Imamura mit dem Einverständnis Arais nach Nagasaki zurück. Im Jahre 1716, als seine zweite Tochter einen Gruppenvorsteher des japanischen Deshima-Personals heiratete, ließ sich, obwohl die alljährliche Hofreise des Faktoreileiters unmittelbar bevorstand und eigentlich Not am Mann war, zwei Tage lang keiner der Dolmetscher auf Deshima blicken, notierte G. Boudaen ziemlich indigniert im Diensttagebuch. Ganz ohne Zweifel hatte Imamura inzwischen eine überragende Stellung in der Dolmetscher-Gesellschaft Nagasakis errungen.

 

 

 Der Pferdeimport durch den Shôgun Yoshimune

Im Jahr 1716 übernahm der Yoshimune Tokugawa als achter Shôgun der Dynastie die Herrschaft über das Land, ein Mann mit weitem Blick, der nach Kräften die praktischen Wissenschaften förderte, so daß vielerlei Bestellungen und Wünsche an die Ostindische Compagnie ergingen. Besonders die hochgewachsenen persischen Pferde hatten es ihm angetan, und wieder waren Imamuras Dienste gefragt.[29] Als Sonderdolmetscher wurde er mit der Abfassung eines Bestellschreibens beauftragt, das mit seinen beigefügten wunderschönen Pferde-Aquarellen noch heute den Betrachter entzückt. Als dann die Tiere 1725 in Nagasaki eintrafen, oblag deren Überprüfung Imamura. Er mußte sich desweiteren bei den Europäern kundig machen und für den Sh ôgun eine Schrift über die Zucht, Krankheiten und Therapien sowie die dazu benötigten Medikamente verfassen. Derlei aufreibende Aufträge galt neben den ohnehin vielfältigen Tätigkeiten als Deshima-Dolmetscher zu erledigen.

Während des Schiffstransports nach Japan wurden die kostbaren Tieren von dem aus Hamburg stammenden Hans Jürgen Keyser (1696 - 1736)[30] versorgt. Keyser kehrte 1727 nach Batavia zurück, doch sein Nachfolger starb, so daß er noch im selben Jahr wieder nach Japan kam. Schon auf Deshima gab er Reituntericht. 1729 holte man ihn nach Edo. Eigentlich mußten die Europäer sich dort mit der etwas engen Nagasaki-Herberge in der Stadt begnügen, doch als Keyser eintraf, wurde er sogar innerhalb des Schlosses untergebracht und mit ihm Imamura - angesichts ihres Ranges für beide eine außergewöhnliche Ehre. Keyser führte zwei Bücher über Therapien und Rezepte mit sich, mit deren Übersetzung Imamura beauftragt wurde. Doch zu jener Zeit existierte im Lande noch keine etablierte Veterinärmedizin mit allgemein anerkannter Fachterminologie. Wieder war Pionierarbeit auf einem neuen Feld in kürzester Zeit zu leisten. Der größte Teil dieser Übersetzung findet sich zusammen mit den Antworten Keyers auf vielerlei Fragen von hochrangigen Würdenträgern in der Schrift "Notwendiges Handbuch westlicher Erklärungen" (Seisetsu hakuraku hikkei). Zwar wird heute gewöhnlich die Übersetzung des anatomischen Werkes "Neues Buch zur Zerlegung des Körpers" (Kaitai Shinsho) durch Genpaku Sugita und seine Gefährten als revolutionäre Wende und Zeuge der Entstehung der wissenschaftlichen "Hollandkunde" genannt. Doch war das ein halbes Jahrhundert zuvor von Imamura zusammengefaßte Werk nicht weniger wissenschaftlich und epochemachend.

Als Keyser dann die europäischen Reitkünste vor den Augen des Shôgun demonstrierte, dolmetschte Imamura die Fragen und Erklärungen. Beide wurden vom überhaus zufriedenen Landesherren reichlich belohnt.

Schließlich stieg der so verdiente Sprachmittler zum "Dolmetscher-Aufseher" (tsu–ji metsuke) auf. Dieses Amt wie auch das des "Dolmetschers im Regierungsauftrag" (goyô-kata) waren die höchsten Positionen, die ein Mann seiner Profession erreichen konnte. Seit seiner Ernennung zum "Übungsdolmetscher" im Jahre 1695 trug er neunmal als "Jahresdolmetscher" die Hauptveranwortung auf Deshima und und leitete sechsmal als "Edo-Dolmetscher" die schwierige Sprachmittlung am Hofe. Natürlich handelt es im Falle Siddotis und Keysers um besonders herausragende Aufträge, doch auch sonst mußte der sprachmächtige Imamura Fragen und Antworten vermitteln und bearbeiten, wann immer er in die Hofstadt zog.

Im Jahre 1736 bat er wegen diverser Leiden um Befreiung vom Dienst. Zwar entschlug man ihn vom Amt des Dolmetscher-Aufsehers, doch blieb nach wie vor die Funktion als Dolmetscher im Regierungsauftrag. Doch sollte angesichts seines Alters allmählich die Nachfolge geregelt werden. Imamuras ältester Sohn stieg zum Rang eines Unterdolmetschers auf, der zweite Sohn wurde als Übungsdolmetscher erstmals in eine offizielle Position berufen. Nicht lange danach, am 18. Tag des 8. Monats (22.9.1736) verschied Imamura im Alter von 66 Jahren und wurde zu Nagasaki beigesetzt, wo er auch heute noch ruht.

Dank des Wissens und Verständnisses, das Kaempfer durch den jungen Gen'emon erlangt hatte, konnten die Europäer erstmals einen systematischen Überblick über das ferne Inselreich gewinnen. Der Einfluß der Kaempferschen Schriften auf das Japanbild des Westens wie auch die späteren Beschreibungen von Land und Leuten war groß und nachhaltig. Auf der anderen Seite hatte Imamura sich durch Kaempfers Unterricht beachtliche sprachliche und sachkundliche Kenntnisse angeeignet. Sein gesamtes Leben war von der Vermittlung der Welt nach Japan geprägt. Auf dem Gebiet der sogenannten Hollandkunde (Rangaku) trugen diese Kenntnisse und Fähigkeiten erheblich zur Hebung des Niveaus bei. So kommt der Begegnung dieser beiden Persönlichkeiten sowohl im Hinblick auf Europa als auch das verschlossene Japan eine überragende Bedeutung zu.

(deutsche Bearbeitung Wolfgang Michel)


[1]    Im modernen Japanisch Dejima, in westlichen Texten meist Deshima.
[2]    Akitsune Imamura: Rangaku no sô Imamura Eisei (Der Ahnherr der Hollandkunde Eisei Imamura). Asahi Shinbunsha, Tokyo 1942. Kazuo Katagiri: Oranda tsûji no kenkyû (Studien zu den Holland-Dolmetschern). Yoshikawa Kôbunkan, Tokyo 1985.
[3]    Neuere Publikationen hierzu:Paul van der Velde: Die Achse, um die sich alles dreht. Imamura Gen'eimon Eisei [1671-1736]. Dolmetscher und ebenbürtiger "Diener" Kaempfers. In: Engelbert Kaempfer-Werk und Wirkung. Hg. von Detlef Haberland. Franz Steiner, Stuttgart 1993, S.174-193. Paul van der Velde: The Interpreter Interpreted: Kaempfer's Japanese Collaborator Imamura Genemon Eisei. In: The Furthest Goal. Engelbert Kaempfer's Encounter with Tokugawa Japan. Hg. Beatrice Bodart-Bailey / Derek Massarella. Japan Libary, Folkstone 1995. S. 44 - 58. Kazuo Katagiri: Kenperu to sono joshu Imamura Gen'emon. In: Gakutô, Vol.88 (1991), Nr.5, S.14 - 21. Katagiri, Kazuo: Kenperu to Oranda tsûji Imamura Gen'emon (Engelbert Kämpfer and the Dutch Interpreter Imamura Gen'emon). In: Yôgakushi Kenkyû (Journal of the History of Western Learning), No.8 (1991), S. 1 - 14.
    Eine umfassende neue Biographie findet man in: Katagiri, Kazuo: Oranda tsûji Imamura Gen'emon Eisei. Maruzen Library Nr. 145, Maruzen, Tokyo 1995.
[4]    British Library, Sloane Collection, Nr. 3060, fol. 4r.
[5]    British Library, Sloane Collection, Nr. 3060, fol. 4r.
[6]    Genroku: Regierungsdevise der Jahre 1688 - 1703.
[7]    Deutsches Institut für Japanstudien (Hrsg.): Doitsujin no mita Genroku jidai. Kenperu-ten (Kämpfer-Ausstellung - Die Genroku-Ära aus der Sicht eines Deutschen). Katalog, Tokyo 1990.
[8]    "Ukejô no koto" (Bürgschaft): British Libary, Oriental Collections, Or.14480/2. Erstmals abgedruckt im Ausstellungskatalog Doitsujin no mita Genroku jidai. Kenperu-ten, S. 76, Nr. 85. Siehe auch Yu-Ying Brown: Daiei Toshokan shozô Kenperu shôrai Nihon shiryô no igi. In: Doitsujin no mita Genroku jidai. Kenperu-ten , S.102 - 113. Yu-Ying Brown:Japanese Books and Manuscripts. Sloane's Japanese Library and the making of the History of Japan. In: Arthur MacGregor (ed.): Sir Hans Sloane Collector, Scientist, Antiquary Founding Father of the British Museum. British Museum Press, London 1994, S. 278 - 290.
[9]    Katagiri, Kazuo: Oranda tsu&û#8211;ji Imamura Gen'emon Eisei, S. 21ff.
[10]    Engelbert Kaempfer, History of Japan. G. Scheuchzer (Übers.), London 1724, Book 4, Chap. 10. Leider fehlt im zugrundeliegenden Manuskript (British Library Sloane Collection Nr. 3062) das gesamte Kapitel. Wir finden es aber auch in der Dohmschen Ausgabe.
[11]    C.W. Dohm, der in seiner deutschen Ausgabe des Kampfer/Werks dieses Kapitel offensichtlich aus der englischen Ausgabe übersetzte, nimmt das Wort "Dutch" durchweg als "Deutsche".
[12]    Engelbert Kaempfer:Geschichte und Beschreibung von Japan. Christian W. Dohm (Hrsg.). Lemgo 1777/79. Nachdruck F.A. Brockhaus, Stuttgart 1964, Band II, S. 136.
[13]    British Library, Sloane Collection Nr. 3060, fol. 4v.
[14]    British Library, Sloane Collection Nr. 3060, fol. 4v., 5r.
[15]    Karl Peter Thunbergs Reise durch einen Theil von Europa, Afrika und Asien, hauptsächlich in Japan in den Jahren 1770 bis 1779. Aus dem Schwedischen frey übersetzt von Christian Heinrich Groskurd, Rector des Gymnasiums zu Stralsund. Nachdruck. Hrsg. u. eingel. von Eberhard Friese. Manutius Verlag, Heidelberg 1991. Band 2, S. 52.
[16]    Katagiri, Kazu: Imamura Gen'emon Eisei no hisseki wo motomete (Auf der Suche nach Gen'emon Eisei Imamuras eigenhändiger Schrift). In: Yôgakushi Kenkyû. Nr. 12, S. 123 - 134, Tokyo 1995.
[17]    British Library, Sloane Collection Nr. 3060, fol. 529v./530r.
[18]    Edo Kagami (Edo-Spiegel), British Library, Oriental Collections, Or.75.f.8
[19]    British Museum, Department of Japanese Antiquities, Sloane-Nr. 1078
[20]    British Library, Sloane Collection Nr. 3060, fol. 544. Tempel und Statue wurden später durch ein Erdbeben zerstört.
[21]    Eine repräsentative Auswahl findet sich im Katalog der Tokyoter Ausstellung von 1990, Doitsujin no mita Genroku jidai. Kenperu-ten.
[22]    Amoenitatum exoticarum politico-physico medicarum fasciculi quinque. Lemgo 1712.
[23]    British Library, Sloane Collection Nr. 3060. Die bisher vom Kaempferschen Japanwerk erschienenen Druckausgaben sind entweder Übersetzungen oder aber stark verändernde Bearbeitungen des Kaempferschen Manuskriptes.
[24]    Siehe hierzu Kazuo Katagiri:Oranda tsûji Imamura Gen'emon Eisei.
[25]    Siehe Hideaki Imamura:Oranda-tsûji Imamura Horike ni kansuru kôsatsu (Zu den Deshima Dolmetscher-Familien Imamura und Hori. Yôgakushi kenkyû. Nr. 13, S. 1 - 18, Tokyo 1996.
[26]    Zu den erst kürzlich gefundenen Notizen Imamuras bei dieser Vernehmung: Kazuo Katagiri: Shidocchi junmon 24kojô no hakken (Entdeckung von 24 Artikeln der Befragung Sidottis). In:Gakutô, Band 91, Nr.7, 1994.
[27]    Grant Goodman: Japan: The Dutch Experience. The Athlone Press, London, New Hampshire, 1986, S. 45f., 55f. Kate Wildman Nakai: Shogunal Politics:Arai Hakuseki and the Premises of Tokugawa Rule. Harvard University Press, Cambridge Mass., 1988.
[28]    Michio Miyazaki (Hrsg.): Arai Hakuseki: Seiyô kibun (Vom Westen Gehörtes). Heibonsha, Tokyo 1968. Michio Miyazaki: Arai Hakuseki no yôgaku to kaigai chishiki (Die Weststudien von Arai Hakuseki und dessen Wissen über das Ausland). Yoshikawa Kôbunkan, Tokyo 1973.
[29]    Zu diesem Import persischer Pferde siehe: Seiichi Iwao: Meiji izen yôma no yunyû to zôshoku (Import and Züchtung westlicher Pferde in der Zeit vor der Meiji-Reform). Yoshikawa Kôbunkan, Tokyo 1980.
[30]    In den niederländischen Quellen mal als "Keyser", mal als "Keyserling" geschrieben.

 

 

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